Die Medien in den Nachbarregionen reagierten prompt. Kaum hatte Premier und Finanzminister Jean-Claude Juncker am letzten Donnerstag bekannt gegeben, dass die Regierung in ihrer Aufstellung des Staatshaushalts 2004 eine Erhöhung der Treibstoffakzisen vorsieht, schrieben so manche hektisch das Ende des Tanktourismus nach dem Großherzogtum herbei. Der Trierische Volksfreund etwa vermutete in geschliffenem Deutsch: "Das Leben im Paradies Luxemburg hat für Tanker aus Deutschland wohl bald ein Ende", und La Libre Belgique titelte umständlich: "L'arrêt essence au Luxembourg moins intéressant". Eben wegen jener sieben Cents pro Liter, um welche die Treibstoffakzisen steigen sollen, um den nationalen Beschäftigungsfonds aufzufüllen, der wegen des Anstiegs der Arbeitslosigkeit in diesem Jahr um 40 Prozent höhere Ausgaben verbuchen wird als 2002.
Doch wie die Dinge liegen, dürfte eher jener französische Fernfahrer Recht behalten, der dieser Tage in einer Fernsehsendung der belgischen RTBF meinte, "pour nous" werde das Tanken in Luxemburg wohl nicht teurer. Allenfalls für die Luxemburger.
Denn Trucks tanken Diesel und nicht Benzin, und wenn die regierungsoffizielle Pressemitteilung zur Budgetaufstellung noch von einer Akzisenerhöhung auf "carburants" sprach, redete Budgetminister Luc Frieden in einem Interview für Le Quotidien am Montag von einer Erhöhung der "contribution sociale sur l'essence". Auch dem Finanzministerium zufolge soll nächstes Jahr der Benzinpreis steigen, nicht aber der für Diesel. Ganz abgesehen davon, dass das Budget 2004 samt Akzisenzulage noch nicht verabschiedet ist.
Tritt sie in Kraft, könnte sie dem Staatshaushalt zusätzliche 52 Millionen Euro bescheren und damit die zuletzt durch die Benzinakzise eingenommenen Solidarabgaben etwa verdoppeln. Vorausgesetzt, es würde soviel Benzin verkauft wie die 743 Millionen Liter im Jahr 2002, weil der Markt so "stabil" geblieben ist, wie ihn das Groupement pétrolier luxembourgeois (GPL) Mitte Juli auf seiner Jahrespressekonferenz einschätzte: Seit dem Jahr 2000 ist die gezapfte Menge ungefähr dieselbe, und zu 60 Prozent füllen in Luxemburg Grenzpendler und durchreisende Ausländer ihren Benzintank auf.
Ein Aufschlag von sieben Cents auf die Benzinakzise würde das so genannte Preisdifferenzial gegenüber den Nachbarländern freilich verringern. Zwar ist das Drehen an der Akzisenschraube seit den 80-er Jahren eine Geheimwaffe der Tripartite, die Fedil-Direktor Nicolas Soisson einmal so beschrieb: "Wann immer wir in der Tripartite zusam-mensaßen und über Beschäftigungs- und Sozialmaßnahmen und deren Finanzierung sprachen, haben wir oft entschieden, den Preis für Diesel oder Benzin um einige Centimes zu erhöhen" (d'Land, 12. April 2002). Doch nur 1994 und 1998 fielen die Erhöhungen mit einem Plus von 1,75 bzw. einem Franken pro Liter drastisch aus; die jetzt mit einer Erhöhung von umgerechnet 2,80 alten Franken geplante übertrifft sie gar. So dass GPL-Präsident Jean-Paul Schmit nicht ganz ausschließen will, dass 2004 passieren könnte, was 1995 alle Akteure überraschte: ein Einbruch des Tanktourismus.
Mitte Juli kostete ein Liter bleifreies Eurosuper 95 hier zu Lande 78,5 Cents. Das waren 32,4 Cents weniger gegenüber dem Durchschnitt in Deutschland, 26,5 Cents weniger als in Frankreich und 22 Cents weniger als in Belgien. Werden sich belgische Benzinkunden noch nach Luxemburg locken las-sen, wenn nur 15 Cents Unterschied übrig bleiben? Zwar weiß man nicht, welche ausländischen Staatsangehörigen wieviel an Luxemburger Tankstellen zapfen. Nach der im Mai von Statec und Ceps vorgelegten Studie Les salariés frontaliers et leur dépenses au Luxembourg aber ließen die deutschen Grenzgänger im vergangenen Jahr mit 6 354 Euro zwar um 22 Prozent weniger Geld in Luxemburg als die belgischen. Doch wenn der Einkauf von Treibstoffen für Deutsche mit knapp 28 Prozent den größten Ausgabenposten darstellte, während er für Belgier mit 19 Prozent um fast ein Drittel weniger wichtig war, dann dürfte das mit den in Deutschland entschieden höheren Spritpreisen zu tun haben.
