Wenn sich am 17. Oktober auf dem Luxemburger Kirchberg die EU-Umweltminister treffen, wird auf der Tagesordnung ein Vorhaben stehen, über das in den letzten Monaten nicht wenig debattiert wurde und das ebenso spannend klingt, wie es unter den Mitgliedstaaten noch immer umstritten ist: die Schaffung eines künstlichen Marktes für den europaweiten Handel mit "Treibhausgasemissionsberechtigungen".
Das Wortungetüm ist im Direktivenvorschlag 2001/581 der EU-Kommission vom Oktober letzten Jahres enthalten. Die Direktive soll Originelles leisten helfen: mehr Klimaschutz für Mensch und Natur, und das - darin liegt der Knüller - für weniger Geld.
Denn die Kosten zur Vermeidung des Treibhausgasausstoßes sind von Land zu Land, von Fabrik zu Fabrik und von Haushalt zu Haushalt unterschiedlich. Der Emissionshandel soll dafür sorgen, dass die Umweltbelastung an genau der Stelle reduziert wird, wo sie die geringsten Kosten verursacht: Ab 1. Januar 2005 müssen Betriebe besonders klimarelevanter Branchen für ihre Tätigkeit zunächst über eine allgemeine Berechtigung verfügen. Das betrifft die Energiewirtschaft (Kraftwerke, Raffinerien und Kokereien), die Eisen- und Stahlindustrie, die mineralverarbeitende Industrie (Zement- und Glaswerke sowie Hersteller von Keramikprodukten) und schließlich Zellstoff- und Papierfabriken. Darüberhinaus aber soll der Staat je-dem Emittenten ein Verschmutzungskontingent zuteilen, eine Lizenz zur Inanspruchnahme der Umwelt.
Die Lizenzvergabe soll restriktiv genug erfolgen, dass daraus ein Druck zur Emissionsreduzierung entsteht. Im Unterschied zu Emissionsnormen aber dürfen die Lizenznehmer ihre Rechte verkaufen, falls sie meinen, dass der erwartete Erlös daraus höher ist als Investitionen zur Verringerung der Umweltbelastung - solche Betriebe demnach, die bereits in Emissionsreduktion investiert haben. Käufer der "Treibhausgasemissionsberechtigungen" werden dagegen jene Unternehmen sein, die es billiger kommt, neue Lizenzen zu erwerben, als ihren Schadstoffausstoß zu verringern. Wirksamer Umweltschutz zu kleinstmöglichen Kosten - das soll der neue Markt richten.
"Markets could have a potent force for greenery", schwärmte der Londoner Economist (vom 6. Juli 2002) "if only greens could learn to love them." Begann doch zum Beispiel in den USA die Regierung im Jahre 1995 zur Bekämpfung des sauren Regens mit der Vergabe handelbarer Emisionslizenzen für Schwefeldioxid an Kraftwerksbetreiber. Der Ausstoß sei drastisch ge-sunken, die Kosten seien weit unter den anfangs voraus berechneten vier Milliarden Dollar geblieben.
Der Unterschied zu dem jetzt in der EU angepeilten Konzept besteht freilich darin, dass in Letzteres nicht nur eine einzige Branche eingebunden werden und es für 15 Staaten gelten soll. Die Kommission spricht in der Begründung ihres Direktivenvorschlags selbst davon, dass die Industrie den Emissionshandel als "politisches Instrument" zur Abwehr restriktiverer Maßnahmen nutzen könne - kein Wunder, dass der Debattenstand be-reits jetzt die unterschiedlichsten politischen Wünsche widerspiegelt. Noch zu klärende Fragen sind etwa jene, ob der Emissionshandel freiwillig oder obligatorisch sein soll; ob neben dem Treibhausgas CO2 auch die fünf anderen im Klimaschutzprotokoll von Kioto festgehaltenen Substanzen einbezogen werden sollen - dann müsste eventuell auch die Chemieindustrie mit ins Boot; und nicht zuletzt: Wie soll der Staat die Emissionslizenzen an die Betriebe verteilen - gratis, zu einem Festpreis oder etwa über eine Versteigerung?
