Sonntagabend, Schloss Siebenbrunnen. Reisebusse setzen ganze Hundertschaften von Chinesen am Tor ab. Doch das hier sind keine Touristengruppen aus dem Reich der Mitte auf Europatour. Es sind die Teilnehmer des Global China Business Meeting, das hochkarätige Geschäftsleute aus China und dem Rest der Welt zusammenbringt. Deswegen besuchen sie nicht das großherzogliche Palais, sondern der Erbgroßherzog beehrt den Empfang, durch den die Konferenz eingeläutet wird.
Wer mit Chinesen Visitenkarten austauscht, muss die erhaltene Karte in beide Hände nehmen und sich während der intensiven Begutachtung leicht vorbeugen, die Karte näher ans Gesicht führen, so, als ob man eigentlich eine neue Brille brauchte. Dann richtet man sich auf, nickt ein weiteres Mal, um zu signalisieren, dass man die Personaldaten abgespeichert hat. Check. Sind die Informationen interessant, kann man wahlweise mit „Was macht die XYZ-Corp genau?“, „Nach welchen Investitionsmöglichkeiten suchen Sie?“, „Haben Sie eine Filiale in Europa?“, ein weiterführendes Gespräch einleiten. Oder die nächste Hand schütteln, ihr die eigene Visitenkarte anbieten, sich vorbeugen, studieren, nicken. Am Sonntagabend werden dermaßen viele Karten und Personaldaten ausgetauscht, dass dem Erbgroßherzog, der die chinesischen Gäste im besten Privatschulenglisch willkommen heißt, niemand zuhört. Er ist Profi und lächelt trotzdem.
„Das Global China Business Meeting ist ein ziemlich informelles Treffen“, erklärt Loïc Bertoli von der Außenhandelsabteilung im Wirtschaftsministerium, das neben der Firma Horasis, deren Idee das zum siebten Mal organisierte China Meeting ist, als Koorganisator agiert hat. Das Konzept: Man lädt nur Leute aus der obersten Liga ein. CEOs, Presidents und Mr. Chairmen und vielleicht noch ihre direkten Stellvertreter. Und gibt ihnen die Plattform, sich gegenseitig kennenzulernen, Kontakte zu knüpfen, ins Geschäft zu kommen. Der Austausch von Visitenkarten ist damit Pflicht. „Diese Konferenz war eine einmalige Gelegenheit, so viele große Namen [aus der chinesischen Geschäftswelt] nach Luxemburg zu bringen“, so Bertoli. „Manche dieser Männer“, fügt Pierre Ferring, seit 2006 Generalkonsul Luxemburgs in Shanghai, hinzu, „leiten zuhause Firmen, die mehr als 100 000 Mitarbeiter beschäftigen.“
Entsprechend selbstbewusst treten die chinesischen Unternehmer am Montag auf die Bühne des Meetings, rufen dem Publikum die Superlative der chinesischen Wirtschaftsleistung ins Gedächtnis: Schwindelerregende Wachstumsaussichten, Rekordexporte. Hinweise auf die laxe Geldpolitik der EZB fehlen nicht, und die Firmenchefs aus China machen sich vom Podest aus Sorgen um den Aufschwung in den USA und Japan, ihren Absatzmärkten. In fünf bis zehn Jahren werde China die größten Kapitalreserven der Welt stellen und der größte Verbrauchermarkt weltweit sein. „Keine große Firma kann es sich leisten, China fern zu bleiben.“ Schon früher werde es in China mehr Milliardäre geben als das Vereinigte Königreich Einwohner zählt. Die geladenen Gäste aus Afrika bezeugen, wie gut das chinesische Engagement dem schwarzen Kontinent tut, wo sich China mit Erdöl und anderen Rohstoffen versorgt.
Den klaren Ansagen der Chinesen steht das Gesäusel mancher europäischen Vertreter gegenüber. Der Chef einer spanischen Sparkasse lobt das verantwortungsvolle Verhalten, das die chinesische Regierung durch den Kauf europäischer Staatsanleihen unter Beweis gestellt habe. Nach solchen Zärtlichkeiten stört es die selbstsicheren und pragmatischen Chinesen auch nicht, wenn der Chef der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, der wie gewohnt die größten Zuhörermassen in den Konferenzsaal lockt, die Menschrechtslage in der Volksrepublik anspricht. Sie lassen sich dennoch mit ihm fotografieren.
