Siebeneinhalb Jahre ist es nun schon her, dass das Gesetz über den Pacte logement in Kraft trat, am 1. November 2008. Darin steht unter anderem, die Gemeinden könnten eine Taxe auf leerstehende Wohnungen und ungenutztes Bauland einführen. „Leer“ ist laut dem Gesetz eine Wohnung, die seit 18 Monaten unbewohnt ist. „Ungenutzt“ ist Bauland, auf dem drei Jahre nach seiner Ausweisung als solches noch immer nicht gebaut wird. Vorsichtigen Schätzungen nach sollen im ganzen Land zwischen 10 000 und 20 000 Wohnungen leer stehen. Was immerhin so viele wären, dass darin der Bevölkerungszuwachs der vergangenen zwei bis vier Jahre untergebracht werden könnte. Über brachliegendes Bauland gibt es keine Schätzungen.
Bis heute haben nur sechs der 105 Gemeinden eine Leerstands-Taxe eingeführt. Beckerich, Diekirch und Esch/Alzette waren 2012 die ersten. Ein Jahr später fasste auch der Gemeinderat von Esch/Sauer einen solchen Beschluss, 2014 noch der von Bettendorf und der von Redingen. Eine Baulandsteuer dagegen gilt bisher nur in Esch/Alzette.
Dass eine solche Taxe besteht, muss aber nicht heißen, dass sie eingetrieben wird. Bislang geschieht das nur in Beckerich und Esch/Sauer. Dort werden pro Leerstands-Jahr 500 beziehungsweise 1 000 Euro auf eine Wohnung fällig. Bettendorf dagegen ist noch nicht so weit; dort muss der Leerstand erst noch ermittelt werden. In Diekirch, Esch/Alzette und Redingen werden noch keine Rechnungen verschickt. Vera Spautz, die LSAP-Bürgermeisterin von Esch/Alzette, ist dazu prinzipiell entschlossen, wie sie dem Land erklärt. Ihr Diekircher Amtskollege Claude Haagen, der LSAP-Vorsitzende, hingegen hofft, dass er das nie wird tun müssen, und dem Redinger Bürgermeister Henri Mausen geht das ähnlich. In Redingen liegt die Leerstands-Taxe bei 1 000 Euro im Jahr, in Diekirch bei 1 200 Euro. In Esch/Alzette gilt statt einer Pauschale eine Berechnungsformel und die Taxe steigt mit der Zeit.
Aber warum führt man solche Taxen ein, wenn man sich anschließend scheut, sie einzukassieren? Einerseits, weil es politisch heikel ist, den Bürgern und Wählern so etwas zuzumuten. Das wusste auch die damalige CSV-LSAP-Regierung und hütete sich, im Pacte logement-Gesetzentwurf die Taxe als landesweites Instrument vorzusehen. Offiziell hieß es, das werde den Gemeinden überlassen, weil denkbar sei, dass nicht jede an Einwohnern zulegen wolle. Was eine erstaunliche Begründung war, denn über die Wohnungsbaupakte sollten alle Gemeinden wachsen. Tatsächlich war die Taxe vor allem innerhalb der CSV umstritten. Der damalige Wohnungsbauminister Fernand Boden aber war dafür und Premier Jean-Claude Juncker auch. So gelangte sie zumindest als kommunale Option ins Gesetz.
Andererseits ist „Leerstand“ kein einfacher Sachverhalt. In den fünf Gemeinden außer Bettendorf, wo die Taxe bisher anwendbar ist, wurde nicht nur aufwändig ermittelt, welcher Wohnraum leer steht. Es wurde und wird auch das Gespräch mit den Besitzern gesucht, um Erklärungen gebeten und mit ihnen geprüft, ob die Wohnungen sich wieder beziehen lassen. In Esch/Alzette dauerte das Jahre. Nach der Volkszählung 2011 schätzte man den Leerstand auf 200 Häuser und 800 Apartments. Auf die Anschreiben der Gemeinde reagierten aber nur 230 Besitzer. „Wir haben viele logische Erklärungen für den Leerstand erhalten“, sagt Vera Spautz. Viele ältere Besitzer seien darunter gewesen und viele Erben, die nicht wüssten, wie sie mit geerbten Immobilien umgehen sollen. Und in Fällen „wo eine ältere Person in ein Altersheim gezogen ist, greifen wir natürlich nicht ein“.
