d'Lëtzebuerger Land: Vor sechs Wochen haben Premier Juncker und Wirtschaftsminister Grethen gesagt, Luxemburgs Klimaschutzziel werde seiner ökonomischen Entwicklung nicht gerecht. Sehen Sie das auch so?
Nicolas Soisson: Nachhaltige Entwicklung muss auch die Wirtschaft einbeziehen. Alle Jahre wieder wird bei der Abstimmung des Staatsbudgets festgestellt, der Anteil des Finanzsektors am BIP sei noch zu hoch. Wir müssen weiter diversifizieren. Sicherlich in alle Richtungen, auch im Diensleistungsbereich. Aber die Industrie, wie wir sie sehen, soll eine der wichtigsten Säulen der Volkswirtschaft bleiben und sich weiter entwickeln können. Wir fürchten, die Manövriermasse für weiteres Wachstum könnte verschwinden, obwohl Luxemburg sich, auch aus sozialen Gründen, für ein weiterhin hohes Wachstum entschieden hat.
Weshalb sollte das Klimaschutzziel ein Hindernis dafür sein?
René Winkin: Wir haben die Entwicklungen der Emissionen hoch gerechnet. Referenzjahr ist bekanntlich 1990. Bisher liegen alle klimarelevanten Daten für 2000 vor, für 2001 kennen wir obendrein die Entwicklung im Straßentransport und beim Kraftstoffverkauf. Beide sind im letzten Jahr um weitere fünf Prozent gewachsen. Dazu kommt demnächst mit jährlich 900 000 Tonnen CO2 die Twinerg-Zentrale. Daraus kann man einen Trend ermitteln. Kürzlich hat sich ergeben, dass die CO2-Ausgangsbasis 1990 für Luxemburg noch nicht klar ist. Ursprünglich war die Rede von 13,9 Millionen Tonnen CO2, dann hieß es, es seien eventuell nur 12,4 Millionen, nun arbeitet man wieder mit 13,9 Millionen. Der Umweltminister hat kürzlich noch beide Zahlen benutzt. Wir haben ebenfalls für beide Fälle nachgerechnet. Seit der Umstrukturierung im Stahlsektor sind die Emissionen der Industrie grosso modo stabil geblieben. Unterstellt man, dass das wegen der laufend stattfindenden Effizienzanstrengungen so bleiben wird, kommt man mit der Addition des Twinerg-Anteils und dem Wachstum im Kraftstoffverkauf im Jahr 2002 auf ein Einsparvolumen von minus 24 Prozent für den Fall, es gelten 13,9 Millionen Tonnen CO2 für das Jahr 1990. Sollten als Referenz am Ende die 12,4 Millionen Tonnen gelten, auf minus 15 Prozent - Tendenz steigend. Erreichen wollen wir aber minus 28! Nicht enthalten in diesen Prognosen ist die zu erwartende Emissionssteigerung der Privathaushalte, aber wir wissen zumindest, dass 2001 hier sowohl der Verbrauch von Heizöl wie auch der von Gas gestiegen ist. Wenngleich das zum Teil auch daran lag, dass 2001 ein relativ kaltes Jahr war und mehr geheizt wurde.
Für den Wohnbereich soll ja in wenigen Wochen ein Mechanismus vorgelegt werden, der mit staatlichen Beihilfen Wärmeisolation fördert. Der Umweltminister erhofft sich daraus Emissionsrückgänge der Heizungen um bis zu 30 Prozent.
RW: Eine gute Initiative, aber das wird ein langsamer Prozess werden, der 2008 kaum abgeschlossen sein wird. Zum Vergleich: Wenn man den Schwefelgehalt des Benzins herabsetzt, führt das innerhalb von Tagen dazu, dass alle Autos weniger Schwefeloxide emittieren. Mache ich es über den Einbau von Katalysatoren, dauert es zehn Jahre, bis auch der letzte Wagen umgerüstet ist. Die CO2-Reduktion im Wohnungsbau dürfte noch viel träger verlaufen. Selbst wenn ich ganz aggressiv vorgehe mit den Hilfen zur Wärmeisolation, wird nicht jeder Hausbesitzer gelaufen kommen und sagen: Ich habe ein paar zigtausend Euro auf der Seite, um mein Haus zu isolieren, auch wenn er 30 Prozent Subventionen bekommt. Und: Es fragt sich, ob selbst im besten Fall diese Emissionseinsparungen nicht durch das Bevölkerungswachstum aufgefressen werden.
