Kommt die lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank bei den Betrieben an, vor allem bei den kleineren? Am 10. März hat die EZB den Leitzins im Euroraum auf null Prozent gesenkt. Banken, die bei ihr Geld einzahlen, werden nun sogar 0,4 Prozent Depotzinsen auferlegt. Die Maßnahmen sollen die Konjunktur ankurbeln, aber funktioniert das auch?
Vielleicht nicht so richtig. Für Luxemburg hatte das Statistikinstitut Statec schon vor fünf Monaten in seiner letzten Note de conjoncture festgestellt, dass die Investitionen seit dem Einbruch der Wirtschaft in den Jahren 2009 und 2010 zwar wieder zunehmen. Der Trend ist aber weniger dynamisch als die Wirtschaft insgesamt wächst, so dass das Investitionsniveau zwischen 2011 und 2015 von 20,2 auf 17,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sank. Dass die Investitionen zumindest im Volumen wuchsen, war vor allem Luxair und Cargolux sowie der SES zu verdanken, die neue Flieger und Satelliten anschafften (d’Land, 27.11.2015).
Klein- und Mittelbetriebe (KMU) dagegen bleiben mit ihren Investitionen „vorsichtig, obwohl zurzeit viel billiges Geld da ist“, sagt Marcel Leyers, Head of corporate and institutional banking und Direktionsmitglied der Banque internationale à Luxembourg (Bil). So sieht das auch Emmanuel Baumann, der Direktor der staatlichen Investitionsbank SNCI, die unter anderem Kredite für Betriebsgründungen und für Investitionen in Ausrüstungen vergibt: „Die KMU investieren wieder mehr, aber sie sind noch immer weniger aktiv als vor Ausbruch der Krise, deutlich weniger.“
Dabei waren schon vor der jüngsten Leitzinssenkung der EZB die Kreditbedingungen günstig. Die Luxemburger Zentralbank schrieb in einem Bulletin im Herbst 2015, die sieben Luxemburger Banken, die die EZB alle drei Monate im Rahmen eines Bank Lending Survey für den Euroraum kontaktiert, hätten allesamt angegeben, ihre Kreditvergabe an Unternehmen „gelockert“ zu haben. Das betreffe Darlehen sowohl an große Firmen als auch an KMU. Der dabei angewandte variable Zinssatz habe im Oktober 2015 auf einem „historisch niedrigen Niveau“ gelegen: 1,53 Prozent für Darlehen bis eine Million Euro und 1,14 Prozent für umfangreichere Kredite.
Fünf Banken sind in Luxemburg besonders aktiv in der Kreditvergabe an Firmen: die Spuerkeess, die Bil, BGL BNP Paribas, ING und Raiffeisen. Letztere nimmt, was nicht alle Banken tun, auch am Programm TLTRO der Europäischen Zentralbank teil. Dabei erhält eine Bank von der EZB besonders billig Geld, muss es aber in Form von Firmen- oder Verbraucherkrediten gezielt weiterreichen. In der Bilanz 2014 von Raiffeisen zum Beisispiel heißt es, allein in jenem Jahr hätten die Schulden dieser Bank bei anderen Banken um 56 Prozent auf 306 Millionen Euro zugenommen, und das „vor allem“ aufgrund von TLTRO. Demnach dürfte Raiffeisen auf diesem Weg beträchtliche Kredite an Firmen vergeben haben.
Auch von anderen Banken wird betont, man stelle die Geldpolitik der EZB in den Dienst der Unternehmen: „Wir hatten“, sagt Marcel Leyers von der Bil, „unsere Kreditpolitik auch nach Ausbruch der Bankenkrise nicht geändert. Wir waren liquide genug um sagen zu können, die Krise solle sich möglichst nicht auf die Unternehmen auswirken.“ Dasselbe Credo ist von der BGL zu vernehmen: „In Luxemburg gab es nie einen credit crunch“, erklärt Romain Girst, Chef des Retail Banking bei der BGL BNP Paribas. Allerdings habe es nach 2008 „einen Vertrauenseinbruch“ bei den Betriebschefs gegeben. Dadurch sei die Kreditnachfrage gesunken. „Wäre sie höher gewesen, hätten wir auch mehr machen können.“
Allerdings scheinen KMU auch heute noch nicht stark von dem vielen Geld, das zur Verfügung steht und vor sechs Wochen noch billiger wurde, zu profitieren. Aus der Sicht von Romain Girst von der BGL hat sich die Nachfrage „seit Ende 2014 stabilisiert und es gibt einen kleinen Aufschwung“. Bei der Bil dagegen werde bei den Krediten an KMU „noch kein Zuwachs beobachtet“, so Marcel Leyers. Dabei nimmt die Bil, wie etwa Raiffeisen, auch am TLTRO-Programm der EZB teil. Es mangele, sagt Leyers, „einfach an guten Projekten“. Eine „Dynamik“ sei lediglich in den „neuen Branchen“ auszumachen: ICT, Biotech oder Logistik, „all die Sektoren, in denen es auch Innovations-Cluster gibt“.
