Für Überraschung sorgte mancherorts die Regierung mit ihrer Ankündigung, die Mehrwertsteuer möglicherweise bereits im September oder Oktober dieses Jahres zu erhöhen, obwohl der auszugleichende Einnahmenausfall aus der Besteuerung des elektronischen Handels erst nächstes Jahr erwartet wird. Um sich nicht auf eine Diskussion einlassen zu müssen, beschwichtigte Premierminister Xavier Bettel nach der Kabinettsitzung vergangene Woche, es müssten aber noch allerhand „Berechnungen über die Auswirkungen einer TVA-Erhöhung“ angestellt werden, so dass „das Timing noch nicht entschieden“ sei. Finanzminister Pierre Gramegna (DP) meinte am Dienstag vor dem Parlament, dass die Regierung erst in den nächsten Wochen im Zusammenhang mit den Vorbereitungen des Haushaltsentwurfs für 2015 über die Einzelheiten der Mehrwertsteuererhöhung beraten werde.
Die vielleicht interessanteste dieser von Xavier Bettel in Aussicht gestellten Berechnungen könnte die Frage beantworten, welche Auswirkungen die Mehrwertsteuererhöhung auf den Index zur Anpassung der Löhne und Renten an die Preisentwicklung haben wird – und da ist die Wahl von September oder Oktober für das Inkrafttreten der Steuererhöhung alles andere denn unschuldig. Denn auch wenn die drei Regierungsparteien schon in ihren Wahlprogrammen die Mehrwertsteuererhöhung ankündigten, schwiegen sie sich – ebenso wie die CSV – im Wahlkampf sicherheitshalber darüber aus, ob die solchermaßen versursachte Preiserhöhung für die Lohnabhängigen und Rentner mittels des Index ausgeglichen wird.
Zu der geplanten Mehrwertsteuererhöhung schrieb die Zentralbank in ihrem jüngsten Bulletin: „Ceteris paribus et à titre d’exemple uniquement, une augmentation du taux normal de la TVA, de 15 % à 16 %, se solderait dans le cas d’une transmission pleine par un choc supplémentaire de 0,4pp sur les prix. La hausse des prix exercerait à son tour un impact sur le coût salarial moyen via le mécanisme d’indexation des salaires et par le biais de l’avancement du paiement de la tranche indiciaire.“ Finanzminister Pierre Gramegna bestätigte am Dienstag noch einmal, dass der Mehrwertsteuer-Regelsatz nicht um einen, sondern um zwei Prozentpunkte auf 17 Prozent erhöht werden soll. „Arbeitshypothese“ sei, dass auch die niedrigeren Sätze von sechs Prozent und 12 Prozent um jeweils zwei Prozentpunkte erhöht würden. Der „super-reduzierte“ Satz von drei Prozent kann laut europäischen Abmachungen nicht geändert werden, ohne ihn gleich abzuschaffen. Auch beim „Parking-Satz“ von zwölf Prozent für die Verwahrung von Wertpapieren, Brennstoff und das Fensterputzen ist nicht klar, wie er erhöht werden kann. Deshalb wurde bereits an seine Abschaffung, das heißt Erhöhung auf den Regelsatz von 17 Prozent gedacht, um so mehr als die Haushaltsempfehlungen des Europäischen Rats von Juli 2013 Luxemburg ermutigen „à prendre des mesures pour corriger le biais de la fiscalité des entreprises en faveur de l’endettement et pour étendre l’application du taux normal de TVA“.
Doch unabhängig von den letzten Einzelheiten der Mehrwertsteuererhöhung: unter den Bedingungen des automatischen Indexsystems löst sie Preiserhöhungen aus, durch die rasch eine Indextranche fällig würde, um die Löhne und Renten an die Preisentwicklung anzupassen. In ihren Wahlprogrammen waren sich die drei Regierungsparteien vor allem einig, den „gedeckelten Index“ der CSV abzulehnen. Ansonsten äußerten sie sich aber unterschiedlich zum automatischen Indexsystem. Die DP kündigte an, „eine Indextranche ausfallen zu lassen. [...] Wir wollen darüber hinaus den Warenkorb überarbeiten bzw. die Gewichtung verschiedener Produkte (Tabak, Energie…) neu ordnen und den Mechanismus dauerhaft auf maximal eine Indextranche pro Jahr begrenzen.“ Die LSAP wollte dagegen „den Index-Mechanismus, so wie vom Gesetz vorgesehen, beibehalten. [...] Sollte sich eine mehrfache Indexauszahlung pro Jahr aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung als nicht verkraftbar erweisen, wird die LSAP im Dialog mit den Sozialpartnern erneut für eine Übergangsregelung eintreten, die mindestens eine Indextranche pro Jahr vorsieht.“ Die Grünen wollten „das normale, nicht modulierte Indexsystem wieder einführen. [...] Wenn es in einer außergewöhnlichen Krisensituation in Zukunft dennoch notwendig erscheinen sollte, das Indexsystem der automatischen Anpassung der Löhne, Gehälter und Renten zeitweise auszusetzen, sollte dies gemeinsam von und mit den Sozialpartnern verhandelt werden.“
Davon ausgehend, einigten sich die drei Parteien in ihrem Koalitionsvertrag auf die Formel: „Le principe de l’indexation automatique des traitements, salaires, pensions, rentes et autres indemnités et montants généralement adaptés restera intact. Toutefois, dans la mesure où il est constaté que le Luxembourg n’est pas complètement sorti de la crise économique, le Gouvernement procèdera, après consultation des partenaires sociaux, à l’adaptation de la législation en matière d’indexation automatique des salaires selon le modèle actuellement en vigueur. Le panier-type des biens et des services ne sera pas modifié.“
Das derzeitig gültige Gesetz vom 2012 gewährt jeweils eine Indextranche im Oktober der Jahre 2012, 2013 und 2014. Es stellt aber nur eine befristete Ausnahme zum allgemeinen Index-Gesetz von 1963 dar. Läuft diese Frist Ende dieses Jahres ab, treten die ursprünglichen Bestimmungen über die automatischen Index-Anpassungen wieder in Kraft, falls kein Gesetz über eine Fortsetzung der Indexmanipulation folgt.
