Es gab eine Zeit, da schien in Luxemburg die Jagd aus der Mode zu kommen. Noch vor sechs Jahren gab es weniger als 2 000 Jagdscheininhaber, und diese Zahl war seit Mitte der Siebzigerjahre, als fast 2 700 gezählt wurden, kontinuierlich zurückgegangen.
Nun wächst sie wieder. „Wir haben eine Talsohle hinter uns“, sagt Hendrik Kühne, Generalsekretär des Jägerverbands FSHCL. Im vergangenen Jahr waren 2 100 Jagdscheine registriert, und Kühne spricht von „einem gewissen Generationenwechsel“ und dass „immer mehr Jüngere kommen“. Und dabei auch immer mehr Frauen: Von den 1 700 Mitgliedern des Sankt-Hubertus-Verbands seien an die hundert weiblich – bei steigender Tendenz.
Christine Schweich könnte vielleicht emblematisch für diesen Trend stehen: Anfang dreißig, energisch, Rechtsanwältin und, seit Dan Kersch Innenminister wurde, Bürgermeisterin von Monnerich. Im Vorstand der Naturschutzorganisation Natur an Ëmwelt sitzt sie auch. Das gehört für sie zusammen: „Ich kam durch meine Eltern zur Jagd, sie sind beide Jäger. Das wichtigste daran ist für mich das Natur-erlebnis. Wenn ich im Sommer auf den Hochsitz gehe, nehme ich ein Buch mit. Dann verbringe ich da drei, vier Stunden und finde Ruhe und Ausgleich.“
Aber selbstverständlich schießt sie auch. „Ich habe schon mein halbes bisheriges Leben mit der Jagd verbracht, mit 16 meine Jagdscheinausbildung begonnen, weil man ab 17 einen Waffenschein bekommen kann. Ich schieße aber keine 50 Wildschweine im Jahr.“ Steige sie vom Hochsitz, ohne geschossen zu haben, „bin ich manchmal schon traurig. Aber nicht, weil ich nichts erlegen konnte, sondern weil ich kein Tier gesehen habe“. Der Jäger mit seinem Gewehr erfülle eine gesellschaftliche Rolle, sei „ein Regulator in einem System aus Ökologie, Ökonomie und Kultur“. Leider werde das von der Öffentlichkeit „oft nicht verstanden“. Auch Freunde würden ihr sagen: „Du und deine Jagd!“ Schweich erinnert sich noch, wie sie als Jurastudentin ein Praktikum in einer Luxemburger Bank antrat und der Chef dort ihren Lebenslauf in der Hand hielt, in dem sie „Chasse“ als eine ihrer Interessen angegeben hatte: „Sie gehen zur Jagd?, hat er gefragt, und gesagt: Ich auch, aber das soll hier keiner wissen.“ Schweich würde das nicht tun: „Wer Jäger ist, sollte dazu stehen.“
Françoise M. aber ist es ebenfalls lieber, nicht mit ihrem richtigen Namen in der Zeitung genannt zu werden. „Das wäre nicht gut, ich habe gerade eine neue Stelle angetreten.“ M., vielleicht Ende 40, steckt noch in ihrer Jägerinnenausbildung. „Ehrlich gesagt, weiß ich noch gar nicht, was ich mit dem Jagdschein mache, wenn ich ihn habe.“ Neugier habe sie zur Jagd gebracht, die Liebe zur Natur, „und ich finde, Wild zu erlegen, damit es gegessen werden kann, ist eine gesündere Haltung als beim Metzger ein Steak zu kaufen, von dem man nicht weiß, wo es herkommt“. Der moderne Stadtmensch, findet sie, sei nicht nur der Natur stark entfremdet, sondern kenne sich auch immer weniger aus mit der Herkunft seiner Lebensmittel, und es sei ihm zunehmend egal. „Mir nicht.“ Aber ob sie wirklich einmal auf ein Tier schießen werde, kann Françoise M. noch nicht sagen. „Das liegt noch in weiter Ferne.“
Roland Juncker erinnert sich noch, wie es war, als er sein erstes Tier schoss. Der pensionierte Banker ist seit 20 Jahren Jäger. „Der erste Schuss war extrem aufregend. Aber nicht aus Genugtuung, endlich geschossen zu haben, sondern aus Sorge, wirklich einen sauberen Schuss platziert zu haben, damit das Tier nicht leidet.“ Mit der Zeit werde das „Routine“, aber es wäre, sagt er, falsch zu glauben, das Schießen mache den Jäger „froh“. „Es macht zufrieden, es sauber erledigt zu haben.“ Eigentlich aber sei das Schießen „Nebensache, denn die meiste Zeit sehen wir sowieso kein Wild“. Abgesehen von Treibjagden, verbringe der Jäger die meiste Zeit beim Bau und der Instandhaltung von Hochsitzen und mit dem Inspizieren seines Reviers. „Kann sein“, sagt Juncker, „ich stehe zwanzig Mal im Jahr morgens um vier auf oder gehe abends auf den Hochsitz, doch da schießt man drei, vier Mal was, öfter nicht“. Dabei gebe es in dem Revier, dem er angehört, „immer Wild“. „Doch es kann sein, die Jagd ist geschlossen. Kann sein, das Tier ist zu weit entfernt oder es ist zu dunkel und man erkennt nicht, was man vor sich hat. Oder es handelt sich um ein weibliches Tier, und in dem Moment ist gerade nur die Jagd auf männliche erlaubt.“