Dass die Kreditbedingungen „gut“ seien, wird auch im Wirtschaftsministerium festgestellt. Gilles Scholtus, Chef der Generaldirektion KMU und Unternehmertum im Ministerium, erinnert sich allerdings, dass vor dem Ausbruch der Bankenkrise in Luxemburg außerordentlich gute Verhältnisse geherrscht hätten: „Es gab Wachstum, die Banken wollten Marktanteile, und damit nicht etwa der Konkurrent einen Firmenkredit vergab, gestanden sie, wenn es sein musste, sogar hundert Prozent der Darlehenssumme, ohne Eigenkapitalanteil zu.“ Dann kam die Krise, und viele Betriebe hätten geklagt, es sei „schwerer geworden“. Das meint Gilles Scholtus nicht: „Die Lage war nie schlecht.“ Verschärfte Eigenkapitalanforderungen, Kontrollen und Berichtsverpflichtungen hätten die Banken aber veranlasst, „ihre Regeln einzuhalten“. Doch das sei nur eine Art „retour aux sources“. Und durch die EZB-Politik seien Kredite derzeit ja wirklich billig wie nie.
Warum aber wird dann nicht mehr investiert? Die Banken sagen, sie täten alles, um ein Projekt eines KMU zur Kreditreife zu bringen. „Natürlich ist es auch unsere Mission, Nein zu sagen, falls der Cash-flow voraussichtlich nicht reichen wird, um den Kredit zu bedienen“, sagt Romain Girst von der BGL. „Aber den meisten Kreditanträgen geben wir am Ende statt.“ Das sei „ein iterativer Prozess“, in dem mit dem Antragsteller auch geprüft werde, ob noch andere Finanzierungsquellen in Frage kämen – wie etwa die Programme der Europäischen Investitionsbank, der SNCI oder ein Beitrag der Mutualitäten, die für den Einzelhandel und für das Handwerk bestehen und die zum Beispiel einen Teil der Bürgschaft für einen Kredit übernehmen können.
Auch von der Bil ist zu vernehmen, man feile mit den Antragstellern an deren Businessplänen. „Das wichtigste Kriterium zur Vergabe eines Kredits ist für uns die Rückzahlungskapazität, die ein Projekt generiert. Garantien sind nur ein Zusatz-Parameter“, erklärt Marcel Leyers. „Mindestens 80 Prozent“ der Kreditanträge stimme die Bank am Ende zu.
Oft sei alles „eine Frage der Psychologie“ – jedenfalls bei Handwerksbetrieben, die in Luxemburg den großen Teil der KMU stellen, meint Patrick Dahm, der geschäftsführende Verwaltungsrat der Mutualité des PME. Er stellt, ähnlich wie der SCNI-Direktor, fest, dass „sowohl in Ausrüstungen als auch in Erweiterungen oder Neugründungen noch längst nicht wieder so viel wie vor Ausbruch der Krise investiert“ werde. Die Betriebschefs seien auf ihr Tagesgeschäft konzentriert und „vorsichtig sich über viele Jahre an etwas Neues zu binden“. Dazu trage auch die Weltlage bei: „Die Krise der EU, das Flüchtlingsdrama, die Terrorattacken – was den Normalbürger verunsichert, lässt auch den Unternehmer nicht kalt.“
Hinzu komme noch „das für Handwerksbetriebe schon klassische Problem“ der knappen erschwinglichen Flächen und Gebäude. Eine Immobilie zu kaufen, so Dahm, könnten sich mittlerweile die wenigsten Handwerksfirmen leisten, die aus einer Stadt oder einem Dorfkern aussiedeln wollen. „Die mieten dann lieber oder hoffen auf ein Grundstück in Erbpacht.“ Ziehe man noch in Betracht, dass die Prozeduren lang sind, dann werde aus Betriebserweiterungen „ein mittel- bis langfristiges Vorhaben, das man sich wirklich gut überlegt“.