Die Regierung hat sich noch nicht öffentlich dazu geäußert, ob Luxemburg ihrer Meinung nach völlig aus der Krise ist oder ob der vergangenes Jahr festgestellte Konjunkturaufschwung für sie noch nicht das Ende der Krise bedeutet und sie deshalb entsprechend dem Koalitionsabkommen eine Verlängerung der Indexmanipulation für nötig hält. An sich besteht auch kein dringender Grund, zusätzlich eine Index-Debatte auszulösen, wenn schon Steuererhöhungen und Sparmaßnahmen angekündigt werden müssen. Schließlich war schon im Koalitionsabkommen der CSV/LSAP-Regierung 2009 angekündigt worden, das großherzogliche Reglement vom 5. April 1985 zu ändern, doch gleich zwei LSAP-Wirtschaftsminister nacheinander hatten die Aktualisierung der darin aufgezählten „Warnleuchten“ verschlafen, welche eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage anzeigen und eine Indexmanipulation auslösen sollten.
Vielmehr schafft die derzeitige Rechtslage das erstaunliche Paradox, dass nächstes Jahr mit einer weiteren Indexmanipulation eine Index-Tranche ausgezahlt würde, mit der Wiedereinführung der automatischen Indexanpassungen aber keine. Denn wenn die Regierungsmehrheit eine Neuauflage des bestehenden Gesetzes über die Indexmanipulationen vornähme, gewährte dieses wohl wieder jährlich eine Index-Tranche, also auch eine im Oktober 2015. Lässt sie dagegen eine Rückkehr zum System der automatischen Indexanpassungen zu, wird 2015 gar keine Index-Tranche ausgezahlt. Die nächste Tranche nach dem Oktober dieses Jahres wird dann voraussichtlich im ersten Quartal 2016 fällig – als Spätfolge der gegenwärtigen Indexmanipulationen. Das im Januar 2012 von CSV, LSAP und Grünen gutgeheißene Gesetz sieht nämlich vor: „Dans le cas d’une adaptation en 2014, le point de départ pour le calcul de la cote d’échéance subséquente prendra la valeur de la moyenne semestrielle de l’indice des prix à la consommation publié sur la base 100 au 1er janvier 1948 correspondant au mois précédant cette adaptation. Chaque tranche déclenchée avant cette remise à niveau et non appliquée est annulée.“
Die Regierung hätte also Interesse daran, vorerst kein neues Index-Gesetz zu machen, da so eine besonders für die LSAP heikle Diskussion vermieden würde und den Betrieben eine Index-Tranche nächstes Jahr erspart bliebe – wie von der DP im Wahlkampf versprochen. Bliebe noch die Mehrwertsteuererhöhung – sie würde im wieder eingeführten System der automatischen Indexanpassungen dazu führen, dass doch noch schnell eine Index-Tranche nächstes Jahr fällig würde.
Aber da ist eben die Schlussbestimmung des Gesetzes über die Indexmanipulationen von 2012 bis 2014: Wenn die nächste Tranche im kommenden Oktober fällig wird, wird der Zähler auf null gestellt, indem auf den Indexstand von September zurückgegriffen wird und alle bis dahin noch fälligen Index-Tranchen gelöscht werden. Dadurch werden die zwischen der letzten fällig gewordenen Indextranche und ihrer Auszahlung im Oktober entstandenen Preiserhöhungen ignoriert. Danach wird wieder der Anstieg der Inflation um 2,5 Prozent abgewartet, bevor die nächste Index-Tranche fällig wird.
Was liegt also näher, als die für den 1. Januar geplante Mehrwertsteuererhöhung, wie angekündigt, auf September oder Oktober vorzuziehen? Sie treibt dann zwar die Preise in die Höhe, aber der Index-Stand wird gleich wieder auf September zurückgesetzt und die fällige Index-Anpassung verschwindet elegant in einer schon von CSV und LSAP geschaffenen Zeitfalte.
Dann steigen zwar mit der Mehrwertsteuer die Preise merklich, aber es findet bis 2016 keine Index-Anpassung mehr statt. Und dann ist immer noch Zeit, ein neues Gesetz zu machen, um die Index-Tranchen wieder auf eine jährlich zu begrenzen. Um bis 2019 nichts dem Zufall zu überlassen, sieht das Koalitionsabkommen schon den Schlussabsatz dieses nächsten Gesetzes vor: „Dans le cas d’une adaptation en 2019, le point de départ pour le calcul de la cote d’échéance subséquente prendra la valeur de la moyenne semestrielle de l’indice des prix à la consommation publié sur la base 100 au 1er janvier 1948 correspondant au mois précédant cette adaptation. Chaque tranche indiciaire déclenchée avant cette remise à niveau et non appliquée est annulée.“