I.
„Jetzt wird man ohne weiteres zugeben, dass unsere Mitbürger in keiner Weise auf die Ereignisse vorbereitet waren, die sich im Frühling dieses Jahres abspielten.“ Camus-Chronist Rieux beschreibt gleich zu Beginn seines in diesen Tagen vergriffenen Romans Die Pest Eindrücke der algerischen Stadt Oran, die zugleich aufgrund unseres unmittelbaren Nachempfindenkönnes tief beklemmend wirken. Eine normale Stadt, mit ihrem öffentlichen Leben, ihren Geschäften, Restaurants, Theatern und öffentlichen Plätzen kommt zum Stillstand. Und der Stillstand macht sprachlos – auch gegenüber dem Leiden kranker Menschen und den vielen Toten.
Man muss nicht in martialische Kriegsrhetorik verfallen oder problematische Muster historischer Kontextualisierung bemühen, um zu verstehen, dass die von der WHO festgestellte weltweite Corona-Epidemie eine unvergleichliche Herausforderung für die Menschen weltweit, vor allem für die an Stabilität und Normalität gewöhnten Gesellschaften und Demokratien des Westens darstellt. Wir waren – und sind – „in keiner Weise auf die Ereignisse vorbereitet“. Wir sind es weder medizinisch, noch in den Systemen der Daseinsvorsorge, vor allem im Gesundheitssystem. Noch sind wir es nicht zuletzt auch im Recht. Die sich aufdrängende Notwendigkeit, die Verbreitung des Virus einzudämmen, und die daraus folgenden Regelungen über Ausgangsbeschränkungen und Kontaktsperren, die nicht zuletzt, weil sie straf- und sanktionsbewehrt sind, tiefe Eingriffe in Grund- und Bürgerrechte darstellen, erfahren je nach rechtssystemischer Prägung unterschiedliche Legitimationen auf variierenden Ermächtigungsgrundlagen.
II.
In Frankreich trifft der französische Präsident die notwendigen Maßnahmen gemäß Artikel 16 der französischen Verfassung, in Belgien kann das Parlament die Regierung zu außerordentlichen Eingriffsbefugnissen ermächtigen, in Spanien ist es der Regierung gesetzlich erlaubt, per Dekret gemäß Art. 116, Abs. 2 der spanischen Verfassung den „estado de alarma“ zu verhängen. Niemand in Deutschland würde – aus guten historischen Gründen – die Notstandsartikel des Grundgesetzes (Art. 91 und 87 GG) bemühen oder gar fordern, nun im Angesicht der Corona-Krise die Möglichkeit eines Ausnahmezustandes in die Verfassung einzuführen. Zu sehr gehört die Erfahrung mit der Missbrauchbarkeit staatlicher Macht zur unverrückbaren Genetik des deutschen Grundgesetzes. Daher fallen Ausgangssperren in die Kompetenz der Länder und werden auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (ein Bundesgesetz) erlassen.
Und Luxemburg? Noch am 16. März stützte die Regierung die Maβnahmen zur Eindämmung des Virus auf ein Gesetz aus dem Jahr 1885 („Gesetz vom 25. März 1885, betreffend die Maβnahmen gegen die Einschleppung und Verbreitung ansteckender Krankheiten“). Artikel 2 dieses Gesetzes ist ein strafrechtshistorisches Beispiel für exekutivisches Strafrecht gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Der Verstoß gegen exekutivische Maßnahmen wird als Unrecht kriminalisiert, die Strafen sind drakonisch, und vor allem werden die im gesetzlichen Strafrecht geltenden, an Strafgesetzlichkeit und Schuldprinzip zu messenden Regeln strafrechtlicher Zurechnung zur Seite geschoben. Das Strafrecht sichert den exekutivischen Zugriff auf Krisen ab. Diese strafrechtliche Absicherung von allgemeinen Notlagen oder politischen Zielbestimmungen der Exekutive ist schon in der europäischen Strafgesetzgebung des 19. Jahrhunderts sichtbar und bestimmte in der Folge sehr oft auch die Gesetzgebung im ordentlichen Strafrecht. Das gilt es festzuhalten. Die historische Erfahrung belegt, dass Krisen im Recht, im Strafrecht insbesondere, bleibende Spuren im rechtsstaatlichen Gefüge hinterlassen. Als sei man sich dieser Mängel bewusst, schaffte man einen anderen, scheinbar rechtssicheren Regelungsrahmen, der zum Règlement Grand-Ducal vom 18. März 2020 und der erstmaligen Anwendung von Art. 32, Abs. 4 der luxemburgischen Verfassung führte. Wenn man „in keiner Weise auf die Ereignisse vorbereitet“ ist – und das ist kein Vorwurf –, heißt die Antwort auf bestehende Regelungslücken des einfachen Rechts eben „État de Crise“.
