Zwei Jahre Bemühungen, das Bild Luxemburgs in der öffentlichen Meinung im Ausland neu zu formen? Futsch. Denn zum Auftakt des Luxleaks-Prozesses sind die Negativ-Schlagzeilen wieder da und die Empörung darüber, dass die ehemaligen PWC-Mitarbeiter Antoine Deltour, Raphaël Halet und der Journalist Edourad Perrin vor Gericht stehen, nicht aber die Unternehmen, die mit den von ihnen aufgedeckten Rulings Steuern gespart haben, ist einigermaßen groß. Deshalb hat niemand von denen, die sich ums Nation-Branding sorgen, bei diesem Prozess etwas zu gewinnen, beispielsweise die Luxemburger Regierung. Oder die Finanzbranche. Dort sind sicherlich manche der Meinung, dass Datendiebe bestraft werden müssen, damit nicht jeder frustrierte Angestellte Daten kopiert und beispielsweise deutschen Behörden verkauft. Aber viele waren gerade erleichtert, dass die Panama-Papiere bisher einigermaßen glimpflich vorbeigezogen sind. Und der Preis dafür, dass die Luxleaks-Protagonisten vor Gericht stehen, ist relativ hoch. Denn durch den Prozess steht Luxemburg erneut als „Unrechtsstaat“ im Rampenlicht.
Dass sich Antoine Deltour, Raphaël Halet und Edouard Perrin derzeit vor Gericht verantworten müssen, ist darauf zurückzuführen, dass das Beratungsunternehmen PWC 2012 Anzeige wegen Diebstahls erstattet und sich zur Zivilpartei erklärt hatte. Deltour und Halet haben nicht bestritten, dass sie die Dokumente, die in der ersten Luxleaks-Welle veröffentlicht wurden, kopiert und weitergegeben haben, wohlwissentlich, dass es sich dabei um vertrauliche, dem Berufsgeheimnis unterliegende Informationen handele. Wie viel Spielraum blieb der unabhängigen Justiz angesichts dieser Aktenlage und der Medienaufmerksamkeit, die Luxleaks-Akte in irgendeiner Schublade verjähren zu lassen?
Dabei fragt sich nach der ersten Prozesswoche, ob nicht PWC selbst das Berufsgeheimnis verletzt hat, denn nach den Aussagen von Anita Bouvy, die bei PWC die interne Ermittlung leitete, und dem Polizeikommissar Roger Hayard, besteht kaum Zweifel daran, dass PWC die Daten nicht wirklich geschützt hat. Aufgrund eines informatischen Fehlers seien sie „einfach zugänglich“ gewesen, wie Anita Bouvy einräumte. Dass das vor Ausstrahlung der Sendung Cash Investigation im Frühjahr 2012 niemanden aufgefallen war, ist, angesichts der Zugriffsstatistiken, die am Dienstag vorgelegt wurden, erstaunlich. Mit den von Deltour an seinem vorletzten Arbeitstag bei PWC, dem 13. Oktober 2010, kopierten Dateien kamen mehrere Dutzend Mitarbeiter in Berührung.