Aus allen drei Nachbarländern aber dringt derzeit frohe Kunde nach Luxemburg. In Deutschland, wo die Spritpreise u.a. auch wegen der 1999 eingeführten progressiven Ökosteuer besonders hoch sind, droht die vom Wirtschaftsministerium angedachte Abgabenreduktion für Anrainer der Spritparadiese Polen, Tschechien und Luxemburg an praktischer Undurchführbarkeit zu scheitern - mag auch Junckers Berliner Amtskollege Eichel erst letzte Woche ein neues Millionenloch in der Arbeitslosenversicherung entdeckt haben. In Frankreich und Belgien dürften die Treibstoffpreise im nächsten Jahr weiter steigen: In Frankreich ist für den Budgetentwurf 2004 eine Erhöhung der Treibstoffakzisen in der Diskussion, und in Belgien wur-de letzte Woche ein Rahmengesetz für eine Energiebesteuerung zur Erreichung des nationalen Klimaschutzziels verabschiedet. Es führt eine Ökosteuer ein, mit der die Treibstoffakzisen jährlich um vier Cents pro Liter steigen werden.
All das könnte auch Angriffe der EU-Kommission auf reduzierte Mehrwertsteuersätze in den Mitgliedstaaten kompensieren: Dass etwa in Luxemburg Zigaretten und Alkoholika derzeit noch mit zwölf statt 15 Prozent besteuert werden, soll nach Brüsseler Willen schon bald passé sein (d'Land, 25. Juli 2003). Pech für die Auslandskunden, die an hiesigen Tankstellen nicht nur Sprit, sondern ein "package" an Waren kaufen. Laut Groupement pétrolier nahm der Staat im Jahr 2002 eine Milliarde Euro aus den Gesamtaktivitäten der Tankstellen ein, aber nur 620,3 Millionen stammten aus Treibstoffakzisen. Den Rest hätten vor allem Mehrwertsteuern auf Kaffee, Zigaretten und Alkoholika ausgemacht, sowie Akziseneinnahmen auf Tabak und Alkohol. Vorsichtshalber plant die Regierung laut Budgetminister Frieden keine Erhöhung der Tabakakzise, und zum Glück ist nicht auszuschließen, dass in Deutschland zur Finanzierung der Gesundheitsreform die Tabakpreise demnächst französisches Niveau erreichen könnten.
Spricht die Entwicklung in den Nachbarländern dafür, dass auch eine höhere Benzinakzise weiterhin Kunden nach Luxemburg locken wird, hat die Regierung auf dem weitaus bedeutsameren Dieselmarkt den Tanktourismus für Jahre abgesichert. Über 1,15 Millionen Tonnen Diesel wurden 2002 verkauft - fast doppelt so viel wie Benzin. Und um 17 Prozent mehr als im Jahr 2000, in welchem noch etwas mehr Benzin verkauft worden war als zwei Jahre später. Schätzungen des Groupement pétrolier zufolge gingen etwa drei Viertel des 2002 an Luxemburger Tankstellen verkauften Sprits an Ausländer, aber während es an die 60 Prozent des Benzins waren, wa-ren es beim Diesel über 80 Prozent. Und dass, obwohl auch in Luxemburg sich seit einigen Jahren dieselgetriebene Pkw wachsender Beliebtheit erfreuen: Die Autohändlerverbände Adal und Fegarlux rechneten im Januar vor, dass 1998 der Anteil von Pkw mit Benzinmotor am nationalen Autopark noch 61 Prozent betragen hatte. 2002 hatte sich das Verhältnis zu-guns-ten dieselgetriebener umgekehrt, und dieser Trend werde wohl weitergehen (d'Land, 24. Januar 2003).
Und so konnte der Staat im letzten Jahr auf den billigeren Diesel auch weitaus mehr Akziseneinnahmen abschöpfen als aus dem Verkauf des verhältnismäßig teureren Benzins. Von 620,3 Milionen Euro Akzisenerlös aus dem Treibstoffgeschäft stammten lediglich 276,5 Millionen Euro aus dem Benzinverkauf.
