"Die Regierung muss dafür sorgen, dass der Industrie auch in den kommenden Jahren ein Handlungsspielraum zur Erweiterung und Diversifizierung bleibt", erklärte Fedil-Vizepräsident Robert Dennewald am Montag. Der Industriellenverband hatte eingeladen zu einer Pressekonferenz über den Klimaschutz. Und gleich zu Beginn benutzte Dennewald dort den Begriff "Arbeitsplätze", der in konjunkturschwachen Zeiten so unschön klingt.
Es geht um die EU-Direktive über den Handel mit Treibhaugassemissionsberechtigungen durch Stromerzeuger und energieintensive Industriebetriebe. Vor drei Wochen ist sie in Kraft getreten. Bis zum 1. Januar 2005 erhalten EU-weit 10 000 Betriebe Genehmigungen zum CO2-Ausstoß, darüberhinaus ein Kontingent an Lizenzen für zusätzliche Emissionen. Die dahinterliegende Idee: Klimaschutzmaßnahmen sollen in den energieintensiven Branchen dort vorgenommen werden, wo sie am wenigsten kosten. Wer mehr CO2 ausstößt, als ihm zugestanden wurde, zugleich jedoch Investitionen zur Verbesserung von Ausrüstung und Technologie für zu teuer hält, soll zusätzliche Emissionsberechtigungen kaufen können. Dafür wird ein künstlicher Markt geschaffen; die Verschmutzungsrechte werden handelbar.
EU-weit hat eine heftige Debatte um die Zuteilung der Emissionslizenzen zwischen den Branchen Stromerzeugung, Petrolchemie, Metallurgie und metallverarbeitende Industrie sowie Zement-, Glas- und Keramikherstellern eingesetzt. Jeder verweist auf Restriktionen, die der Produktionsprozess ihm setzt. Solche Überlegungen gibt es auch hier zu Lande. Etwa in der Glasindustrie: "Unsere Glasschmelzöfen haben eine Lebensdauer von zwölf Jahren", sagt Philippe Nganjadi, im Management von Guardian in Bascharage zuständig für Umweltfragen, "aber nach acht Jahren sind sie so abgenutzt, dass die Emissionen steigen." Die Mitverbrennung emissionsärmerer Stoffe scheide aus, weil sie die Glasqualität herabsetzen. "Wir versuchen letzt, die Lebensdauer der Öfen durch Verbesserungen an der Technologie zu erhöhen. Aber dass wir Emissionsrechte werden zukaufen müssen, ist nicht augeschlossen."
In der Baustoffindustrie scheint das Problem sich noch schärfer zu stellen: "Wenn wir eine Tonne Klinker brennen, entsteht eine Tonne CO2", sagt Jean-Paul Proth, Direktor der Intermoselle s.à.r.l. in Rümelingen. Schon jetzt würden Papierschlämme und Klärschlamm mit verbrannt, und es liefen Versuche, durch Klärschlammverbrennung bis zu ein Drittel der hauptsächlich benutzten Feinkohle einzusparen. Müssten dennoch Emissionsrechte zugekauft werden, geriete die Produktion allerdings unter eventuell erheblichen Kostendruck: Simulationen der Fedil ergaben, dass der Bestand der Klinkerproduktion gefährdet sein könnte, wenn nur zehn Prozent der Emissionsquote durch Zukauf gedeckt werden müssten und der Preis pro Lizenz 30 Euro betrüge.
Unrealistisch ist dieser Preis nicht. Die EU-Kommission rechnet mit im Schnitt 26 Euro pro Lizenz. Zwar wird die Erstverteilung der Lizenzen gratis erfolgen dürfen, aber wie schnell die Preise steigen, wird davon abhängen, wie rasch Knappheit sich einstellt, und desto schneller wird der Quotenhandel auch für Broker interessant: Die EU-Direktive macht ihn zugänglich für alle, ab 2008 wird er global möglich sein, und Analysten sehen ein Marktvolumen von 250 Milliarden Dollar voraus (d'Land, 26. September 2002).