Eine Tradition in der Familie spielt wohl eine gewisse Rolle bei der Entscheidung, zur Jagd gehen zu wollen. Sind Christine Schweichs Eltern beide Jäger, ist es bei Françoise M. der Vater, bei Roland Juncker sämtliche Brüder des Vaters. „Mein Vater dagegen konnte sich die Jagd nicht leisten.“
Die Vorstellung von der Jagd als High-Society-Betätigung stimmt anscheinend immer weniger. Verbürgerlicht ist die einstige Aristokraten-Aktivität schon längst, aber sie erreicht nun auch weniger gut Gestellte. Zwar wurde zum Beispiel das Leopard-Trek-Radsportteam zwischen Flavio Becca und den Schleck-Brüdern auf einer Jagd geschmiedet, und in der Vorstandsliste der FSHCL finden sich nach wie vor bekannte Namen aus der Wirtschaft. Dass die Jagd ein Muss sei, um dazuzugehören und Networking zu betreiben, fänden junge Unternehmer heute viel weniger als früher, wie Generalsekretär Kühne bemerkt. Doch auch Ex-Banker Juncker erklärt: „So was hat mich an der Jagd nie interessiert.“ Und Françoise M. hat beobachtet: „Natürlich gibt es Jäger, die zu Treibjagden mit einem großen, teuren Geländewagen vorfahren. Ich kenne aber auch viele, die sich die Jagd gerade so leisten können.“ Dann tut es als Jäger-Auto auch ein Allrad-Dacia.
Eine kostspielige Betätigung ist die Jagd auf jeden Fall. Weniger der Ausrüstung wegen: „Ein gutes Gewehr bekommt man schon für 2 000 Euro“, sagt Christine Schweich. Die hohen Kosten entstehen durch die Jagdpacht und die Gebühren für Wildschäden. 5 000 Euro Jahrespacht für ein Jagdlos gelten in Luxemburg ungefähr als das Minimum. Lose mit großem Wildbestand, vor allem mit Hirschen, können ohne weiteres 40 000 Euro kosten. Daneben sind die Jäger gesetzlich verpflichtet, dem Besitzer des Jagdloses, dessen Pächter sie sind, alle dort auftretenden Wildschäden zu ersetzen. Vier Euro pro Hektar Jagdlosfläche steuert die gemeinsame Kasse bei, in die die Einnahmen aus der Jagdscheinvergabe fließen; derzeit kostet ein Jagdschein 221 Euro im Jahr. Was über den Zuschuss aus der Kasse hinausgeht, trägt der Jäger selber, und das könne „schnell richtig teuer werden“, berichtet Roland Juncker. „Hat man ein Los mit Maisfeldern und eine Rotte Wildschweine hat dort gehaust, sind schnell ein paar Hektar kaputt“. Schon der Wildschaden auf einem Hektar Maisfeld könne 1 300 Euro kosten.
„Der hohen Kosten wegen pachten Jungjäger fast nie gleich ihr eigenes Jagdlos, sondern tun sich in einer Gruppe zusammen“, sagt Christine Schweich. Abgesehen davon glaubt sie, dass die Luxemburger Jagdscheinausbildung gerade viele junge Leute davon abhalte, Jäger zu werden: „Die Ausbildung bei uns ist die aufwändigste und strengste in Europa, sie dauert fast ein Jahr.“ Anschließend werden neben einer mündlichen und einer schriftlichen Prüfung noch ein Schießexamen und ein Praxisexamen fällig. „Und während der Ausbildung benötigt man einen Maître de stage, der einen begleitet, und man muss jeden Jagdgang dokumentieren.“ Im Ausland seien die Prozeduren dagegen so locker, dass man in Deutschland schon nach drei bis sechs Wochen Kursus den Jagdschein erhalte.
In Frankreich geht es sogar noch schneller. Dort kann der Jagdschein schon nach fünf Intensiv-Wochenendkursen erworben werden. Neuerdings ist der französische Jagdschein in Luxemburg anerkannt, und mehr und mehr Luxemburger gehen zur Ausbildung über die Grenze. Vielleicht ist das der Hauptgrund dafür, dass die Zahl der Jagdscheininhaber hierzulande nun wieder wächst.“