Leitartikel

Wir Erben

d'Lëtzebuerger Land vom 14.08.2020

Es geht ein Bruch durch Luxemburgs Gesellschaft. Es handelt sich nicht um einen Bruch zwischen Jung und Alt, nicht zwischen Staatsbeamten und Privatangestellten. Und auch nicht zwischen Ausländern und Luxemburgern. Die Bruchlinie teilt Luxemburgs Gesellschaft vielmehr in Erben und Nicht-Erben. In Gewinner und Verlierer.

Moderne Staaten leben von der Erzählung, Leistungsgesellschaften zu sein. Dass ihre Bürger/innen mit viel Fleiß und Arbeit aufsteigen können. Dass sich jede Anstrengung lohnt. Dass sie nur tüchtig sein müssen, um Erfolg zu haben. Das Streben nach Glück lautet die leicht kitschige Formel, die den Geist des Kapitalismus auch in Luxemburg einfängt. Doch diese Erzählung der meritokratischen Gesellschaft hat längst an Reiz verloren. Sie endet in Luxemburg spätestens dann, wenn junge Arbeitnehmer ein Haus oder eine Wohnung erwerben wollen. Wenn sie mit ihren Popelgehältern trotz Abitur, Bachelor oder Master einen Kredit von mindestens 500 000 Euro stemmen müssen. Dann wissen sie, dass ohne finanzielle Hilfe, ohne Schenkung oder Erbe in diesem Land der Traum vom Eigenheim kaum möglich ist. So sehr sie sich auch anstrengen.

Linke Intellektuelle neigen dazu, ihren Bourdieu zu zitieren, um soziale Ungleichheiten zu erklären. Sie reden von sozialem Habitus und kulturellen Codes als unsichtbarer Wand für Menschen aus prekären Schichten oder auch neuerdings von institutionellem Rassismus, der den gesellschaftlichen Aufstieg für bestimmte Gruppen erschwert und die Kluften verhärtet. Doch tatsächlich lautet das Problem der sozialen Ungleichheit: Erbgesellschaft. Nicht Leistung entscheidet über das Einkommen, sondern Verwandtschaft. Nicht Verdienst, sondern Zufall.

Denn seit den 1970er-Jahren sind die Immobilienrenditen in Luxemburg im Durchschnitt zwischen sechs und acht Prozent pro Jahr gestiegen. In den vergangenen Jahren lagen sie sogar über zehn Prozent. Selbst in Corona-Zeiten sind die Immobilienpreise entgegen aller anderen wirtschaftlichen Parameter nicht eingebrochen. Grundstück- und Immobilienbesitzer konnten ihr Vermögen bequem vermehren, ohne auch nur das geringste zu leisten. Bauern und Winzer gehören zum Club der Millionäre, rund 40 000 Millionäre zählt eine Studie des Crédit Suisse aktuell in Luxemburg. Und für alle anderen rückt der Anteil am Reichtum in weite Ferne. Das ist eigentlich alles längst bekannt. Der Ökonom Thomas Piketty hat in seiner Jahrhundertstudie 2014 festgestellt, dass Kapitaleinkommen schneller wachsen als Arbeitslöhne. Wirtschaftswachstum führte in der Vergangenheit dazu, dass Vermögen stärker anstiegen als Gehälter. Oder auf Luxemburg übertragen: Dass Immobilienpreise stärker stiegen als Reallöhne.

In Luxemburg wird zwar viel über Logement geredet. Aber wenig über Erbe. Anders als in den Nachbarländern gibt es keine Erbschaftsteuer in direkter Linie. Eine Vermögenssteuer für Personen ist seit 2006 abgeschafft. Es ist Teil der unangefochtenen Steuerpolitik des Landes, um Vermögen nach Luxemburg zu locken. Und Besteuerung von Erbe gilt auch politisch als unerwünscht: Wer eine Erbschaftsteuer erwähnt, gilt als Neidhengst, als Gleichmacher, der die Familien um ihr wohlverdientes Erbe betrügen will. Dass große Teile der Gesellschaft mit dem Festhalten an ihrem winzigen Erbe sich selbst schaden, konnte bisher noch niemand überzeugend vermitteln. Und so werden im Privaten gigantische Summen von Generation zu Generation übertragen, ohne das geringste steuerliche Korrektiv. Das hat Konsequenzen: Unsere Erbgesellschaft führt zu einem Anwachsen der Ungleichheit und höhlt nach und nach das Leistungsprinzip aus.

Pol Schock
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