Und damit kommen wir zum Punkt: Ganz abgesehen von der wirtschaftlichen Diversifizierung haben die in letzter Zeit getroffenen politischen Entscheidungen weiteres Wachstum zum Ziel. Ob wir das erreichen, ist eine andere Frage. Aber die gesamte politische Klasse ist offenbar einverstanden damit. Wenn das so ist, muss sich das auch in unserer Strategie zur Erreichung des Klimaziels widerspiegeln.
Der Entwurf der nationalen Klimastrategie vom Mai 2000 ist in Ihren Augen keine?
RW: Nur teilweise. Es ist ein Katalog von Maßnahmen, von denen einzelne nicht in diesen Kontext passen. Es wird etwas ausgesagt über rationellere Energienutzung, über erneuerbare Energien, über Konzepte im Transport. An erster Stelle werden die erneuerbaren Energien genannt. Sicher, man soll sie entwickeln, auch die Kraft-Wärme-Kopplung, die Cogénération. Aber man darf das nicht verwechseln mit einer Politik zum Erreichen des Einsparziels. Es ist ja so: Aufgrund der Methodologie, nach der im Kioto-Protokoll die Emissionen bestimmt werden, wird die Produktion des Stroms innerhalb der Landesgrenzen berücksichtigt und nicht der Verbrauch. Erhöhen wir den Anteil erneuerbarer Energien im Lande, ist das global betrachtet durchaus gut für das Klima, aber nach der Methodologie ersetzt man damit Strom, den wir bisher noch importieren und der für uns ohnehin nicht zu Buche schlägt. Mit der Cogénération verhält es sich noch ungünstiger. Das ist eine ökologische Stromproduktionsmethode, aber ganz ohne Emissionen arbeitet sie nicht. Baue ich ihren Anteil hier zu Lande aus, steigen unsere Emissionen sogar.
Plädieren Sie für eine Neuverhandlung der Methodologie, die den Verbrauch anstelle der Produktion berechnen würde?
RW: Das wäre rechnerisch sogar von Nachteil für uns. Unseren Analysen nach stünden wir dann um noch sieben bis neun Prozentpunkte schlechter da. Außerdem ist die Methodologie kaum noch verhandelbar. Höchst klimarelevant ist unser Straßentransport. Aber: Wohin bringt uns das beste Konzept für den öffentlichen Verkehr, wenn wir in den kommenden fünf, sechs Jahren und auch darüber hinaus ein Wirtschaftswachstum von jeweils fünf Prozent anstreben und davon ausgehen, dass 2020 mehr als doppelt so viele Leute hier arbeiten wie derzeit? Würde die Zahl derer, die auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen, nicht ähnlich wie im Wohnbereich überkompensiert durch die größere Zahl der Leute insgesamt, die wir ja haben wollen? Was wir in der Strategie vermissen, ist ein dynamisches Element. Sie basiert auf Zahlen von 1998. Wenn man nur sieht, dass der Kraftstoffverbrauch sich seitdem explosionsartig entwickelt hat, dann stellt das ganz viel in Frage. Wir haben für den Referenzfall "12,4 Millionen Tonnen 1990" ausgerechnet, dass man mit sofortiger Wirkung den Kraftstoffverkauf um mindestens 30 Prozent senken müsste, um die Kioto-Ziele allein heute einhalten zu können.
Was halten Sie davon?
RW: Das kann man tun, aber es ist eine politische Wahl. Dem Staat gingen jährlich schätzungsweise 150 Millionen Euro an direkten Einnahmen verloren. Indirekte Ausfälle, z.B. aus dem Zigarettenverkauf an den Tankstellen, noch nicht eingerechnet.
NS: Diese Einnahmen sind zum großen Teil längst zweckgebunden. Daraus wird die Sozialversicherung mitfinanziert, der Elternurlaub, der Fonds pour l'emploi. Will der Finanzminister an erster Stelle, will die Sozialversicherung an zweiter Stelle sich eine solche Senkung erlauben, und wenn ja bis wohin? Die Anzapfung der Einnahmequelle Treibstoff hat Tradition. Wenn wir in der Tripartite zusammensaßen und über Beschäftigungs- und Sozialmaßnahmen und deren Finanzierung sprachen, haben wir oft entschieden, den Preis für Benzin oder Diesel um einige Centimes zu erhöhen. Ich denke, von diesem Punkt gibt es keinen Weg zurück. Jedenfalls keinen einfachen. Ganz zu schweigen von den Problemen, die ein solcher Schritt für etliche industrielle und mittelständische Betriebe bedeuten würde, die viel Geld in die Tankstellen und Grenzgeschäfte investiert haben.
