Am späten Montagabend glückte sie doch: die Einigung beim Bonner Weltklimagipfel. Auf ein Ergebnis, das aus strikt ökologischer Sicht völlig unzureichend ist, und entsprechend enttäuscht reagierten vor allem Konferenzteilnehmer aus den vom Klimawandel schon jetzt stark betroffenen Regionen in den südlichen Entwicklungsländern.
Politisch betrachtet, ist der Bonner Kompromiss dennoch ein wichtiger: auch ohne die USA ist das Kyoto-Protokoll nun ratifizierbar, und einer der wichtigsten Beschlüsse ist der, dass bestraft wird, wer sein Klimaschutzziel verfehlt. Für jede Tonne zuviel ausgestoßener Treibhausgase muss das betreffende Land in den Folgejahren davon 1,3 Tonnen weniger produzieren. Alles Nähere soll das nächste Treffen im Oktober in Marrakesch regeln.
Die Europäische Union - seit Kyoto unter den reichen Nationen der Motor klimaschützerischer Lobbyarbeit - und mit ihr Luxemburg hatten noch vor der Bonner Konferenz angekündigt, an ihrem Klimaschutzziel von minus acht Prozent bis 2012 gegenüber dem Referenzjahr 1990 auch dann festzuhalten, falls der Gipfel grandios scheitern sollte. Mit der Einigung auf Sanktionen werden die Reduktionsziele nun allerdings verbindlicher, und bis zum Herbst dürften Diskussionen darüber geführt werden, wie weit Europa von seinen Verpflichtungen noch entfernt ist.
Und mit ihr Luxemburg. Zu einer Veringerung seiner Emissionen um 28 Prozent bis zum Jahr 2010 hatte sich das Großherzogtum im Rahmen der europäischen Lastenteilung verpflichtet. Dass sich 1998 eine Reduktion von minus 32,6 Prozent gegenüber 1990 eingestellt hatte, ist ein trügerisches Resultat. In jenem Jahr war die Konversion der Stahlindustrie abgeschlossen. Ihr Anteil am Treibhausgasaufkommen der Industrie insgesamt war 1990 immerhin so hoch gewesen, dass dort acht Jahre später rund 70 Prozent weniger Emissionen zu Buche schlugen. Mittlerweile zeigt der Trend wieder nach oben: Emittierte die Industrie 1998 2,17 Millionen Tonnen CO2, waren es 1999 knapp 2,5 Millionen gewesen. Leicht gespart wurde in den Privathaushalten: 1,64 Millionen Tonnen im Jahre 1998, 1,5 Millionen ein Jahr später. Der Straßenverkehr trug 1998 wie 1999 rund 1,3 Millionen Tonnen zum CO2-Aufkommen bei. Wohlgemerkt: Nur der Kraftstoffverbrauch des in Luxemburg zugelassenen Fuhrparks geht in diese Bilanz ein. Die auf den Benzintourismus zurückgeführten Emissionen waren 1998 mit 2,7 Millionen Tonnen fast so hoch wie die von Privathaushalten und heimischen Fahrzeugen zusammen, 1999 wurde die Drei-Millionen-Tonnen-Grenze erstmals knapp überschritten.
Zahlen für das Jahr 2000 liegen noch nicht vor. Interessant wird ihr Studium werden, war jenes Jahr doch mit dem seit Ende des Zweiten Weltkriegs höchsten Wirtschaftswachstum von 8,5 Prozent ein fettes gewesen, wuchs die Zahl der Arbeitsplätze mit einem Plus von 14 000 ebenfalls so stark wie nie. Und seit dem Abschluss der Diskussionen am Rententisch ist die Einwohnerzahl 700 000 keine Panikzahl mehr, sondern Eckwert, damit bis 2035 die Beiträge zur Rentenversicherung nicht mehr steigen müssen. Steigen muss dagegen die Wirtschaftsleistung um wenigstens vier Prozent pro Jahr. Der Lebensstandard soll natürlich möglichst nicht sinken. Was damit verbunden sein könnte, zeigt die Bemerkung aus dem Tätigkeitsbericht 2000 des Transportministeriums zum Thema Kfz-Neuzulassungen: "Au rhythme de croissance actuel, le parc des véhicules va très probablement franchir pour la première fois le cap des 400 000 unités des véhicules en circulation au courant de l'année 2002. Par aillleurs, à ce rhythme le parc risquera de doubler endéans moins de 25 ans!!!" Die drei Ausrufezeichen sind Originalzitat.