Weil es bei ihnen daheim schon Taxensysteme zum Klimaschutz gibt, haben etwa Großbritannien und die Niederlande im Umweltministerrat einen obligatorischen Handel abgelehnt. Der Bund der deutschen Industrie (BDI) verweist auf die bereits bestehenden freiwilligen Vereinbarungen mit der Regierung zur CO2- Reduktion und plädiert innerhalb der europäischen Industriellenföderation Unice für ein freiwilliges Engagement im Handel mit verschmutzter Luft.
In Luxemburg tritt die Regierung für einen obligatorischen Handel für alle ein, und dagegen hat auch der Industriellenverband Fedil nichts einzuwen-den: "Das Kioto-Protokoll und die Reduktionsziele Europas sind nun mal Realität. Es ist klar, dass die EU-Kommission etwas unternehmen muss, um sie zu erreichen", sagt Fedil-Energieberater René Winkin. Und bedenke man, dass ab 2010 bei Überschreitung der nationalen Emissionen Strafgelder drohen, sei die Teilnahme am Emissionshandel die eindeutig bessere Wahl. Immerhin: Sie könnte als politisches Argument gegen eine eventuelle CO2-Steuer dienen, die es in Luxemburg vor allem deshalb noch nicht gibt, weil die Fedil sie nie wollte.
Am segensreichen Markt für mehr Klimaschutz bei weniger Kosten hegen die heimischen Industriellen allerdings ihre Zweifel. Zwar spricht die EU-Kommission davon, dass über alle teilnehmenden Betriebe hinweg der Emissionshandel Einsparungen in den Gestehungskosten von vermutlich bis zu 35 Prozent erlaube. Wobei die Eisen- und Stahlindustrie mit 50 Prozent am besten weg kommen könnte, gefolgt von der Glas- und Zementbranche mit 38 Prozent. Letzten Endes entscheidend aber wird sein, welcher Preis für eine Lizenztonne Kohlendioxidäquivalent sich einstellen wird: Zwischen 20 und 33 Euro könnten es sein, schätzt die Kommission, sieht in ihrem Direktivenentwurf aber vor, dass in der "Testphase", die von 2005 bis 2007 dauern soll, eine Strafe von 50 Euro pro Tonne für den fällig wird, der nach der jährlich zu erstellenden Emissionsbilanz mehr emittiert hat, als durch Lizenzen gedeckt war. Zwischen 2008 und 2012 soll die Strafe auf 100 Euro pro Tonne steigen - für die Fedil ein Hinweis darauf, dass der Lizenzpreis mittelfristig durchaus auf über 50 Euro wachsen könnte.
Zumal eine Unbekannte im System vorgesehen ist - der Handel wird nicht nur zwischen Betrieben möglich sein, auch Finanziers können einsteigen. Was um so wahrscheinlicher wird, wenn laut Kioto-Protokoll ab 2008 der Emissionshandel weltweit eröffnet wird. Die EU will ihr regional begrenztes System beibehalten, ob und wie man sich vom Rest der Welt abgrenzen will, ist allerdings noch nicht klar - und schon jetzt bereiten sich an internationalen Börsen, vom Chicago Board of Trade über den International Petroleum Exchange in London bis hin zur Börse in Frankfurt, die Broker darauf vor; schätzen Analysten das Geschäftsvolumen des Emissionshandels auf bis zu 250 Milliarden Dollar (Die Zeit, 12/2002).
