Als das Parlament am 31. Oktober 1961 über die Reform des gesetzlichen Jahresurlaubs für Angestellte debattierte, betonte der LSAP-Abgeordnete und Gewerkschafter Jängi Gallion aus Oberkorn: „Die 26 Tage, die vorgesehen sind nach dem elften Dienstjahr, sind nicht zu viel, deshalb wiederhole ich, dass die Sozialisten an Artikel zehn so festhalten, wie ihn der Sozialausschuss festgelegt hat.“ Doch die CSV/DP-Mehrheit verwarf den Text und es dauerte 57 Jahre, davon 40 Jahre, während denen die LSAP in der Regierung war, bis ein LSAP-Arbeitsminister, Dan Kersch, am Freitag dem Regierungskabinett einen Gesetzentwurf vorlegte, der einen 26. Tag gesetzlichen Jahresurlaub einführen soll.
Nächste Woche soll der Entwurf hinterlegt werden, damit in Artikel 233-4 des Arbeitsgesetzbuchs die Zahl der Urlaubstage von 25 auf 26 Tage erhöht wird. Dabei handelt es sich um das gesetzlich vorgeschriebene Minimum an Ruhetagen. Nutznießer werden folglich die Lohnabhängigen, in deren Betrieb oder Branche kein Tarifvertrag gilt. Beschäftigte, deren Kollektivverträge bereits 26 oder mehr Urlaubstage vorsehen, erhalten keinen zusätzlichen Urlaub. Verfügen sie über Zeitsparkonten, die vorschreiben, dass die gesetzlichen Urlaubstage nicht übertragbar sind, können sie künftig einen Tag weniger übertragen.
Das Gesetz, das in den kommenden Monaten vom Parlament verabschiedet werden soll, soll rückwirkendend zum 1. Januar in Kraft treten. Dadurch soll verhindert werden, dass Unternehmen versuchen, dieses Jahr nur einen halben zusätzlichen Urlaubstag zu gewähren, falls das Gesetz in der Mitte des Jahres in Kraft träte.
Gleichzeitig soll Luxemburg zum europäischen Vorreiter werden, wenn es mit dem gleichen Gesetz den 9. Mai zum gesetzlichen Feiertag, der „Journée de l’Europe“, erklärt. Am 9. Mai 1950 hatte der französische Außenminister Robert Schuman zur Eindämmung des deutschen Militarismus aufgerufen, „[de] placer l’ensemble de la production franco-allemande du charbon et d’acier sous une Haute Autorité commune“, der späteren Ceca, was als Geburtsstunde der Europäischen Union angesehen wird.
Durch den zusätzlichen Feiertag, den ein Volkswirtschaftler der Handelskammer im Lëtzebuerger Land vom 11. Mai 2018 gefordert hatte, wird es künftig elf gesetzliche Feiertage geben, so viele wie in Belgien und Frankreich und fast so viele wie im Durchschnitt der Europäischen Union. Viele Unternehmer bedauern, dass der neue Feiertag ausgerechnet in den Monat Mai fällt. Denn vergangenes Jahr waren auch ohne Europatag der Tag der Arbeit am 1. Mai, Christi Himmelfahrt am 10. Mai und Pfingstmontag am 21. Mai bereits Feiertage.
Premierminister Xavier Bettel hatte in seiner Regierungserklärung vom 11. Dezember gemeint, dass neben dem Europatag „die immer größere Flexibilität und andere Faktoren auch einen weiteren gesetzlichen Urlaubstag rechtfertigten“. Das LSAP-Wahlprogramm versprach sogar „eine Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich, auf ein gesetzlich festgelegtes Maximum von 38 Stunden pro Woche. Im Sinne einer Angleichung des Privatsektors an den öffentlichen Sektor wird der Jahresurlaub im Privatsektor während einer Fünf-Jahresperiode jährlich um einen Tag verlängert“.
Auch nach der Gesetzesänderung wird die jährliche Arbeitszeit in Luxemburg zu den höchsten in Europa gehöre. Ein französischer Grenzpendler muss laut Eurofound hierzulande im Durchschnitt 1 804,7 Stunden jährlich arbeiten, während es in Frankreich bloß 1 616,2 Stunden wären. Die vergleichsweise längere Arbeitszeit ist ein fester Bestandteil des Luxemburger Wirtschaftsmodells.
Dabei ist die Idee eines bezahlten Erholungsurlaubs für Arbeiter und Angestellte vergleichsweise neu. Das ganze 19. und das frühe 20. Jahrhundert hindurch stand immer die Verkürzung des Arbeitstags ganz oben auf den Forderungslisten der Arbeiterbewegung. Für Leute, die zehn, 12 oder gar mehr Stunden am Tag arbeiteten und im Krankheitsfall ohne Einkommen waren, schienen bezahlte Urlaubstage dagegen ein unvorstellbarer Luxus. In einer für das Parlament durchgeführten Umfrage der Gewerbeaufsicht bei 51 Betrieben hatten 1920 bloß zehn Schmelzen, Druckereien, Brauereien und Gemeinden angegeben, einige Tage bezahlten Urlaubs jährlich zu gewähren.
Die zaghafte Einführung eines gesetzlichen Urlaubs ist eine bis heute kaum beachtete Folge der Systemkrise am Ende des Ersten Weltkriegs. Die verfassungsgebende Versammlung führte den ersten gesetzlichen Urlaub für Angestellte 1919, im Gründungsjahr der Internationalen Arbeitsorganisation, ein. Durch ihn würden die Beziehungen zwischen Angestellten und Unternehmern von einer „absolutistischen Monarchie“ in ein „konstitutionelles Regime“ umgewandelt, hatte der liberale Anwalt und Berichterstatter Gaston Diderich am 3. Oktober 1919 versprochen. Ein Entwurf über den gesetzlichen Urlaub für Arbeiter wurde 1920 eingebracht, aber erst 1926 gestimmt. Die Dauer des gesetzlichen Urlaubs war bis 1975 je nach Statut, Betriebsgröße, Wirtschaftszweig, Dienstalter und Lebensalter der Arbeiter und Angestellten unterschiedlich, während Eisenbahner und Beamte bis heute durch das Eisenbahnerstatut und die Gehälterabkommen meist längere Urlaubszeiten haben.