„Danke, dass Sie mich nicht gefragt haben, wieso wir uns nicht trauen“, sagte der Stater LSAP-Gemeinderat Tom Krieps vergangene Woche in einem Interview auf die Frage, weshalb die LSAP sich nicht den Gerichtsklagen von déi Lénk zu den privaten Sicherheitsfirmen anschloss. Die beiden Gemeinderäte Ana Correia da Veiga und Guy Foetz von déi Lénk haben beim Verwaltungsgericht zwei Klagen eingereicht: Mit der einen wollen sie den nunmehr dritten Vertrag annulieren lassen, durch den der Schöffenrat ab diesem Wochenende private Sicherheitsleute mit Hund weiter in der Stadt patrouillieren lässt, nun auch in Bonneweg. Mit der anderen Klage wollen sie LSAP-Innenministerin Taina Bofferding dazu verurteilen lassen, beim Schöffenrat die Annulierung des Vertrags zu verlangen. Denn der sei so verfassungswidrig wie die beiden vorherigen. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sei Sache der Polizei.
Tom Krieps räumte ziemlich offen ein, wie problematisch es für LSAP-Politiker/innen ist, gegen eine Ministerin aus der eigenen Patei zu klagen. Um keinen Unfrieden in der Regierungskoalition zu stiften, halten auch die Stater Grünen sich lieber zurück. Tom Krieps, im Hauptberuf Anwalt, sagte aber auch, der Konflikt um die Patrouillen in der Hauptstadt sei in erster Linie „ein politischer“.
Womöglich sieht das Verwaltungsgericht dies am Ende genauso und erklärt sich für nicht zuständig, über die Klagen zu entscheiden. Weil auch bis zu diesem Entscheid mehrere Monate vergehen werden, hat der Gang der Lénk-Gemeinderäte vor Gericht tatsächlich viel politische Symbolik.
Aber wie sich Politisches gegenüber Juristischem verhält, ist in Luxemburg eine noch in großen Teilen unbeantwortete Frage. Zur Klage des Piraten-Abgeordneten Sven Clement, der die Entscheidung von Medienminister Xavier Bettel (DP) anfocht, ihm Einblick in einen vertraulichen Teil des Konzessionsvertrags zwischen dem Staat und RTL zu verwehren, hatten die Verwaltungsrichter in erster Instanz entschieden, es mit einer politischen Entscheidung der Exekutive zu tun zu haben. Dagegen fand die zweite Instanz den Streitfall „juristisch“ und erklärte am Ende alle Abgeordneten zu Staatsorganen für sich, die „Partner“ der Exekutive seien.
Weil dieses Urteil, das der Verwaltungsgerichtshof Ende Januar fällte, epochal war und das Parlament insgesamt stärkte, könnte man den Eindruck haben, dass es nun zu einer „Judikarisierung“ der Politik komme. Indem Mandatsträger/innen das juristisch Überprüfbare an politischen Entscheidungen öfter überprüfen lassen. Nach den Prinzipien des modernen Rechtsstaats muss es dann einen Schiedsrichter geben. Noch funktionieren
in Luxemburg die Beziehungen zwischen den Institutionen vor allem auf der Grundlage von Absprachen oder Deals: „Als Oppositionspolitiker geht man vor Gericht, nachdem man auf andere Weise nicht weitergekommen ist“, sagt Sven Clement. „Man hat mündliche Einwände gemacht, dann schriftliche. Wenn auch die nicht helfen, klagt man.“ Und er fügt hinzu, die aktuelle Regierung halte sich für „allmächtig“.
Ähnliches wirft der Lénk-Abgeordnete und frühere Stater Gemeinderat David Wagner dem Schöffenrat der Hauptstadt mit DP-Bürgermeisterin Lydie Polfer an der Spitze vor: Wagner hatte 2014 im Gemeinderat eine Motion der Linken zum Freihandelsabkommen Ttip zwischen EU und USA eingebracht. Die Bürgermeisterin ließ die Motion auf die Tagesordnung einer Ratssitzung setzen, aber nur um dort zu erklären, das Thema betreffe die Gemeinden nicht. „Lydie Polfer erteilte mir damals nicht einmal das Wort, sogar mein Mikrofon blieb abgestellt.“ Eine Klage der Linken vor dem Verwaltungsgericht hatte zum Teil Erfolg. Die Angelegenheit landete erneut bei der Bürgermeisterin, die den Gemeinderat präsidiert. Die Ttip-Motion kam zur Abstimmung, wurde aber mit den Stimmen der damaligen DP-Grünen-Mehrheit verworfen. Was dann jedoch eindeutig ein politischer Vorgang war.