Die Bürgermeister der anderen Gemeinden äußern sich ähnlich. In Beckerich und Redingen seien die meisten leeren Wohnungen so „kaputt“, dass sie unbewohnbar seien. In Esch/Sauer, erzählt Bürgermeister Gilles Kintzelé, hätten so manche Besitzer leerstehender Häuser bei der Gemeinde beantragt, sie nicht mehr als Wohngebäude zu betrachten. „Das tun wir auch, falls das Haus nicht mehr bewohnbar ist. Wir sagen dem Besitzer aber, falls er es renoviert, müsse er erneut für die Erschließung des Grundstücks durch die Gemeinde bezahlen.“
In Esch/Sauer blieben nach Abzug aller Leerstände, die sich erklären lassen, 32 Wohnungen, auf welche die Taxe nun kassiert wird. In Beckerich sind es 20. Großen Ärger gebe es nicht. In Esch/Sauer hätten „rund ein Dutzend Leute reklamiert", so Kintzelé. „Aber wir sind eine Landgemeinde und auf Zuwendungen vom Staat und den Finanzausgleich aus der Gewerbesteuer angewiesen. Die werden unter anderem nach der Einwohnerzahl verteilt, wir haben also ein Interesse daran, dass in unseren Wohnhäusern Leben herrscht.“
Die beiden Eschs handhaben, wie die Dinge liegen, die Leerstands-Taxe anders als die anderen drei Gemeinden. Bei ihnen ist sie auch als Sanktionsinstrument gedacht, wenngleich Vera Spautz betont, es habe „schon viel Bewegung gegeben, ohne dass wir eine einzige Rechnung verschickt haben“: Die einen Besitzer hätten angegeben, nun zu renovieren, die anderen, zu verkaufen. Wieder andere würden nun doch vermieten. In Beckerich dagegen, wo unter dem damaligen Bürgermeister Camille Gira (Déi Gréng) als allererste Gemeinde Luxemburgs im März 2012 der Gemeinderat eine Taxenverordnung verabschiedete, sollte „vor allem für mehr Sozialwohnungen gesorgt werden“, sagt Giras Nachfolger Thierry Lagoda. Eine lokale Sozialwohnungsagentur wurde geschaffen, so etwas wie die landesweit agierende AIS im Kleinen. „Ermitteln wir Leerstand, schreiben wir den Besitzer an und vereinbaren einen Gesprächstermin.“ Die lokale Agentur kann sich dem Besitzer als Mieter anbieten, der die Untervermietung an „So-zial-Mieter“ übernimmt.
Im interkommunalen Syndikat Réidener Kanton wird darüber nachgedacht, eine Sozialwohnungsagentur der Syndikatsgemeinden aufzubauen. Führen könnte sie das regionale Sozialamt. Kommende Woche soll mit dem Wohnungsbauminister darüber diskutiert werden. Die Agentur könne auch in Redingen Wohnungsbesitzern die Weitervermietung anbieten, meint Bürgermeister Mausen – und Probleme mit jenen aus der Welt schaffen, „die mit Mietern schlechte Erfahrungen gemacht haben und sagen: Ich vermiete nie wieder! Denn was mache ich als Bürgermeister in solchen Fällen?“
Mit einer Taxe belastet die Gemeinde Redingen diese Besitzer ebenso wenig wie „die Tante, die zu ihrem Neffen gezogen ist“. Mausen ist froh, dass die 24 Wohnungen umfassende Redinger Leerstandsliste sich im Dialog abhaken ließ: „Zum großen Teil waren das heruntergekommene Häuser, die mittlerweile abgerissen wurden. Sechs Neubauprojekte gibt es schon.“ Und Mausen sagt unumwunden, dass er die Taxe am liebsten nie eintreiben würde.