III.
Man sieht die Sorgfalt des Gesetzgebers bei der Anwendung des Ausnahmezustandes. Dass lebenswichtige Interessen der Bevölkerung bedroht sind, ist für jedermann auf dramatische Weise sichtbar. Die Prüfung der Verhältnismäβigkeit, eine normative Schranke von Art. 32, Abs. 4 ist gewissenhaft und macht die derzeitige Alternativlosigkeit der Güterabwägung zwischen den individuellen Freiheitsrechten einerseits und dem Recht auf körperliche Integrität und Gesundheit andererseits eindringlich deutlich. Die Geeignetheit der Maßnahmen kann sich auf medizinische Expertise stützen, deren schnelle Erforderlichkeit folgt zwingend aus der drohenden Überforderung des Gesundheitssystems. Das Parlament bleibt als Kontrollorgan der Exekutive bestehen.
Schließlich: Sanktionsregeln sichern die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus ab. Das Règlement Grand-Ducal vom 18. März 2020 führt in Artikel 6 Ordnungswidrigkeiten ein, die für jedermann vorhersehbar Geldbußen androhen. Das ist juristisch kunstvolles Krisenmanagement, dem sich in der Folge ein beeindruckendes Umschalten der Politik, vor allem des Gesundheitssystems und dort der ihn ihm handelnden Menschen, auf effizienten Krisenmodus anschließt.
Trotz alledem schleicht sich juristisches Unbehagen ein. 2016 hat der Gesetzgeber Art. 32, Abs. 4 in die Verfassung eingefügt als unmittelbare Reaktion auf die Anschläge in Paris im November 2015. Der Legitimationszusammenhang des Ausnahmezustandes ist eng mit der Politik öffentlicher Sicherheit verbunden. Der Staatsrat hat diese Einführung stets kritisch begleitet und mit großer juristischer Zurückhaltung aufgenommen. Er befürchtete, dass das Sicherheitsparadigma langfristig Grund- und Freiheitsrechte zunichte machte, gäbe man das Signal, dass das ordentliche (Straf-)Recht nicht mehr in der Lage sei, elementare Rechtsverletzungen zu verarbeiten. Trotz der Grenzen, die Art. 32, Abs. 4 dem „État de Crise“ zieht, konstatierte der Staatsrat eine unweigerliche Verschiebung der Machtbalance des Staates vom Parlament auf die Exekutive.
IV.
Diese normativen Bedenken spiegeln zum einen die eigentliche Legitimation staatlichen Handelns wider und führen zum anderen zu der Frage, ob und wie der Weg zurück zur verfassungsrechtlichen Normalität gelingen kann. Der Staat ist lediglich eine Organisationsform, die sich seine Bürger, in der Absicht wechselseitig eingeräumte Freiheitsrechte zu sichern, gegeben haben. Er ist und bleibt nur insoweit legitimiert als er durch seine Organe diese Freiheit schützt, aus der er erst hervorgegangen ist. Der Ursprung der Freiheit findet sich in der Menschenwürde selbst. Die Aufklärung verbindet mit Freiheit und Menschenwürde auch die Fähigkeit zu autonomer gesellschaftlicher Organisation, die nicht nur die Freiheit umfasst, als ein Imperativ, der aus gegenseitiger Anerkennung von Rechten folgt, sondern auch die Fähigkeit zur Solidarität, zur Hilfe und Empathie. Eine Zivilgesellschaft konstituiert sich in einem Staat nur dann, wenn beides gelingt: Freiheitsschutz und solidarische Kooperation. Freiheit meint nicht die Freiheit der Spaß- und Freizeitgesellschaft, sondern ein normativ verbindliches, gegenseitiges Anerkennungsverhältnis, das Rechte und Pflichten zur Hilfe enthält. Institutionell realisiert sich die Freiheit in allgemeiner Gesetzgebung, die Rechte und Pflichten und Voraussetzungen für staatlichen Zwang demokratisch und rechtsstaatlich begrenzt formuliert. Mit der Ermächtigung der exekutiven Gewalt, diese Freiheiten suspendieren zu können, und mag dies auch eingeschränkt geschehen, begibt man sich in einen evidenten Widerspruch zu den Prinzipien bürgerlicher Freiheit. Darin liegt auch eine Entmüdigung von Bürgern, denen man, vielleicht sogar zu Recht, die autonome Fähigkeit zur Freiheit und zur Solidarität gar nicht erst zutraut und an deren Stelle staatliche Autorität setzt.
