Nach monatelangen Verhandlungen vermeldete Finanzminister Luc Frieden am Dienstag, die EU-Kollegen hätten einen Kompromiss über die administrative Zusammenarbeit in Steuerfragen gefunden. Der Kompromiss sei im Interesse Europas und Luxemburgs, lobte Frieden während einer Pressekonferenz, vereine er doch das Ziel, die Zusammenarbeit im Kampf gegen den grenzüberschreitenden Steuerbetrug zu verstärken, und das Ziel, den Schutz der Privatsphäre zu gewährleisten. „Für das Private Banking ändert sich nichts“, so die Botschaft an die Bankenbranche. Wie kann das sein, wenn ausländische Medien nach der Kompromissfindung die Abschaffung des Bankgeheimnisses und den Fall der Bastionen Österreich und Luxemburg feierten? Der Richtlinienvorschlag, auf den sich die EU-Finanzminister am Dienstag einigten, ist ein seltenes Prachtexemplar der Kategorie „fauler Kompromiss“, und so schlecht verfasst, dass er großes Konfliktpotenzial für die Zukunft birgt. Durch den Vorschlag wird einerseits das Prinzip des Informationsaustauschs auf Anfrage in die europäischen Texte eingeführt. Darauf ist Frieden stolz, denn wie er am Dienstag bemerkte: Was einmal eingeführt ist, lässt sich nur schwer wieder abschaffen. Das heißt aber auch, dass das Bankgeheimnis künftig nicht mehr als Vorwand dienen darf, um Steuerbehörden aus dem EU-Ausland die Auskunft zu verweigern. Um der Datenfischerei und den Sammelabfragen vorzubeugen, muss die ausländische Steuerbehörde in ihrem An-trag den Namen des Steuerzahlers und die Art von Steuern angeben, die eingetrieben werden soll. Vom präzisen Verdachtsmoment, wie er im Rahmen der OECD-Steuerabkommen vorliegen muss, damit Informationen ausgetauscht werden, wollten die EU-Finanzminister aber nichts wissen.
Ab 2015 soll es zwischen EU-Mitgliedstaaten zudem einen automatischen Austausch von Daten für verschiedene Einkommensklassen geben. Ab hier stinkt der Kompromiss. Die Minister haben am Dienstag fünf Einkommenskategorien definiert: Lohn-einkünfte, Renten, Vergütungen für die Mitglieder von Aufsichtsräten, Einkommen aus Lebensversicherungen und Immobilienbesitz. „Bankkontoguthaben sind von der Liste ausgeschlossen“, hob Frieden hervor. Der automatische Austausch kommt aber nur unter der Bedingung zustande, dass die Informationen den Steuerbehörden ohnehin vorliegen. Wer also keine Informationen hat, muss keine mitteilen. Vor dem 1. Juli 2017 soll die EU-Kommis-sion einen Bericht darüber erstellen, wie gut oder schlecht dieser Austausch funktioniert hat. Entsprechend könnten die EU-Mitglied-staaten dann auf Initiative der Kommission entscheiden, ob sie sich ab 2017 dazu verpflichten, über mindestens drei der definierten Einkommensklassen automatisch Daten auszutauschen – auch das ist momentan also noch eine Hypothese. Über die anderen dürfte auch danach noch geschwiegen werden. Außer-dem könnte – wiederum auf Vorschlag der Kommission hin –, die Palette der Einkommensklassen um Dividenden, Kapitalgewinne sowie Einkünfte auf geistigem Eigentum erweitert werden.
Dieser Pick-and-Mix-Ansatz, den man normalerweise vom Salat-büffet kennt, reduziert die Reichweite dieses automatischen Aus-tausches drastisch. Luc Frieden kündigte am Dienstag bereits an, für welche Einkommensklassen Musterschüler Luxemburg bereits ab 2013 zum automatischen Austausch übergehen will: Löhne und Renten. Ab 2015 könnten die Aufsichtsrattantiemen hinzu-kommen. So trifft Luxemburg mit seinen Transparenzbemühungen vor allem die verhältnismäßig bescheidenen Einkommen der Grenzpendler. Dies scheint umso sinnloser und ungerechter, als Frieden jetzt schon entschlossen ist, die Einkommen aus Lebensversicherungen vom Datenaustausch auszunehmen – dem Pro-dukt, in das sich die ausländischen Inhaber Luxemburger Bankkonten während der europäischen Steuerdebatte geflüchtet haben, weil es von der Zinsbesteuerungsrichtlinie ausgenommen ist. Zweifel am Luxemburger Engagement im Kampf gegen die Steuerflucht sind auch deswegen erlaubt, weil der Finanzminister am Dienstag höchstzufrieden feststellte, dass weitere Diskus-sionen über eine Reform der Zinsbesteuerungsrichtlinie nicht mehr im Terminplan der EU-Finanzminister stehen. Weshalb das gut für Europa sein soll, kann man nur raten. Für Luxemburg bedeutet es, dass die Quellensteuersätze ab dem 1. Juli 2011 auf 35 Prozent steigen.