Die von Familienministerin Corinne Cahen (DP) vorbereitete Reform des Garantierten Mindesteinkommens (RMG) und dessen Umbenennung in ein Soziales Einbeziehungseinkommen (Revis) gehörte regelmäßig zur Regierungsbilanz, mit der Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) in den vergangenen Wochen auf den Regionalkongressen seiner Partei für die liberale Koalition warb. Deshalb kam am Dienstag das kritische Gutachten des Staatsrats zum entsprechenden Gesetzentwurf etwas überraschend, umso mehr als sozialpolitische Rücksichten nicht gerade zu den vordringlichsten Anliegen des Staatsrats gehören.
Die Regierung begründet ihre Reform vor allem damit, dass das Revis für Haushalte mit Kindern künftig höher ausfallen soll als das derzeitige RMG. Doch der Staatsrat argwöhnt, dass die Reform weiter reiche, dass sie die bisherige Logik „kippen“ werde und vielleicht sogar einen „Paradigmenwechsel“ darstelle. Darauf deute alleine schon die Namensänderung hin, die künftig auf die Schlüsselbegriffe „garantiert“ und „mindest“ und damit auf den „sozialen Aspekt“ des RMG verzichte, das bisher das „letzte Glied des Sozialsystems“ darstelle. Sollte das RMG aber die „letzte Instanz darstellen, um jene aufzufangen, die durch das soziale Netz fallen“ und „den Schwächsten eine minimale Existenzgrundlage“ sichern, so soll das Revis stattdessen auf die „Aktivierung“ ihrer „Arbeitsmarktfähigkeit“ abzielen. Das sei umso merkwürdiger, als Ende 2015 von 10 193 Beziehern 9 259 das RMG nur als Zusatzeinkommen zu niedrigen Eigeneinkommen bezogen hätten. Die Arbeitsmarktfähigkeit der anderen RMG-Bezieher sei aufgrund ihrer gesundheitlichen Probleme oder Familienverhältnisse sehr beschränkt, und wenn das Revis sämtliche Personen eines RMG-Haushalts „aktivieren“ wolle, so stelle sich gleich das Problem der Kinderbetreuung.
Eher beiläufig stellt der Staatsrat zudem fest, dass der Gesetzentwurf zur Einführung des Revis verworren sei und die institutionellen und Verwaltungsstrukturen zur Einführung des Revis und zur Verfolgung der Antragsteller „zumindest komplex“ seien. Das liest sich wie die übliche legistische Haarspalterei des Staatsrats. Aber in Wirklichkeit bedeutet dies, dass das Gesetz die Armen ohne abgeschlossenes Jurastudium der konföderierten Bürokratie von Arbeits- und Sozialamt ausliefert, derzeit Adem und Onis genannt, aber das ändert ständig, ohne dass es ihnen als Bürger vierter Klasse möglich wird, ihre gesetzlich verbrieften Anrechte zu durchblicken und geltend zu machen.
Der Staatsrat weist auch darauf hin, dass das Revis deutlich unter dem statistischen Armutsrisiko und dem vom Statec vermittelten Referenzbudget eines Haushalts liege. Aus im Gutachten des Staatsrats veröffentlichen Vergleichstabellen von RMG- und Revis-Sätzen lässt sich ablesen, dass ein alleinstehender Working Poor, der den halben Mindestlohn verdient, künftig länger arbeiten muss, um als Zusatzeinkommen nicht weniger Revis zu erhalten, als er derzeit an RMG bezieht. Gleiches gilt für einen Haushalt von zwei Personen, der den anderthalben Mindestlohn verdient, oder einen Haushalt von zwei Erwachsenen mit zwei Kindern, der weniger als den Mindestlohn bezieht.
Ist es diesen Working Poor aus gesundheitlichen oder familiären Gründen nicht möglich, länger zu arbeiten, oder hat ihr Unternehmen keinen Bedarf daran, führt in den Augen des Staatsrats das neue System der Immunisierung von Einkommensteilen dazu, dass „die schwächsten Bezugsberechtigten bestraft“ werden. Womit der Staatsrat bewusst oder unbewusst den Buchtitel des ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis über ein anderes Kapitel liberaler Reformpolitik zitiert: And the Weak Suffer What They Must?