Der Kategorische Imperativ, so zu handeln, dass die Maxime dieses Handelns mit einem allgemeinen Gesetz der Freiheit übereinstimme, wird derzeit in Europa und weltweit durch den Kategorischen Imperativ „Flatten the curve“ ersetzt. Das ist verständlich. In Europa aber setzt trotzdem nolens volens das Nachdenken über normative, rechtliche Reaktionen auf die Pandemie ein. Der Ausnahmezustand hat sich bisher als ein normatives Problem eines Konflikts zwischen Individuum und staatlicher Macht begreifen lassen. Man konnte ihn interpretieren und kritisieren als eine politische Strategie öffentlicher Sicherheit, die das Strafrecht, das Strafverfahrensrecht, das Polizeirecht systematisch ausdehnt und Bürgerrechte abgeschliffen hat.
In der außergewöhnlichen Lage sozialer, ökonomischer, aber auch – angesichts der vielen Toten – psychischer und emotionaler Belastung, kommen nun entscheidende Systemkomponenten hinzu, die eine Pandemie von einem Problem öffentlicher Sicherheit, ausgelöst etwa durch einen terroristischen Anschlag, unterscheiden. Wir sehen uns einer Güterabwägung gegenüber, die zum einen konfligierende subjektive Rechte – das Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit und das Recht auf Gesundheit und körperliche Integrität, ja das Recht auf Leben – zum Gegenstand hat. Zum anderen aber müssen Staat und Gesellschaft ihre systemischen Bedingungen, die all diese Rechte erst institutionell garantieren, absichern. Zudem zeigt sich, dass diese Güterabwägung durch deren Folgewirkungen auf andere Systeme – Wirtschaft und Gesellschaft – ergänzt und überwölbt wird.
V.
Das Problem ist: Auch durch die Zuspitzung staatlicher Ordnungskompetenz auf exekutivisch geleitete Sicherheitspolitik haben wir verlernt, diese komplexen Zielkonflikte als ein normatives, ja rechtliches Problem zu deuten. Strategien im Umgang mit Covid-19 aber dürfen nicht vorrangig unter epidemiologischen oder exekutivischen Aspekten entwickelt werden, sondern sind idealerweise Aufgaben der Zivilgesellschaft und deren Institutionen.
Dies gilt um so mehr, als wir derzeit trotz offensichtlich beachtlicher Resultate medizinischer Forschung mit einem hohen Ausmaß empirischer Ambivalenz konfrontiert sind. Wir rufen verzweifelt nach einer empirischen Eindeutigkeit sachverständiger Expertise, die momentan gar nicht zu haben ist. Das ist keine Absage an die Notwendigkeit medizinischer Forschung und das Einbeziehen von Faktenwissen – im Gegenteil. Es ist aber die Aufforderung, sachverständigen Rat in einen Kontext normativen Entscheidens zu stellen. Gerade im Hinblick auf die Situation gesellschaftlicher Institutionen der Daseinsvorsorge – dazu zählen Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen – zeigt sich in Europa (gewiss auch in den USA), dass die zutreffende Einordnung der Pandemie und die restriktiven Maßnahmen, die sie alternativlos notwendig machen, auch die Folgen schon vorhandener Defizite der Gesundheitssysteme sind. Wir schützen uns vor Problemen, die wir selbst kausal hervorgerufen haben.