Nur ein Symptom, vor dessen Hintergrund man sich die Frage stellen muss, wie angemessen die ersten Klimaschutzszenarien noch sind, die im Mai 2000 im nationalen Plan zur Treibhausgasreduzierung festgehalten wurden. Drei Interventionsniveaus schlägt der Plan vor. Der "minimalistisch" genannte Eingriff brächte eine Emissionsreduktion von schätzungsweise 17 Prozent, der "mittlere" 23, der "maximalistische" knapp 32 Prozent. Würde gar nichts unternommen, dürften die Luxemburger Treibhausgasbilanz bis zum Jahr 2010 gegenüber 1990 um 20 Prozent wachsen anstatt um 28 Prozent zu sinken.
Nach der Vorstellung des Plans hatte es aus dem Umweltministerium geheißen, wahrscheinlich sei allenfalls das mittlere Interventionsszenario umsetzbar. Doch während Umweltminister Charles Goerens damals noch meinte, eventuell könnte der Benzintourismus sich aus der Treibhausgasbilanz noch heraus verhandeln lassen, ist davon heute keine Rede mehr. Auch deshalb, weil die Regierung sich nach wie vor allen Versuchen, die Treibstoffakzisen europaweit zu vereinheitlichen, mit dem Verweis auf ihre Fiskalhoheit widersetzt. Abgesehen davon, kommt die Methode, nach der die Treibhausgaswirkung berechnet wird, Luxemburg auf einem anderen Gebiet entgegen: einbezogen werden die Emissionen, die sich aus der Produktion elektrischer Energie ergeben, ihr Verbrauch aber wird nicht erfasst. Sonst wäre unsere Klimabilanz, die letzten Endes eine energetische ist, noch schlechter: über 90 Prozent des Strombedarfs wird aus Importen der deutschen RWE Energie AG gedeckt, die noch überwiegend Kohlekraftwerke betreibt. Und diese von Luxemburg im Ausland verursachten CO2-Emissionen sinken nicht, sie betrugen im Referenzjahr 1990 2,3 Millionen Tonnen, 1998 2,97 und 1999 3,07 Millionen Tonnen. Für das vergangene Jahr meldete die Cegedel erneut ein Wachstum des Stromverbrauchs von fünf Prozent. Besonders gestiegen war der Verkauf an Hochspannungskunden in der Industrie, mit einem Plus von 7,7 Prozent auffällig nah an der Steigerungsrate der Wirtschaftsleistung.
Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz und zum Sparen sind jedoch erst in Ansätzen vorhanden oder noch in Ausarbeitung, am ehesten greifen sie in der Industrie. Eine Erhöhung der Treibstoffakzisen ist innerhalb der politischen Klasse derzeit nicht konsensfähig; pro Jahr nimmt der Staat aus dem Benzintourismus mehr als 20 Milliarden Franken ein, das Aufkommen dient im Moment u.a. der Finanzierung des Elternurlaubs. Auch das gern benutzte Argument, man fördere doch sehr stark die Entwicklung erneuerbarer Energien, ist noch nicht ganz stichhaltig: In Kraft getreten ist am Montag das großherzogliche Reglement über verbesserte Investitionsbeihilfen für regenerative Energieanlagen. Die Subvention von umweltfreundlichen Heizsystemen wie Brennwertkesseln oder von Niedrigenergiehäusern wird durch sinkenden Brennstoffbedarf das CO2-Aufkom-men drücken. Der Reglemententwurf über die Einspeisepreise für Strom aus Wind- und Wasserkraft, aus Biogas- und Fotovoltaikanlagen, der vor allem für Sonnenstrom eine in der Tat im EU-Vergleich einzigartig hohe Begünstigung vorsieht, wartet dagegen noch immer auf grünes Licht der EU-Kommission. Dieses müsste streng genommen ausbleiben, da der Europäische Gerichtshof im März ein Urteil fällte, wonach Einspeisepreissubventionen aus na-tionalen Staatssäckeln wettbewerbswidrig sind, nur die gleichmäßige Umlage auf den von allen bezahlten Strompreis käme in Frage.