Wie könnte denn in den klimarelevanten Jahren die Industrie strukturiert sein? Gibt es dafür Szenarien?
RW: In Luxemburg sind rund ein Dutzend Betriebe ausschlaggebend. Wohlgemerkt, im industriellen Bereich, nicht im nationalen Maßstab, da ist der Treibstoffverbrauch das entscheidende Moment. Wir haben in der Industrie nachgefragt, wie sich die Emissionen in einem guten, einem mittleren und einem schlechten Szenario entwickeln würden. Es stellte sich heraus, dass es praktisch keine Manövriermasse mehr gibt. Ein solcher Sprung wie Anfang der 90-er Jahre mit der Umstrukturierung der Stahlindustrie ist nicht nochmal drin. Die Stahlindustrie arbeitet mit Anlagen, die in den 90-ern installiert wurden, die werden nicht demnächst ersetzt; man hat die Technologie erst seit ein paar Jahren voll im Griff. Und selbst wenn das geschähe, reduzierten wir die Emissionen nicht noch einmal um Hunderttausende von Tonnen. Ein anderes Beispiel ist unsere Zementindustrie: Sie muss Kalkstein im Ofen zu Klinker verarbeiten - die einzige Manövriermasse dort ist die Nutzung von Sekundärstoffen mit hohem Brennwert anstelle von Feinkohle. Da entsteht dennoch CO2, aber man schont Ressourcen, weil man Abfälle nutzt, die andernfalls verbrannt würden und nichts damit produziert würde.
Das ist aber nicht das, was uns dem Kiotoziel näher bringt. Sogar im wirtschaftlich schlechten Szenario, sagen uns die Betriebe, würden ihre Emissionen wohl dort bleiben, wo sie im Moment sind, weil es Investitionsprojekte gibt. Das wird ja auch gewünscht, unsere Wirtschaftspolitik ermutigt die Betriebe, wenigstens nicht zu reduzieren, am besten auszuweiten. 2001 gab es eine größere Investition in der Glasindustrie. Die einzige große im vergangenen Jahr. Alle schienen froh darüber. Auch die Stahlindustrie hat eine größere Investition in Luxemburg angekündigt. Die letzte Stahltripartite hat darauf gedrängt, und es gäbe einen landesweiten Aufschrei, würde Arcelor ihre Aktivitäten hier abbauen. Investiert wird übrigens auch in die Ausweitung des Treibstoffverkaufs. Das ist interessant. Es werden z.B. die Autobahntankstellen ausgebaut - es hat sich herausgestellt, sie sind zu klein. Und wer investiert dort? Nicht nur die Betreiber, auch der Luxemburger Staat.
Für industrielle Investoren ist es auch im Zusammenhang mit der Kioto-Diskussion sehr wichtig, die nötige Planungssicherheit zu haben. Zurzeit sind die langfristigen Zielsetzungen der Politik jedoch nicht klar zu erkennen.
Was erwarten Sie von der Regierung?
NS: Zumal nach den jüngsten sozialpolitischen Entscheidungen sehe ich keine Alternative zu weiterem hohen Wachstum. Andererseits sind die Klimaziele ratifiziert. Das ist die Realität. Aber dann ist etwas an unserer Klimaschutzstrategie falsch. Sie müsste konform gehen mit dem, was der Wirtschaftsminister in der Diversifizierung anstrebt, mit dem, was der Sozialminister im Rentenbereich bieten will. Geht das nicht, muss man einem der Minister sagen, deine Wünsche können wir nicht erfüllen. Mit allen Konsequenzen für die Leute, die hier Geld verdienen. Und wenn das niemand will, muss man sich eingestehen, dass das Klimaschutzziel nicht allein im Lande zu realisieren ist. Dann landen wir in der Situation, in der die Niederlande sind, die sich auch für die nächsten zehn Jahre weitere Wachstumsoptionen offen halten wollen. Sie sagen, was wir im Land an Klimaschutz leisten können, tun wir, den Rest kaufen wir im internationalen Emissionshandel. Man kann sagen, das ist gut oder nicht gut. Wir haben uns in die Situation gebracht, und wir müssten uns dazu bekennen können. Neben vernünftigen nationalen Maßnahmen zur rationellen Energienutzung muss der Griff zu den flexiblen Kioto-Mechanismen auch für Luxemburg ein Thema sein. Wir betrachten die Unterstützung von Umweltprojekten in anderen Ländern und den Einkauf der dazugehörigen Emissionsrechte nicht als unmoralisch. Aber es wäre bedenklich, wenn wir ab 2008, ob unseres hochgesteckten Zieles, wegen Untätigkeit in diesem Bereich hohe Strafen zahlen müssten.