Sehr viel rigoroser und gar nicht zimperlich geht PWC vor, wenn es darum geht, die eigenen Interessen zu schützen. Denn als dem Beratungsunternehmen nach der Veröffentlichung der ersten Welle von Luxleaks klar wurde, dass das internationale Journalistenkonsortium ICIJ Dokumente veröffentlicht hatte, die erst nach Deltours Kündigung bei PWC entstanden waren, ermittelte die Firma das zweite Leck binnen kürzester Zeit, ließ durch die französische Justiz eine Beschlagnahmung bei Raphaël Halet durchführen und lud ihn mit seiner Ehefrau Anfang Dezember 2014 zu einem Treffen in Anwesenheit des damaligen Managing Partner Didier Mouget ein. Dabei wurde eine Schadensersatzklage in den Raum gestellt, denn Halet wurde mitgeteilt, der Firma sei durch sein Vorgehen ein Schaden von zehn Millionen Euro entstanden. Halet unterzeichnete die von seinem Arbeitgeber vorbereitete Vereinbarung, nach der er sich verpflichtete, bei PWC auszupacken, was er mitgenommen hatte, wie er die Dokumente an den Journalisten Edouard Perrin weitergegeben hatte, und bis zum Prozess zu schweigen. Für den Fall dass er sich nicht an die Bedingungen halte, sah die Vereinbarung vor, dass PWC eine Sicherungshypothek auf seine Immobilien aufnehme, wie Halets Anwalt Emmanuel Hannotin auf Nachfrage bestätigt. Diese Hypothek sei nie eingetragen worden, unterstreicht Hannotin. Nötig war das wohl auch nicht, als Druckmittel erfüllte sie ohnehin ihren Zweck. Denn bis zu Prozessbeginn hielt Halet dicht und er lieferte PWC die Informationen, die dazu führten, dass der von ihm kontaktierte Edouard Perrin ebenfalls angeklagt wurde. Wohl auch deshalb ist niemand mit ihm solidarisch, obwohl er seinen Job eingebüßt hat.
Dass Beratungsfirmen wie PWC mittlerweile Gesetze vom Entwurf bis zum „law enforcement“ nahtlos begleiten, sich der Staat immer mehr in ihre Hände gibt, sie dabei aber zu einer immer größeren „liability“ werden, wie es Unternehmensberater nennen würden, wurde spätestens am Mittwoch klar. Nicht nur, dass Beratungsunternehmen und Geschäftsanwälte via Hohes Komitee für die Finanzbranche helfen, die Gesetze zu schreiben. Nicht nur, dass PWC, wie durch Luxleaks aufgedeckt, die Gesetze selbst bis zur Belastbarkeit ausreizt. Nicht nur, dass die Firma ihre eigenen Kundendaten unzureichend schützte. Nicht nur, dass die Firma versäumte, das Finanzministerium zu warnen, dass es um ihre Daten gehe, als das ICIJ 2014 vor der Veröffentlichung seinen mehrseitigen Fragenkatalog durchs Land schickte, und dadurch die Regierung ins offene Messer laufen ließ. Nein, PWC führte sozusagen die offizielle Ermittlung im Fall Luxleaks durch. Denn wie der sehr pflichtbewusste Kommissar der Kriminalpolizei Roger Hayard am Mittwoch einräumen musste, hatten die Ermittler die informatischen Logeinträge, auf deren Basis Antoine Deltour und Edouard Perrin als Quellen der Leaks identifiziert wurden, von PWC.
Im Rahmen einer angekündigten Beschlagnahmung beim Beratungsunternehmen stellte die Kriminalpolizei die Ordner mit den Ergebnissen der firmeninternen IT-Untersuchung sicher. Der Vorsitzende Richter Marc Thill versicherte den Anwälten von Edouard Perrin, solch angekündigte Beschlagnahmungen seien nicht ungewöhnlich. Und ohnehin haben Deltour und Halet das Kopieren der Daten zugegeben. Dennoch war es ein Aha-Erlebnis, als der stellvertretende Staatsanwalt David Lentz dem Kriminalkommissar zu Hilfe eilte und quasi eingestand, dass man sich auf die Resultate der privaten Ermittlungen verlassen müsse, die man als „objektiv und neutral“ betrachte. Lentz erklärte, PWC habe sehr „umfangreiche Mittel“ in Gang gesetzt, um die informatische Ermittlung durchzuführen. Mit den ihrerseits „bescheidenen Mitteln“, so Lentz, hätte die Kriminalpolizei die gleichen Ergebnisse nicht erzielen können.