So, wie auch der Diekircher Bürgermeister Claude Haagen: „Ich habe schon 2012 im Gemeinderat gesagt, wir schaffen mit der Taxe vor allem einen Anreiz und rütteln die Besitzer wach.“ Die 1 200 Euro jährlich seien ja „eigentlich ein Witz“. Haagen setzt lieber darauf, dass sich durch das Winken mit der Taxe herumspricht, dass die Gemeinde interessiert daran ist, Wohnungen anzumieten und als Sozialwohnungen weiterzuvermieten, so ähnlich wie das in Beckerich die lokale Agentur macht: Über 50 Wohnungen verfüge Diekirch derzeit, zwölf seien seit dem Taxen-Beschluss hinzugekommen. „Wir bieten den Besitzern eine Miete an, die zehn bis 15 Prozent unter der marktüblichen liegt, und vermieten zu Sozialbedingungen weiter. Wir können sogar eine Renovierung anbieten, aber dann verlangen wir, die Wohnung für mindestens zehn Jahre zur Weitervermietung zu erhalten.“
Gut möglich, dass die Taxen am Ende dazu führen, dass sich angesichts des Mangels an kommunalen Sozialwohnungen Lösungen vervielfachen, in denen sich eine Gemeinde oder eine Agentur zwischen Wohnungsbesitzer und Sozialmieter schaltet. Die Korntal-Gemeinden Differdingen, Kärjeng und Petingen etwa haben eine regionale Agentur aufgebaut, ohne mit Leerstands-Taxen auf sie hinzuweisen. Claude Haagen ist vom Diekircher Ansatz regelrecht begeistert: „Zahlt die Gemeinde einem Besitzer 900 Euro für seine Wohnung und vermietet sie vielleicht für 600 Euro weiter, muss sie zwar 300 Euro subventionieren. Aber das ist viel preiswerter als wenn wir selber bauen.“ Weil Diekirch seit 2015 durch einen Vertrag mit dem Wohnungsbauministerium 100 Euro pro Wohnung aus der Staatskasse zugeschossen erhält, sinkt der Subventionsaufwand noch weiter. Das Problem ist nur: Tritt eine Gemeinde – oder auch die AIS – als Mieter auf, der weitervermietet, muss sie dem Besitzer garantieren, dass er seine Wohnung bei Eigenbedarf nach einer gewissen Frist zurückerhält. Der Untermieter muss dann eine Alternative angeboten bekommen.
In Diekirch sei das bisher kein Problem gewesen, sagt der Bürgermeister. Doch letzten Endes ist das eine Frage des Angebots. „Die Taxen sind eindeutig ein Push-Faktor und wir sind ein Pull-Faktor“, sagt Gilles Hempel, der Geschäftsführer der landesweiten AIS. „Muss ein Mieter eine von uns weitervermieteten Wohnungen verlassen, versuchen wir möglichst in derselben Gemeinde oder zumindest in der Umgebung etwas anderes anzubieten.“ Meist klappe das, die AIS verfügt derzeit über 283 Wohnungen. Doch eine Gemeinde, die nichts mit der AIS zu tun hat, könne darauf nicht bauen. „Wir behandeln jene Gemeinden bevorzugt, die mit uns eine Konvention abgeschlossen haben und uns finanziell unterstützen.“ 25 sind das derzeit, darunter vor allem die Hauptstadt und ihre Speckgürtel-Gemeinden. Diekirch nicht.
Wichtig wäre deshalb wohl eine landesweite Lösung für Taxen und Anreize in Verbindung mit Vermietung von Sozialwohnungen. Doch in der Regierungskoalition sind Taxen nicht sonderlich en vogue als wohnungsbaupolitische Instrumente. „Die Regierung wartet ab, was bei uns geschieht“, meint die Bürgermeisterin von Esch/Alzette. In der mit Abstand größten Leerstands-Taxengemeinde ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass die Regelung vor Gericht angefochten wird, sobald tatsächlich die ersten Rechnungen verschickt werden. „Wir machen uns gar keine Illusionen, wir werden wohl Prozesse bekommen, aber dann passen wir unsere Taxen-Verordnung eben an“, sagt Vera Spautz. Ihr Diekircher Amtskollege ist nicht ganz so kühn: Nur wenn ein Besitzer „ganz zurückhaltend“ sei, einen Leerstand zu beenden, „würden wir ihm eine Rechnung schicken“, meint Claude Haagen und fügt hinzu: „Wegen 1 200 Euro im Jahr möchte ich nicht vor Gericht gehen.“