Sie sagen, die Industrie tue ihr Möglichstes. Maßnahmen wie einer Energiebesteuerung hat sich die Fedil stets widersetzt. Stattdessen wurden Accords volontaires zur Steigerung der Energieeffizienz abgeschlossen. Der erste lief Ende 2000 aus. Das Umweltministerium zumindest hat das Konzept nicht auf seine Lenkungswirkung zur Emissionsreduktion untersucht. Hat die Fedil es getan?
RW: 30 Betriebe, die 1990 viel emittierten, haben einen Accord volontaire abgeschlossen. Im Schnitt haben diese 30 ihre Energieeffizienz um 15 Prozent verbessert. Wir sind zurückhaltend damit, Zahlen ins Fenster zu stellen, aber in dem neuen Accord, der am 29. April unterschrieben werden soll, wird stehen, dass es in den 20 Jahren Kioto-Periode 1990-2010 möglich sein muss, um 20 Prozent effizienter zu werden, also noch fünf Prozent zusätzlich zum 2000 erreichten Ziel. Neu wird auch sein, dass einige große Betriebe, die zusammen 80 Prozent des industriellen Energieverbrauchs ausmachen, sich einem externen Energie-Audit unterziehen müssen. Die Effizienz kann bei dem einen oder anderen noch gesteigert werden, das liegt in der Natur des technologischen Fortschritts. Besseres Energiemanagement kann ebenfalls Verluste auffangen. Aber die Effizienzsteigerung beträgt ungefähr ein Prozent im Jahr, und wenn gleichzeitig die Produktion um 1,5 Prozent wächst, geht auch der Energieverbrauch eher langsam nach oben. Wollen wir, dass die Industrie noch weiter investiert und nicht von 14 Prozent Anteil am BIP auf 13 und eines Tages vielleicht auf unter zehn Prozent fällt, müssen wir dafür sorgen, dass sie wachsen kann. Wir wollen uns messen lassen an der Effizienz und sind auch bereit, noch mehr zu tun. Aber: Wenn man morgen höheren Mehrwert erzeugen muss, wenn etwa eine Glasindustrie ihre Produkte zusätzlich beschichtet, um die Isolationsfähigkeit von Autofenstern zu verbessern, brauche ich pro Tonne Endprodukt mehr CO2. Das Endprodukt selbst bringt Einsparungen, aber die Industrie verbraucht erst einmal mehr.
NS: Unserer Erfahrung nach funktioniert die Lenkungswirkung - ohne dass man die Betriebe unter Zugzwang setzt. Das freiwillige Engagement ist da. Wenn man dagegen Verordnungen erlässt oder Taxen einführt, entstehen gerne Nebenwirkungen, die mit der ursprünglichen Zielsetzung nicht mehr viel zu tun haben. Die Wirksamkeit des Instruments an sich kann man nicht mehr in Frage stellen. Da wird gefordert, dass die Betriebe sich ein Energiemanagement geben und analysieren müssen, warum der Energieaufwand innerhalb eines Prozesses in die eine oder andere Richtung verläuft und welche Verbesserungen möglich sind. Jedes Jahr muss man den Trend mitteilen. Im zweiten Accord wollen wir die Zahl der teilnehmenden Betriebe verdoppeln. Es ist wichtig, dass sich kleine Firmen erst einmal eine Struktur geben, um diese Entwicklungen zu verfolgen. Die großen tun das von selbst, bei den kleinen haben wir schon viel bewegt. Wir lassen uns messen, es geht nicht darum, einfach etwas zu unterschreiben, was freiwillig ist, und dann geschieht nichts. Es geht auch um unseren Ruf.