Die Verteidiger von Antoine Deltour unterstrichen in den vergangenen Prozesstagen, dass ihr Mandat nicht vorsätzlich gehandelt habe. Anita Bouvy selbst konnte nicht ausschließen, dass er zufällig auf die Rulings gestoßen war, als er sich durch den Archiv-Server klickte, zu dem er eigentlich keinen Zugang hätte haben dürfen. Die Kriminalpolizei konnte weder auf Deltours, noch auf Halets Konten irgendwelche anormalen Bewegungen feststellen, Geld haben sie für ihre Informationen also keines genommen. Als Musterbeispiel für einen ethischen „Whistleblower“ bezeichnete der französische Anwalt William Bourdon seinen Mandanten Antoine Deltour.
Dass das Gericht Antoine Deltour als Whistleblower anerkennt, darauf läuft die Verteidigungsstrategie seiner Anwälte hinaus. Deshalb versuchen sie, ebenso wie die Verteidiger von Edouard Perrin, mit der Auswahl ihrer Zeugen aus dem Straf- einen politischen Prozess zu machen und zu belegen, dass die Angeklagten zum Wohle der Allgemeinheit gehandelt und Illegales aufgedeckt haben.
Der Erfolg ist bisher gemischt. Denn Rulings zu erstellen, gilt bisher nicht illegal. Und am Donnerstag sagte der stellvertretende Staatsanwalt der Verteidigung klar und deutlich, die Politik habe im Gerichtssaal nichts verloren. Zuvor hatten die EU-Abgeordneten Fabio De Masi (Die Linke) und der Grüne Sven Giegold von den Ergebnissen des Sonderausschusses Luxleaks im Europaparlament erzählt, der als Folge der Luxleaks-Enthüllungen zustande kam. Giegold führte den von Finanzminister Pierre Gramegna (DP) verhandelten automatischen Austausch von Rulings direkt auf die Luxleaks zurück, um zu untermauern, dass die Luxleaks-Enthüllungen die Reform der Steuerpraktiken in Europa maßgeblich beeinflusst hat. Sowohl er als De Masi stellten fest, dass die EU-Länder eigentlich seit 1977 verpflichtet waren, Rulings auszutauschen. Der Vorsitzende Richter will dieses Argument bisher nicht wirklich gelten lassen, weil weder De Masi noch Giegold irgendein anderes Land nennen konnten, das dieser Verpflichtung nachgekommen wäre.
Auch damit, dass der Inhalt der Rulings illegal war – da die EU-Kommission Verfahren wegen illegaler Staatsbeihilfen eingeleitet hat –, konnte die Verteidigung bisher nicht wirklich punkten. Philippe Penning versuchte, das Beispiel Fiat Finance ins Feld zu führen. Abgesehen davon, dass der Richter ihn nicht ausreden ließ, war das ohnehin ein schlechtes Beispiel. Denn das Fiat-Ruling – von KPMG vorbereitet – entdeckte die EU-Kommission nicht in den Luxleaks-Akten, sondern weil die Beamten im Finanzministerium vergessen hatten, den Firmennamen zu schwärzen, als sie Ruling-Bespiele nach Brüssel schickten.
Die für diese Verfahren zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager und der Steuerbeauftragte der OECD, Pascal Saint-Amans, die auf Antrag der Verteidigung von Edouard Perrin aussagen sollten, wie wichtig die Luxleaks-Enthüllungen für ihre Arbeit seien, lehnten es ab, vor Gericht zu erscheinen. Eine Zeugenaussage im Prozess, ließen sie mitteilen, sei nicht mit ihren Mandaten und Funktionen vereinbar.
Am peinlichsten für die Regierung und für Luxemburg drohte die Aussage des pensionierten Steuerbeamten Marius Kohl zu werden, den die Anwälte von Edouard Perrin vorgeladen hatten. Er ließ sich für zwei Wochen krank schreiben. Daraufhin bestellte die Verteidigung von Antoine Deltour seinen ehemaligen Vorgesetzten, den Direktor der Steuerverwaltung Guy Heintz, für den heutigen Freitag ein. Seine Befragung vor einem Publikum internationaler Journalisten? Worst case scenario.