Das besondere Problem für Luxemburg besteht freilich darin, dass die Zahl der für den Handel zu Beginn gratis auszuteilenden Emissionslizenzen von weitaus mehr abhängt als nur der Einigung zwischen den hier zu Lande 15 in den Geltungsbereich der Direktive fallenden Betriebe und dem Umweltministerium. Dieses müsste nicht nur bis Jahresende die Direktive in nationales Recht umsetzen - was in allen Unionsstaaten kaum zu schaffen sein wird - und einen Kontroll- und Sanktionsmechanismus einrichten. Es muss darüberhinaus spätestens am 31. März nächsten Jahres einen "Allokationsplan" bei der EU-Kommission einreichen. Der aber nimmt das Klimaschutzziel vorweg, das sich Luxemburg im Rahmen des europäischen "burden sharing" gegeben hat: minus 28 Prozent CO2 bis spätestens 2012 im Vergleich zum Jahr 1990. Das bedeutet: Gibt man der energieintensiven Industrie ein Emissionskontingent plus einer Reserve für die politisch durchaus gewollte Erweiterung und Diversifizierung, so bindet man eine Menge CO2, die anderswo fehlen würde bzw. eingespart werden müsste.
Und im Unterschied zu den meisten EU-Staaten ist es in Luxemburg seit 1998 nicht mehr die Industrie, die den Löwenanteil zum CO2-Ausstoß beisteuert. Nachdem die Arbed ihre Produktion zwischen 1990 und 1998 vom konventionellen Hochofenbetrieb auf Elektroschmelze umgestellt hatte, sanken die Emissionen landesweit um insgesamt 26 Prozent, innerhalb der Industrie um 72 Prozent. Etwas provokatorisch projizierten die Fedil-Vertreter am Montag eine Grafik auf die Leinwand, die besagte, würde man der Industrie 28 Prozent weniger CO2 zugute rechnen, so, wie es das Klimaschutzziel für das ganze Land vorsieht, müssten ihr 5,87 Millionen Tonnen davon zur Verfügung stehen. 2,5 Millionen mehr, als sie 2001 emittierte - dem letzten Jahr, für das detaillierte Zahlen vorliegen. Doch eine solche Menge würde zwei Drittel aller Treibhausgase ausmachen, die in Luxemburg ab 2008 noch ausgestoßen werden dürfen. Und schon ab 2005 steht zur "Allokation" nur dieses Maximum von 8,9 Millionen Tonnen zur Verfügung. Deren Verteilung wird deshalb so schwierig, weil Luxemburg sich ersten vorsichtigen Schätzungen nach schon in diesem Jahr wieder seinem Emissionsstand von 1990 nähern könnte. Hauptverursacher ist der Transportbereich, dessen Emissionen zwischen 2001 und diesem Jahr um 15 Prozent zunehmen, wobei acht Zehntel dem Tanktourismus geschuldet sind.
Und damit stellt sich weniger die Frage, wieviel Emissionsrechte man an wen "allokiert", sondern vielmehr die, wo man kappt: Dass in diesem Jahr auch die Emissionen der Industrie im Vergleich zu 2001 um zehn Prozent zulegen, ist in erster Linie auf den Vollbetrieb des Escher GUD-Kraftwerks zurückzuführen, das mit 0,9 Millionen Tonnen allein fast ein Zehntel der zur Allokation freien Schadstoffe beisteuert. Dass durch eine Ausnutzung der im Kraftwerk entstehenden Abwärme Emissionen eingespart werden können, ist zwar abzusehen: Das im letzten Jahr gegründete GIE Sudcal konnte, sagt sein Vizepräsident Felix Braz, Studien abschließen, welche die Basis dafür bilden, dass auf der Industriebrache Belval sämtliche neu entstehenden Großbauten von Rockhal bis Dexia-BIL-Zentrale Nahwärme vom GUD-Werk beziehen. Eine Ausdehnung des Netzes, für das mit EU-Ausschreibung demnächst ein Investor gesucht werden soll, auf Esch und Sanem sei ebenfalls möglich. Noch immer aber fehlt ein industrieller Großabnehmer für die im GUD-Werk erzeugte Prozesswärme - so dass das an sich umweltfreundlich Strom produzierende Werk ein bedeutender CO2-Emittent bleibt.