So gesehen, ist nicht ganz plausibel, wieso der langjährige LSAP-Abgeordnete und frühere Präsident des parlamentarischen Institutionenausschusses, Alex Bodry, Sven Clement, gleich nachdem dieser seine Klage gegen die Entscheidung des Medienministers eingereicht hatte, vorwarf, auf eine „Judikarisierung der Politik“ abzuzielen. Denn wenn politische Entscheidungen juristisch überprüfbar sind, dann sind sie es. Die des Hauptstadt-Schöffenrats, einen weiteren Vertrag mit einer Sicherheitsfirma abzuschließen, könnte es ebenfalls sein: In ihrer Klageschrift geben déi Lénk sich alle Mühe zu beweisen, dass die Mission der Sicherheitsleute mit Hund keineswegs nur in der Bewachung von immobilem und mobilem Inventar der Gemeinde bestehe, sondern sehr wohl in Patrouillengängen im öffentlichen Raum. Und dass die Hunde bisweilen gegenüber in Hauseingängen lagernden Obdachlosen als „Waffe“ eingesetzt würden.
Vielleicht meinte Alex Bodry, dass die Beziehungen zwischen den Institutionen des Staaates, zwischen Mandatsträger/innen, zwischen Mehrheiten und Oppositionen, aber auch zwischen Verwaltungen und Bürger/innen andere wären als heute, wenn man die „Judikarisierung“ zu Ende denkt: Entscheidungen würden transparenter. Politik wäre leichter zuzuordnen und besser erkennbar, wer wofür steht. Das kann für die Demokratie nur von Vorteil sein.
Eine Judikarisierung kann die Politik auch vor Verlegenheiten bewahren. Der Anwalt Frank Wies, der Mitglied der Beratenden Menschenrechtskommission ist und in diesem Bereich auch internationale Affären kennt, verweist darauf, dass das Luxemburger Wahlrecht dem belgischen stark ähnelt. Unter anderem darin, dass ein Kandidat, der meint, eine Parlamentswahl sei nicht regelkonform verlaufen, sie nur vor dem Parlament anfechten kann. Das Luxemburger Verfassungsgericht kann Wahlen nicht überprüfen. „In solch einem Fall aber hätten die in einer beanstandeten Wahl Gewählten zu entscheiden, ob der Rekurs zulässig ist.“ In Belgien sei vor sieben Jahren der Antrag eines Kandidaten auf Neuauszählung der Stimmen zum wallonischen Parlament verworfen worden, so Wies. Die dagegen eingereichte Gerichtsklage des Kandidaten sei bis zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg gelangt, der dem Kläger 2020 Recht gab und die Ablehnung der Neuauszählung für einen Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention hielt. „So eine Affäre wäre im Grunde auch in Luxemburg denkbar“, sagt Wies.
Nicht übermäßig viel hält der OGBL von Gängen vor Gericht. Einerseits, weil ihm die Rechtspersönlichkeit fehlt, um im eigenen Namen Klage führen zu können und er nur Angelegenheiten seiner Mitglieder vertritt. Andererseits „führen gewerkschaftliche Mittel meist schneller zum Ziel“, sagt Frédéric Krier, der in der OGBL-Exekutive für den Service juridique der Gewerkschaft zuständig ist. Dennoch führt der OGBL Gerichtsaffären, auch langwierige. Zu den Studienbörsen, die Kindern von Grenzpendler/innen verweigert worden waren, sind noch immer von ihm vertretene Klagen vor dem Verwaltungsgericht anhängig. Für Beschäftigte im Reinigungssektor, wo der geltende Kollektivvertrag nur von Fall zu Fall die Zuerkennung des qualifizierten Mindestlohns erlaubt, streitet die Gewerkschaft immer wieder vor Gericht. „Trotzdem“, sagt Krier, „wenn wir in eine Logik gerieten, statt gewerkschaftlicher Aktionen mehr vor Gericht zu gehen, dann bin ich mir nicht sicher, ob das eine gute gesellschaftliche Entwicklung wäre.“ Würden Gewerkschaften in erster Linie als Rechtsschutzversicherungen aufgefasst, würden sie ihrer Rolle nicht gerecht.
Zu guter Letzt hat auch das RTL-Urteil vom Januar die Beziehungen zwischen Exekutive und Legislative noch nicht revolutioniert. Eine gemeinsame Sitzung lang fragten sich Kammerbüro und Präsidentenkonferenz, auf welche Weise den Abgeordneten der Einblick in vertrauliche Dokumente ermöglicht würde. Entschieden wurde nichts, und das ist noch immer der Stand. Dabei sind seit der epochalen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs schon fast vier Monate ins Land gegangen.