Diese „Dialektik“ wird durch eine vom Recht weit entfernt liegende utilitaristische Politik der Kosten-Nutzen-Abwägung befördert, was durch ein Beispiel aus der deutschen Politik eindrucksvoll illustriert wird. Schon 2008 hat der damalige CDU-Bundestagsabgeordnete und heutige Kandidat für den CDU-Vorsitz Friedrich Merz sich als Herausgeber eines Sammelbandes Wachstumsmotor Gesundheit schützend vor folgende Formulierung eines der Autoren (Konrad Adam) gestellt: „Die Erörterung der Frage, ob eine Verlängerung des Lebens um zwei oder drei Monate Aufwendungen in fünf- oder sechsstelliger Höhe rechtfertigt, wird sich dann nicht länger mit der Kampfvokabel ,unsozial‘ abwürgen lassen.“ Das ist rechtsfern, weil es Freiheit nur als die Freiheit zum eigenen Vorteil begreift. Daraus folgt das Gebot, die normative und rechtliche Handlungsleitung bei der Abwägung konfligierender Rechtsgüter zurückzugewinnen.
VI.
Diese Notwendigkeit, Anleitungen zu normativen Entscheidungen im Angesicht von Systemzwängen bereitzustellen, kann jederzeit auf tragische Weise kaum deutlicher werden als angesichts einer in vielen europäischen Ländern dramatischen Diskrepanz von medizinischen Kapazitäten (Beatmungsgeräten) und hilfsbedürftigen schwer kranken Patienten. Weder exekutivischer staatlicher Zugriff noch wissenschaftliche Expertise vermögen die schweren moralischen und rechtlichen Konfliktsituationen, die eine intensivmedizinische Behandlung im Krisenmodus mit sich bringt, zu lösen. Dem Staat, insbesondere der Exekutive ist es verwehrt, menschliches Leben zu bewerten. Menschenwürde im modernen Verfassungsstaat ist unteilbar, sie entzieht sich jeder Abwägung oder gar Abwertung des Rechts auf Leben einer Person anhand von Alter, Status oder medizinisch prognostizierter Lebensdauer. Dies enthält zugleich eine scharfe Absage an jedwedes utilitaristische Kalkül, das die Entscheidung über die Fortführung einer intensivmedizinischen Behandlung anhand von Kriterien der Nutzenmaximierung treffen will.
Das Strafrecht markiert Grenzen, deren Geltungsanpruch gerade in einer Krise unverbrüchlich sein müssen. Es kennt insbesondere keinen Rechtsgrund, der den Abbruch einer intensivmedizinischen Behandlung vor dem Hintergrund einer Abwägung „Leben gegen Leben“ entschuldigte oder rechtfertigte. Das Drama des Konflikts ließe sich nur in mildernden entschuldigenden Umständen auffangen. Daraus folgt aber zugleich als Gebot praktischer Vernunft und Humanität, Handlungsmaximen für schwere Entscheidungen des klinischen Ernstfalls bereitzustellen, so wie sie beispielsweise der Deutsche Ethikrat gerade formuliert hat.
VII.
In Abwandlung des bekannten Zitats von Carl Schmitt ist Souverän, wer über das Ende des Ausnahmezustandes bestimmt. In den europäischen Demokratien werden also der demokratische Gesetzgeber, das Volk, und die Öffentlichkeit, die ihn trägt, diskutieren müssen, wann und unter welchen Voraussetzungen die Eingriffe in Freiheitsrechte gelockert und schließlich zurückgenommen werden müssen. Diese Entscheidungen lassen sich weder vorrangig nach ökonomischem Kalkül noch prioritär nach epidemiologischem Sachverstand treffen, auch wenn beide Aspekte gewichtige Argumente normativen und am Ende juristischen Entscheidens sein müssen. Diese normative Entscheidung drängt sich dann auf, wenn Grund- und Menschenrechte – und die Öffentlichkeit, die diese ermöglicht – strukturell und nachhaltig beschädigt zu werden drohen. Das ist kein Plädoyer für Ungeduld, keine Unterstützung für die Bedarfe der Freizeitgesellschaft, sondern folgt unmittelbar aus den Prinzipien bürgerlicher Autonomie und Mündigkeit. Man darf und soll einer a priori mündigen Zivilgesellschaft solche Entscheidungen zumuten.