Auch in den Privathaushalten, die nach Schätzungen des Umweltministeriums in ihrer Emissionsbilanz um wenigstens 30 Prozent verbessert werden könnten, würde man die Wärmeisolation der Gebäude verbessern, ist mit einer Senkung des 2003 mit schätzungsweise 1,88 Millionen Tonnen zu Buche schlagenden CO2-Ausstoßes allenfalls langfristig zu rechnen, und eine großherzogliche Verordnung über die staatliche Bezuschussung der Wärmedämmung ist überdies noch immer auf dem Instanzenweg.
Allein der Treibstoffverkauf bleibt als schnell zu mobilisierende Manövriermase. Doch wo reduzieren, wenn er in Zeiten knapper Staatsfinanzen doch über 600 Millionen Euro einbringt, damit zweimal so viel ausmacht wie beispielsweise der Fonds zum Ausbau der Krankenhausinfrastruktur? Und wenn aus ihm im nächsten Jahr über 100 Millionen zur Finanzierung des Beschäftigungsfonds abgezweigt werden sollen, sowie über 130 Millionen an Beiträgen zu den Familienzulagen (d'Land, 8. August 2003)?
Die so eminent volkswirtschaftliche und sozialpolitische Bedeutung der im Frühjahr festzulegenden Grundsätze für den Emissionsquotenhandel sollte Thema der Tripartitesitzung kommenden Montag sein. Doch dem ist nicht so. Umweltminister Charles Goerens will die Lage "nicht überdramatisieren". Die Regierung arbeite mit hochkarätigen Beratern zusammen und werde "so schnell wie möglich" die Tripartite mit dem "Verteilungsproblem" befassen.
Dass es nötig werden könnte, ein Paket aus Sparmaßnahmen und Steuermechanismen zu schnüren, deutete Goerens bereits vor einem halben Jahr an (d'Land vom 30. Mai 2003). Zwar enthält das Kioto-Protokoll "Schlupflöcher" als Notausgänge. So können die Unterzeichnerstaaten schon jetzt Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern finanzieren helfen und sich daraus Emissionen gut schreiben lassen. Diesen Ausweg zu nehmen, schlägt die Fedil bereits seit zwei Jahren vor.
Er enthält jedoch manche Unbekannte: Die Maßnahmen sind erst ab 2008 abrechenbar - dann wird EU-weit schon die erste Etappe im Emissionshandel gelaufen sein. Und sowohl das Kioto-Protokoll wie die EU-Gesetzgebung sehen vor, dass der Schwerpunkt der Klimaschutzmaßnahmen auf den "domestic actions" zu liegen hat und die "Schlupflöcher" nur "ergänzend" benutzt werden dürfen. Eventuell aber bleibt für "domestic actions" wenig Spielraum: ein Fortschreiben der gegenwärtigen Emissionstrends deutet darauf hin, dass Luxemburg im entscheidenden Jahr 2008 sein Klimaschutzziel um 58 Prozent überziehen könnte. Und auch wenn das Kioto-Protokoll durch die Hinhaltetaktik Russlands so bald nicht ratifiziert werden wird, bliebe die EU dennoch vorerst auf Klimaschutzkurs.
Wenn im nächsten Jahr Wahlen sind, wird ein Kreis sich schließen: politische Klasse und Wählerschaft werden an den Ernst des Begriffs "Nachhaltgkeit" herangeführt, der bislang eher rhetorisch gebraucht wurde. Und um der Gerechtigkeit wie der Pädagogik willen dürfte nicht allein die Industrie belastet werden.