Auf die hat Luxemburg jedoch nach Einwänden von Wirtschaftsminister Henri Grethen und der Fedil verzichtet. Und sie gelten noch immer: Eingesehen wird die Notwendigkeit, erneuerbare Energien zu fördern, sehr wohl. Immerhin handelt es sch dabei um Zukunftstechnologien, und da in den nächsten Jahrzehnten die Verknappung fossiler Brennstoffe abzusehen ist, birgt die Nutzung erneuerbarer Quellen langfristig Kostenvorteile. Eine Komponente europäischer Klimaschutzsolidarität enthält sie darüberhinaus auch. Dennoch bat der Industriellenverband auf seiner Generalversammlung Mitte Mai dezent, aber unmissverständlich erneut darum, keine zusätzlichen Belastungen einzuführen. Lieber wolle man das System der freiwilligen Selbstverpflichtungen ausbauen, das nach Fedil-Analysen von 1990 bis 1999 über rund 90 Prozent aller Industriebetriebe berechnet eine Energieeinsparung von 14 Prozent erbracht hat.
Sollte jedoch das Ja aus Brüssel zur Einspeiseförderung der erneuerbaren Energien ausbleiben, dürfte man sich wieder sprechen: Umweltminister Goerens will dann die Umlage auf den Strompreis durchsetzen, vielleicht gekoppelt mit einem deutlichen Preisabschlag für jene Verbraucher, die Sparanstrengungen unternehmen oder für Betriebe, die getreu einem Energie-Audit arbeiten. Was die Einführung einer Energiesteuer nach dem dänischen Bonus-Modell vorwegnähme. Vorgesehen wurde dergleichen bereits im nationalen Klimaschutzplan, nach einer Orientierungsdebatte in der Chamber über Einführung von Ökosteuern allerdings auf die Jahre 2002/2003 vertagt. Was zeigt, wie wenig populär einschneidende Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz noch immer sind.
Dass die Unternehmen nach den Wachstumsprämissen des Rententischs um so mehr Zurückhaltung üben, ist nicht unverständlich. Allerdings fehlen schlüssige Daten über Vor- und Nachteile von Effizienzanstrengungen. Eine Analyse über das Sparpotenzial der Selbstverpflichtungsmaßnahmen der Industrie gibt es nicht. Was um so bedauerlicher ist, da sich damit womöglich die Einführung eines Energie-Contracting auch im Bankensektor begründen ließe.
Denn selbst bei einem weiterem ökonomischen Strukturwandel muss der Energieverbrauch nicht sinken. "Die Tendenz geht eindeutig hin zu Betrieben mit mehr Kapitaleinsatz, höherer Wertschöpfung, weniger Arbeitskräften und größerem Strombedarf", sagt René Winkin, Energieberater der Fedil. Wie der neue Großverbraucher, der sich ankündigt: eine Zentrale, die als gigantischer Computer-Server für eine Vielzahl von Wirtschaftskunden dienen soll. Mit einem Stromverbrauch, der laut Wirtschaftsminister Grethen höher sein wird als der von DuPont de Nemours.