Ausnahmezustände hinterlassen Spuren im Recht. Sie bleiben sichtbar, auch wenn formal einmal getroffene Maßnahmen außer Kraft gesetzt werden. Niemand könnte die Politik in Luxemburg eines potentiellen Machtmissbrauchs bezichtigen, ohne in groteske Pauschalisierung zu verfallen. Die in der Neuen Zürcher Zeitung formulierte Kritik Giorgio Agambens, wonach die Verhängung des Ausnahmezustandes in Europa nichts anderes sei als die Fortsetzung eines gezielten staatlichen Programmes, Grundrechte zu vernichten, um sie durch ein System autoritärer Soziakontrolle zu ersetzen, wird der komplexeren Wirklichkeit nicht gerecht. Richtig bleiben aber die durch den Staatsrat bereits formulierten Befürchtungen, der Ausnahmezustand, einmal verhängt, werde die ohnehin diffizile Balance der Gewaltenteilung weiter zugunsten der Exekutive und zu Lasten von sowohl Parlament als auch Justiz verschieben.
Diese Gewichtsverschiebung, soviel zeichnet sich über die eigenen Landesgrenzen hinaus ab, ist ein europäisches Problem. Die Krise des Rechtsstaats in Europa, vor allem belegt an der Entmachtung einer unabhängigen und unparteilichen Justiz in Ungarn oder Polen, wird sich verstärken, wenn nun auch noch das A-Priori-Prinzip allgemeiner Gesetzgebung schleichend unterminiert und schließlich vollends zerstört wird. Ungarn scheint auch hier trauriger Vorreiter zu sein. Für den Strafrechtler bereits erkennbar sind die Spuren, die der Ausnahmezustand im Strafrecht als Instrument sozialer Kontrolle in Europa hinterlassen kann. Das betrifft die strafrechtliche Zurechnung, dies wird sicherlich die Mittel digitalisierter Überwachung und die damit verbundenen Eingriffe in Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte betreffen. Gerade wurde in den Niederlanden ein Mann wegen „Anhustens“, das als Straftat einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit gewertet wird, zu zehn Wochen Haft verurteilt. Tracking Apps werden es erlauben, ein Bewegungsprofil von Covid-19-Patienten anzulegen, zum einen, um Infektionsketten nachzuweisen, zum anderen aber auch, um festzustellen, ob gegen Quarantäne-Auflagen und Kontaktverbote verstoßen wurde. Die Vollstreckung dieser Verbote durch Sanktionen wird man mit dem Rechtsgut der Gesundheit und dem Systemschutz scheinbar leicht begründen können. Tröstlich mag aus strafjuristischer Sicht lediglich sein, dass nun jedermann die aus dem Behandlungsvollzug bekannte Problematik von Deprivationsschäden, die eine unvermeidliche Folge von Freiheitsentzug sind, nachvollziehen, ja nachempfinden kann.
Man könnte es aber auch anders machen. In Luxemburg könnte das Parlament ein Gesetz zum Schutz vor Verbreitung von Infektionskrankheiten erarbeiten, das eine allgemeine gesetzliche Grundlage im ordentlichen Recht bereitstellt, um für künftige Krisen den „État de Crise“ obsolet zu machen. Man könnte sich europaweit dafür einsetzen, in großem Umfang Mittel in die Stärkung der Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten zu investieren. Mediziner und Pfleger brauchen keinen Applaus, sondern die nachhaltige Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen. Man könnte versuchen, Solidarität und Eigenverantwortung der Zivilgesellschaft, soweit nötig, dauerhaft zu reanimieren.
In Kommentaren und Feuilletons geht derzeit das „Wessen-Stunde-ist-es-Narrativ“ um: die Stunde der Exekutive, des Staates, die Stunde der Virologen, am ehesten noch die Stunde des demokratisch gewählten Gesetzgebers: Wir sind nicht China und das ist gut so! Krisen lassen sich am besten mit Hilfe einer transparenten Öffentlichkeit dauerhaft bewältigen. Vor allem ist es daher die Stunde der kritischen, offenen Zivilgesellschaft, die sich bewusst machen muss, dass es schon jetzt und dann nach der Krise um die Verteidigung der zerbrechlichen Freiheit gehen muss.