Dabei sind die chinesischen Turbokapitalisten gar nicht so unkritisch dem System zuhause gegenüber, wie sich das die westlichen Konferenzteilnehmer hätten erwarten können. Das Schlagwort Nachhaltigkeit ist fester Bestandteil auch im Mandarin-Vokabular. Die Einkommensunterschiede zwischen urbanen und ländlichen Gebieten sind ein Problem, das die Unternehmer beschäftigt. Die Inflation macht ihnen zu schaffen. Das sind zwar auch in China keine Kontroversen, sondern Missstände, die Peking anerkennt und angehen will. Doch wenn der CEO der Fosun Group, einem Großkonzern, der in der Immobilienbranche, in der Touristik und im Stahlwesen tätig ist, Finanzdienstleistungen anbietet, in Biotech- und Pharmafirmen engagiert ist, ausdrücklich Währungsreformen fordert, weil der schwache Renminbi bei der Expansion im Ausland hinderlich ist, scheint das doch etwas gewagt. Zumal sich der chinesische Premier Wen Jiabao anlässlich seiner Brüssel-Visite vor wenigen Wochen in der Währungsfrage den Druck der Europäer, die eine rasche Aufwertung der chinesischen Währung fordern, verbat.
Die konträren Positionen, die in Bezug auf die schwache chinesische Währung bezogen werden, sind die Zeichen des Wandels, in dem sich die chinesische Wirtschaft befindet. Der tertiäre Sektor sei unterentwickelt, beklagten die Diskussionsteilnehmer am Montag auf dem Podium. Wer billige Massenware Made in China herstellt, darauf nur kleine Margen hat, der muss, auch wenn von geringen Währungsaufwertungen die Rede ist, den Taschenrechner herausholen, prüfen, ob er danach noch profitabel und auf den Exportmärkten konkurrenzfähig ist. Wer dafür weniger empfindlich sein will, der braucht Technologie, muss seine Produktion auf einer höheren Ebene der Wertschöpfungskette ansiedeln. „Qualitatives Wachstum anstatt quantitatives Wachstum“ streben die chinesischen Unternehmer deswegen an – Wissensgesellschaft auf Chinesisch. Die Technologie dafür im Ausland einzukaufen, ist neben der Sicherung von Rohstoffen und Lebensmittelversorgung ein immer wichtigeres Ziel der Außenhandelspolitik – die Teilnehmer eines Workshops gingen am Montag davon aus, dass Europa neben Afrika inden kommenden Jahren Hauptziel chinesischer Investitionen sein wird.
Ein Beispiel dafür ist die Übernahme von Volvo durch das chinesische Unternehmen Geely im März, sagt Pierre Ferring. Für 1,8 Milliarden Dollar sicherte sich das Unternehmen Zugang zur Schwedentechnik. Chinesische Firmen werden weiter im Ausland investieren, sagt auch Liang Xinjun, der CEO von Fosun, und die Regierung wird sie dabei weiterhin unterstützen. Ihm Rahmen der offi-ziellen Außenhandelspolitik sind die chinesischen Auslandsinvestitionen von 2,5 Milliarden Dollar 2002 auf 48 Milliarden Dollar 2009 gestiegen, sagt Pricewaterhousecoopers. Damit wurden nicht nur Patentrechte, sondern auch Absatzmärkte gesichert. Welche Rolle soll das kleine Luxemburg in diesen Vorgängen übernehmen? Strategie des Wirtschaftsministeriums ist es, den aufstrebenden Wirtschaftsgroßmächten Luxemburg als Plattform für die Europaaktivitäten ihrer Unternehmen anzudienen, erklärt Bertoli.