Wie "nachhaltig" unsere Volkswirtschaft in Zukunft funtionieren soll, wird gerade nach den Rententischbeschlüssen zu diskutieren bleiben. Oft wurde das Modewort des Jahres 2000 in letzter Zeit nicht mehr benutzt. Allerdings bereiten auch weniger komplexe Aspekte von Klimaschutz und Energieeffizienz derzeit Umsetzungsprobleme: Zurückgestellt wurde beispielsweise im Regierungsrat vom vergangenen Freitag der im Hause Goerens erarbeitete Entwurf für ein großherzogliches Reglement zur Förderung der Wärmeisolation an Wohngebäuden. Das Umweltministerium erhofft sich davon eine Verminderung der Heizleistung in den Gebäuden um bis zu 30 Prozent. Noch aber fehlt der Beitrag aus dem Wohnungsbauministerium, das die Förderung der Wärmeisolation lieber im Rahmen eines Carnet d'habitat einführen will. Hausbesitzer sollen sich danach auch andere
Verbesserungen an den Gebäuden teilfinanzieren lassen können. Inwiefern, ist allerdings noch nicht klar, obwohl die Frage beim Wohnungsbauministerium seit 1999 im Raum steht. Pech für den Klimaschutz.
Und auch beim viel diskutierten GUD-Kraftwerk in Esch werden die Probleme nicht kleiner. Da das technologisch an sich umweltfreundliche Kraftwerk nach seiner Inbetriebnahme der erste Großproduzent auf Luxemburger Territorium sein wird, ist es absolut klimabilanzrelevant. 724 000 Tonnen zusätzliches CO2, klagt Greenpeace, würden in die Atmosphäre geblasen, wenn Prozessdampf und Abwärme aus dem Kraftwerk nicht genutzt würden. Während aber bis heute noch kein industrieller Großabnehmer für den Dampf in Sicht ist, sich um dessen Vermarktung künftig die Industriebrachen-Entwicklungsgesellschaft Agora kümmern soll und auch ein Nahwärmenetz mit den Gemeinden Esch und Sanem bislang nur im Gespräch ist, sind zwei Abnehmer, die eigentlich schon feststanden, wieder ausgeschieden: wegen technischer Probleme wird vorerst weder das neue Escher Lyzeum noch das neue Berufsfortbildungszentrum vom GUD-Werk versorgt werden.
Nur dünn sind bislang die Hoffnungsschimmer auf wirksamen Klimaschutz, aber es gibt sie: Unter den Gemeinden wächst das Interesse an ökologischer Bauweise und an der Nutzung erneuerbarer Energien. Populärer wird seit dem Bürgermeistertag in Mondorf auch das im interkommunalen Klimabündnis aufgelegte Energiesparprogramm des Kantons Redingen. Von 1997 bis 1999 wurde dort eine Senkung des Stromverbrauchs in den Privathaushalten von knapp fünf Prozent erreicht, während im gesamten Großherzogtum der Verbrauch um 0,4 Prozent stieg. Mit Unterstützung des Umweltministeriums soll das Programm ausgeweitet werden.
Unter den Landwirten ist derweil das Interesse an Biogasanlagen nicht mehr aufzuhalten, und im Zusammenhang mit der weiteren Urbanisierung des Landessüdens durch die Neunutzung der Industriebrachen wird der angestrebte 25-Prozent-Anteil des öffentlichen Transports am Verkehrsaufkommen immer öfter erwähnt. Fehlt nur noch eine starke Koordination der Nachhaltigkeitsbemühungen und die Ergänzung des Rententischs durch eine Diskussion über die Vereinbarkeit des Wirtschaftswachstums mit Umweltschutzzielen. Nicht dass Luxemburg sich am Ende seine Wälder als Kohlenstoffsenken anrechnen lassen muss, wie klimaschutzpolitisch weniger engagierte Staaten wie Japan oder Russland ...