Wirtschaftsdaten

Schwindlig

d'Lëtzebuerger Land vom 26.04.2001

Gleich viermal wurde diese Woche statistisches Zahlenmaterial vorgestellt. Bilanziert wurde das Jahr 2000 aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Am Montag stellte die Aufsichtsbehörde des Finanzsektors CSSF ihren Jahresbericht vor. Am Dienstagnachmittag war es an der Zentralbank BCL, nachdem das statistische Amt Statec am Vormittag seine Konjunkturnote  vorgestellt hatte. Den Abschluss machte die Bankenvereinigung ABBL am Mittwoch.

Die Ziffern dürften bei den meisten Zeitgenossen taumelerregend sein, nicht nur wegen ihrer Vielfalt, sondern auch wegen ihrer Eindruck erheischenden Qualität. Nicht ohne Wehmut wird Rückblick auf ein außergewöhnliches Jahr gemacht, das sich nicht so bald wiederholen dürfte. Die herausragendsten Eckwerte sind bekannt: Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts von 8,5 Prozent; 15 000 neue Arbeitsplätze, was einer Progression von 5,7 Prozent entspricht. Das laufende Jahr  wird von einer deutlichen  Verlangsamung  bestimmt. Der Statec rechnet damit, dass  das Wirtschaftswachstum auf rund fünf Prozent zurückfallen wird.  Mit einer geschätzten Steigerungsrate von sechs Prozent wird der Arbeitsmarkt aber auch weiterhin kräftig expandieren.

Für manche Beobachter bietet die Beruhigung der wirtschaftlichen Konjunktur die willkommene Chance einer Konsolidierung, nicht zuletzt an der Preisfront. An der Frage  der Inflation scheiden sich allerdings die Geister. Während der Statec davon ausgeht., dass das inflationäre Risiko gebändigt sein dürfte, vermag die BCL diesen Optimismus nicht ganz zu teilen. Nach einer gründlichen Analyse der Beschleunigung der Inflationsrate kommt sie zum Schluss, dass nicht nur die Erdölpreise und der Kursverfall des Euro verantwortlich sind, sondern auch hausgemachte Faktoren. Sie hat Selbstentzündungsmechanismen ausfindig gemacht, nicht zuletzt die automatische Lohnanpassung. Am Beispiel der Preise für Dienstleistungen wird recht überzeugend  nachgewiesen, wie das Wechselspiel zwischen Lohnindexierung und Preisentwicklung funktioniert..

Es gibt zum Teil abweichende Angaben in den verschiedenen Berichten, die aber  nicht weiter tragisch sind, da es, angesichts der boomenden Entwicklung auf ein paar Milliarden mehr oder weniger nicht ankommt. Die Divergenzen, die besonders in den Ziffern über die Entwicklung des Finanzplatzes auftreten, werden für gewöhnlich auf  unterschiedliche Bemessungsgrundlagen und Erhebungsmethoden zurückgeführt, was allerdings  Fragen über die Qualität der statistischen Daten aufwirft und es ratsam erscheinen lässt, mit vereinten Kräften an die statistische Erhebung heranzugehen,  anstatt dass jeder für sich seine Daten sammelt. Unterschiede in der Interpretation, wie  bei  der Bewertung der Inflation, sind allerdings  durchaus nützlich und wohl auch unvermeidbar,  da hier Meinungsverschiedenheiten über die richtige Politik und die richtigen Prioritäten zum Ausdruck kommen.

Aber wie gesagt,  Abweichungen zwischen den Zahlen von CSSF und BCL sind nicht weiter tragisch, angesichts der Rekordergebnisse des Finanzsektors. Die um 8,8 Prozent auf 705 920 Millionen Euro gestiegene Bilanzsumme der Kreditinstitute stellt mittlerweile 4,2 Prozent der Bilanzsumme der Banken in der Euro-Zone dar, was die Bedeutung des Finanzplatzes verdeutlicht, dessen Impakt auf die öffentlichen  Finanzen mit fast fünfzig Prozent zu Buche schlägt. Die ausgewiesenen Steuern auf dem Gewinn der Banken  erreichen 947 Millionen Euro und der Reingewinn 2,4 Milliarden Euro.

Die Zentralbank bleibt ihrer Rolle als Querdenkerin nicht  nur  bei der Bewertung der Inflation treu. Sie bemüht sich, gegen die weitverbreitete Hybris anzukämpfen, indem sie z.B. gewisse Vorurteile über  den Wohlstand der Luxemburger relativisiert. Angesichts der hohen Zahl an Gehältern, die an Nicht-Ortsansässige bezahlt werden (die rund 100 000 Grenzgänger) meldet sie Zweifel  an der Tauglichkeit des BIP an, das Pro Kopf-Einkommen der Luxemburger zu messen. Außerdem erinnert sie daran, dass es noch reichere Europäer als die Luxemburger gibt. In einer Aufschlüsselung des Pro Kopf-Einkommens nach Regionen rangiert Luxemburg in der Tat erst an dritter Stelle, nach London und Hamburg.

 

Mario Hirsch
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