Aus dieser Ursache war auch der Generalkonsul aus Shanghai zur Konferenz in Luxemburg angereist. Genauer gesagt, um die Beziehungen zu den Chefs der chinesischen Unternehmen zu pflegen. Der Luxemburger Expo-Pavillon zählte 7,2 Millionen Besucher, jeder zehnte Expo-Gast passierte die Luxemburger Stahlfestung.Mehr Besucher gab es bekanntermaßen nur in den chinesischen, amerikanischen und französischen Pavillons. Und auch im VIP-Bereich ging es zu wie im Bienenkorb. „Wir hatten in der VIP-Lounge über 1 000 Kontakte. Jedes Wochenende waren meine Mitarbeiter und ich auf der Expo, haben dort Geschäftsleute empfangen, die privat mit ihren Familien unterwegs waren, sie durch den Pavillon geführt“, erzählt Ferring. Einige von ihnen waren diese Woche in Luxemburg mit von der Partie, die hat er ins Büro des Wirtschaftsministers begleitet. Wenn die westlichen Industriena-tionen um die chinesischen Investi-tionsgelder buhlen, ist der persönliche und personalisierte Kontakt doppelt wichtig. Diesen herzustellen und zu pflegen, so Ferring, ist Ausdauerarbeit. „Die hat mit der Expo erst begonnen und muss jetzt fortgesetzt werden.“
Das gilt auch, wenn die Investitionen Richtung China gehen. „Der schnellste Weg zwischen zwei Punkten führt in China nicht immer in einer gerade Linie“, sagt der Diplomat Ferring. Damit umschreibt er das Problem, dem westliche Firmen, die in der Volksrepublik investieren wollen, gegenüberstehen: Wenn unklar ist, was die Prozeduren beispielsweise zur Einrichtung einer Produktionsanlage sind, beziehungsweise es keine genauen Prozeduren gibt, braucht man Freunde, die helfen. Die Luxemburger sind kreativ, wenn es darum geht, Freundschaften zu schließen. So gibt sich das Konsulat Mühe, zügig auf Visa-Anträge zu reagieren. „Wir halten uns dabei strikt an dieRegeln für den Schengenraum“, betont Ferring. Doch wer beim Luxemburger Konsulat schneller bedient wird als bei der europäischen Konkurrenz, wo Nummernziehen und stundenlanges Schlangestehen normal sind, behält das Großherzogtum in guter Erinnerung.
Die Bestrebungen des Wirtschaftsministers Jeannot Krecké (LSAP) und seiner Beamten, Luxemburg als Europabasis zu etablieren, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen zu generieren, tragen Früchte. Schon 2007 hat das Technologieunternehmen Huawei eine Niederlassung in Luxemburg eröffnet. „Mittlerweile sind dort 60 Mitarbeiter beschäftigt“, sagt Bertoli. Huawei setzte Anfang November einen neuen Meilenstein in der Firmengeschichte: Mehr als eine Milliarde Menschen nutzen ihre Mobilfunktechnologie. Im Mai, anlässlich der Expo-Eröffnung, lud die Vizechefin der Firma Krecké mitsamt der ganzen Luxemburger Delegation zur Flusskreuzfahrt in Shanghai ein. Ihr Sohn, ein großer Michael-Jackson-Fan im Grundschulalter, nutzte die Gelegenheit für einen Gesangsauftritt vor internationalem Publikum, das enthusiastisch klatschte.
Die Industrial and Commercial Bank of China (ICBC) – die Firma mit der weltweit höchsten Börsenkapitalisierung –, deren CEO (neben dem der Bank of China) zu den 1 000 VIP-Wochenendgästen im Luxemburger Pavillon gehörte, plant Berichten der Financial Times zufolge, ihr Europahauptquartier in Luxemburg anzusiedeln. Solche unbestätigten Berichte, will der Generalkonsul nicht kommentieren. Doch ganz im Konjunktiv meint er: „Sollte sich das bewahrheiten, wäre das eine gute Sache.“ Nicht nur wäre es eine Bestätigung für den Luxemburger Bankenstandort. Chinesische Konzerne, erklärt er, finanzieren sich hauptsächlich über Bankdarlehen. Und bei der Expansion im Ausland haben die Firmen ihre – staatlich gelenkte – Hausbank gerne dabei. Deswegen zieht es Banken und Firmen oft an den gleichen Ort. Sollten sich diese Berichte bewahrheiten, wäre das ein großer Erfolg, ein messbares Resultat der Bemühungen des Außenhandelsministerium.