Das Referendum zur EU-Mitgliedschaft, das der britische Premierminister David Cameron seinen Landsleuten bis zum Jahr 2017 versprochen hat, war für ihn schon immer der bestmögliche Kompromiss: Eine Volksbefragung zeigt, dass er es in Sachen EU ernst meint und besänftigt die europa-skeptischen Hinterbänkler seiner Partei.Außerdem ist es ein effektives Wahlversprechen. Denn nur eine Wiederwahl der Tories in den Parlamentswahlen nächstes Jahr wird ein Referendum garantieren, beteuern die Konservativen.
Doch Cameron stößt auf zunehmenden Widerstand seitens der liberal-demokratischen Lords der Opposition. Diese stimmten nämlich Ende Januar gegen einen Gesetzentwurf, der ein Referendum bis 2017 ermöglichen sollte. Die trotzige Reaktion der konservativen Wahlkampfzentrale folgte auf dem Fuß: Sie tweetete sich den Frust der Tories von der Seele. Die Liberal-Demokraten und die Labour-Partei seien „entschlossen, euch [die Bürger] daran zu hindern, mitzureden zu können. Feinde der Demokratie“, hieß es angriffslustig.
Cameron will nicht aufgeben. „Wir werden denselben Entwurf in der nächsten parlamentarischen Sitzung erneut vorlegen, und wenn nötig, uns auf die Vorkehrungen des Parliament Act berufen, um Labour und die Liberal-Demokraten daran zu hindern, den Text zu zerstören“, warnte der Premier. Der Parliament Act, auch „nukleares Abschreckungsmittel“ genannt, blockiert das Mitspracherecht der Lords für den Fall, in dem sich Parlamentarier und Lords nicht einig werden. Dass dies noch vor den Wahlen passieren könnte, ist jedoch unwahrscheinlich.
Die Lösung liege in den Wahlen, sagt zumindest Cameron. „Wenn ich in den kommenden Wahlen als Premier wiedergewählt werde, wird es ein Referendum geben“, versicherte er wiederholt. Schatten-Außenminister Douglas Alexander hingegen sieht im Gesetzentwurf vor allem ein parteiinternes Ringen. „In Wahrheit ging es bei dieser Gesetzesvorlage immer mehr um die Parteiverwaltung der Konservativen als um Großbritanniens nationales Interesse“, analysierte der Labour-Politiker.
In der Tat haben die rezenten Diskussionen in der internationalen Gemeinschaft kaum für Aufregung gesorgt. Frankreichs Präsident François Hollande erklärte während des französisch-britischen Gipfeltreffens die von Cameron geforderten EU-Vertragsänderungen als „momentan nicht vorrangig.“ „Wir können nicht erwarten, as ganz Europa dem Beispiel eines EU-Landes folge, das gleich „auch alles für den Rest“ bestimmen wolle, so der französische Premier kühl. Um die britischen Forderungen in der EU neu zu verhandeln, müssten bestehende EU-Verträge geändert werden.
Vor allem die europäische Freizügigkeit ist den Konservativen ein Dorn im Auge. Mitte Januar forderte Großbritannien eine Quotenregelung, um die Zuwanderung aus anderen europäischen Ländern zu begrenzen. Dies sorgte für Empörung unter Parlamentarier in Straßburg, schließlich ist die Freizügigkeit eine der Grundwerte der Union.
Die erneute Infragestellung der britischen EU-Mitgliedschaft erfolgt nicht zufällig in einer Zeit, wo britische Boulevardzeitungen eine regelrechte Angstkampagne gegen Zuwanderer führen. Geradezu apokalyptische Szenarien einer osteuropäischen Massenzuwanderung werden beschworen, und schließlich goss auch Cameron vergangenes Jahr Öl ins Feuer, als er behauptete, Großbritannien sei „nicht hart genug“ zu den Immigranten, die ins Königreich kämen, um das kostenlose Gesundheitssystem auszunutzen. Pünktlich zum 1. Januar dieses Jahres, am Tag, an dem Rumänen und Bulgaren erstmals ungehindert Zugang zum EU-Arbeitsmärkten erhielten, wurde der Zugang zu Arbeitslosenhilfe eingeschränkt. Einwanderer dürfen nun erst nach Monaten Aufenthalt Hilfe beantragen. Die Beschränkung soll helfen, Großbritannien zu einem „weniger attraktiven Ort“ für Einwanderer machen, die, so die Konservativen, nur auf die Insel kämen, um „auf Staatskosten“ zu leben. Eine Posterkampagne sorgte überdies für Aufsehen: „In the UK illegally? Go home or face arrest!“, stand auf Plakatwänden, die auf Fahrzeugen durch englische Städte fuhren. Nach einer Welle von Kritik verschwanden sie wieder von den Straßen. Inzwischen musste Immigrationsminister Mark Harper, der die Kampagne verantwortete, seinen Hut nehmen: nachdem herauskam, dass er eine auslädnische Putzkraft angestellt hatte, die keine gültige Aufenthaltsgenehmigung hatte.
Camerons Rechtsdrift ist ein Versuch, sich Stimmen der rechtspopulistischen UK Independence Party (UKIP) zu sichern. Laut einer Umfrage des Independent on Sunday Mitte Januar würden 27 Prozent der Befragten die Ukip als Partei den Lib-Dems und den Tories vorziehen.
Und dann plagt Cameron auch noch die Schotten und ihr Streben nach Unabhängigkeit. Im September dieses Jahres stimmen die Schotten in einem Referendum über ihre Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreiches ab. Führende schottische Politiker, wie der Erste Minister Alex Salmond, erklärten bereits, sollten die Schotten sich für die Unabhängigkeit aussprechen, würde das Land so schnell wie möglich der Europäischen Union beitreten.
David Cameron beschwor die Schotten vergangene Woche in einer emotionalen Rede, ihr Land solle Teil „des brillantesten Landes in der Geschichte“ bleiben. „Es ist wichtig für Schottland, dass der Rest der Familie dies als eine sehr wichtige Familien-Angelegenheit sieht“, so Cameron. Ein leidenschaftlicher Appell für mehr Solidarität und Zusammengehörigkeit, den sicherlich so manch einer auch gerne in Brüssel gehört hätte.