Zwar dürfte für Spekulanten der Markt der "Treibhausgasemissionsberechtigungen" erst dann interessant werden, wenn dort eine Knappheit im Angebot droht. Dieser vorgebaut hätte die Fedil am liebsten nicht nur wegen eines absehbaren Einflusses cleverer Broker, "vor denen sich, das muss man sagen, manche unserer Mitglieder ziemlich fürchten", sagt René Winkin. Abgesehen davon aber gelte eben, dass Investitionen in Emissionsreduktion von Branche zu Branche unterschiedlich viel kosten - und eine, deren Produktionsprozess relativ ho-hen Energieeinsatz erfordert und sie deshalb besonders treibhausrelevant macht, die Produkte aber eine vergleichsweise geringe Wertschöpfung mit sich bringen, könnte auch unter dem vorgeblich so marktgängigen Handel leiden: Betrüge der Preis für eine Lizenz-Tonne CO2 etwa 40 Euro, wäre das nach Fedil-Schätzungen für die heimische Baustoffindustrie viel zu viel.
Obwohl die Regierungen der Mitgliedstaaten erst bis zum 31. März 2004 ihre nationalen Pläne für die Zuteilung der Verschmutzungsrechte vorlegen müssen, soll sich der Umweltminister schon jetzt dafür einsetzen, dass die Lizenzen weder zu einem Festpreis abgegeben, noch ersteigert werden sollen. "Benchmarking" schwebt Luxemburgs Industriellen vor - ein europaweiter Vergleich unter Betrieben gleicher Branchen zur Analyse der Investitionskosten in den Klimaschutz im Verhältnis zum Materialeinsatz und zum Betriebsergebnis. Nähme man die leistungsfähigsten Unternehmen Europas als Referenz, könnte man je nachdem, inwieweit die heimischen Betriebe dieser entsprechen, an sie einen Teil der Emissionsrechte frei vergeben und für den Rest vorschreiben, ihn am Markt erwerben zu müssen. Fedil-Berater Winkin hält den etwa in den Niederlanden zwischen den Ölraffinerien schon bestehenden Emission performance standard für eine bedenkenswerte Einrichtung: Werden die Raffinerien in ihrer Emissionsbilanz schlechter als die besten zehn Prozent aller Raffinerien weltweit, müssen sie Emissionsrechte kaufen. Einen ähnlich gelagerten firmeninternen Emissionshandel gibt es seit Anfang 2000 beim Ölmulti BP.
Die womöglich allergrößte Herausforderung an die politische Handhabung des Emisionshandels in Luxemburg aber dürfte darin liegen, dass der Staat die Menge der nationalen Lizenzen im Voraus bei der EU-Kommission bestellen muss. Eigentlich müsste bis März 2004 klar sein, welche Struktur die heimische Industrie zumindest in den besonders klimarelevanten Branchen bis Ende 2007 haben wird. Und im Frühjahr 2007 würden die Weichen für den Zeitraum 2008 bis Ende 2012 gestellt. Zwar bestünde, sollten hier zu Lande durch einen treibhausgasintensiven Neuankömmling plötzlich die Lizenzen knapp werden, die Möglichkeit, auf andere im Kioto-Protokoll vorgesehene Schlupflöcher auszuweichen: etwa die Mitfinanzierung von Klimaschutzprojekten in jenen Ländern, die in ihren Emissionen noch zulegen dürfen, wie Russland, oder Technologietransfer.
Die spannende Frage, welche Struktur die auf allgemein auf hohem Wertschöpfungsniveau operierende heimische Wirtschaft in den nächsten Jahren haben soll, stellt sich dennoch. Fällt doch etwa das für den Finanzplatz nicht unerhebliche Jahr 2010, mit der nach Einführung der Informationspflicht über Zinserträge weit reichenden Aufweichung des Bankgeheimnisses, ausgerechnet in jene "Kioto-Periode", in der Klima-Sünderländer mit Geldbußen belegt werden. Und es könnte sein, dass in Europa die Liste der zum Emissionshandel verpflichteten Branchen ab 2008 um-fangreicher wird als bisher. Noch ein Grund, in der anstehenden "Zukunftsdebatte" ernsthafte Überlegungen über die künftige Struktur der Industrie anzustellen.