Bei diesen für das Staatsbudget komfortablen Verhältnissen dürfte es auch noch weit über den nächsten Wahltermin hinaus bleiben. Im EU-Rat der Wirtschafts- und Finanzminister (Ecofin) hat Luxemburg sich eine für seinen Tanktourismus günstige Ausgangsposition gesichert, als am 20. März die Minister nach fünfjährigem Gerangel zu einer politischen Einigung über Minimalabgaben auf Energieprodukte fanden. Auf mindestens 35,9 Cents pro Liter bleifreies Benzin müssen die Akzisen ab 1. Januar nächsten Jahres steigen, sieht ein Direktivenentwurf der EU-Kommission vor. Zurzeit beträgt der Minimalsatz noch 28,7 Cents. Doch von den EU-15 lag laut einer Kommissionsstatistik vom Februar 2002 allein Griechenland mit 29,6 Cents pro Liter in der Nähe dieses Minimums. Die Luxemburger Benzin-Akzisen waren mit 37,2 Cents pro Liter zwar die zweitniedrigsten, lagen jedoch schon damals über dem Minimalwert, der ab An-fang nächsten Jahres gelten soll. Sollten noch sieben Cents mehr erhoben werden, bewiese Luxemburg unionspolitisch guten Willen, situierte sich aber nur im Mittelfeld: Anfang 2002 lagen die Akzisen zum Vergleich in Frankreich bei 57,4 Cents, in Belgien bei 50,7, in Deutschland bei 62,4 und im Hochtaxenland Großbritannien bei 74,2 Cents pro Liter.
Der lukrative Dieselmarkt präsentiert sich anders. Hier müssen noch mindestens 24,5 Cents pro Liter erhoben werden. Die zurzeit geltende Luxemburger Akzise von 25,3 Cents wird nur von Griechenland unterboten, das gerade mal dieses Minimum eintreibt. 30,2 Cents sol-len es ab 1. Januar nächsten Jahres sein, und 33 Cents pro Liter Diesel ab 1. Januar 2010 . Dieser Vorschlag fand auch das Plazet des Luxemburger Finanzministers. Doch wie so manche seiner Kollegen handelte er eine Übergangszeit aus: Erst am 1. Januar 2009 wird Luxemburg das für 2004 vorgesehene Minimum umsetzen, die 33-Cents-Marke nicht 2010 erreichen, sondern erst 2012.
Eine Manövriermasse, die vorerst genug Spielraum lässt zum Drehen an der Spritakzisenschraube zugunsten der Staatseinnahmen. Und wenn 2002 knapp ein Sechstel dieser Einnahmen aus dem Tankstellen-"package" stammten, ist das genug, um mit ökologischem Motiv vorgetragene Bedenken am Tanktourismus bislang abprallen oder Inszenierungen gleichen zu lassen. 95 Prozent aller Grenzgänger tanken in Luxemburg, ermittelte die Statec-Ceps-Studie. 58 000 Pkw kommen aus dem grenznahen Ausland an Sonntagen zum "Einkaufen" nach Luxemburg, ergab 1998 eine Verkehrserhebung der Basler Prognos AG für das Transportministerium. Nach Lesart der EU-Kommission ist dergleichen des Lärmes und der Abgase wegen nicht nur ökologisch bedenklich, sondern verursacht der Allgemeinheit externe Kosten für Schadensbe-grenzung und "Reparatur", die noch zunehmen durch jene, die Straßenabnutzung oder Unfälle verursachen.
Dieser Kostenzusammenhang aber wurde hier zu Lande bisher noch nicht untersucht. Als am 4. Juli 2002 der zur parlamentarischen Orientierungsdebatte über die nachhaltige Entwick-lung des Landes vorgelegte Bericht des Umweltausschusses dies verlangte und mit Ausschusspräsident Emile Calmes und Vize Gusty Graas sogar zwei Abgeordnete der Koalitionspartei DP dafür plädierten, ein Moratorium über den Straßenbau zu verhängen, weil eine Angleichung der Treibstoffabgaben auf EU-Niveau den Tanktourismus senken und den Bedarf an neuen Straßen in Frage stellen würden, scheiterten diese Vorstöße auch an den Kollegen der eigenen Fraktion. Und wenn Bautenministerin Erna Hennicot im Sommer 2000 noch fand, Autobahnbauten hätten sich in der Vergangenheit zu stark am Tanktourismus orientiert und damit müsse nun Schluss sein, ließ sie zwei Jahre später Neubauten wie u.a. die Verlängerung der Saarautobahn nach Belgien studieren.
Allein die Klimaschutzproblematik könnte zu einem Prüfstein für den Tanktourismus werden. Zurzeit lässt er ein Erreichen des CO2-Reduktionsziels unrealistisch erscheinen. Im Herbst will Umweltminister Goerens der Tripartite Kostenvergleiche präsentieren, welche die Eine-Milliarde-Einnahmen gegen den Ernstfall, nicht reduziertes CO2 zöge Strafgelder nach sich, aufrechnen. Aber vielleicht einigt sich die Tripartite ja auf den Vorschlag, den die Fedil vor ein paar Tagen machte: Treibstoffakzisen sollten in einen Fonds fließen, aus dem Luxemburg im Ausland Emissionsrechte kauft. Zwar würden Grenzpendler und Durchreisende dann auch für den Luxemburger Klimaschutz aufkommen. Doch die Frage, aus welchen Töpfen Arbeitslosengeld, Elternurlaub, Familienzulage oder Kindergeld ganz oder mit finanziert werden, wenn der Tanktourismus begrenzt werden müsste, stellt sich ebenfalls.