Nach der Sitzung der LSAP-Fraktion vergangene Woche machte sich der Fraktions- und Parteipräsident der LSAP seine Gedanken über die angekündigte Einkommenssteuerreform. Wenn die Regierung verspreche, den Mittelstandsbuckel zu verringern, und die Steuerreform gleichzeitig einkommensneutral ausfallen soll, so überlegte Alex Bodry, müsse die Besteuerung zwangsläufig in anderen Einkommensbereichen der Steuertabelle erhöht werden. Für ihn drängte sich deshalb eine Verstärkung der Progressivität auf und die Einführung einer „Steuerstufe für die, die viel verdienen“.
Da die Debatte über eine Steuerreform erst 2016 geführt und die Reform vielleicht 2017 Gesetz werden soll, könnte die Ungeduld überraschen, mit der Alex Bodry über die Steuertabelle reden will. Schließlich scheinen die Regierungsparteien derzeit ganz andere Sorgen zu haben, denken sie doch gerade angestrengt über gleich zwei Staatshaushalte, Einsparungen bei den öffentlichen Ausgaben und eine Mehrwertsteuererhöhung nach. Doch gerade die als unvermeidlich angekündigte Mehrwertsteuererhöhung hat in Kreisen sozialistischer Mitglieder und Wähler einen schlechten Ruf. Denn als lineare Verbrauchersteuer sind die TVA-Sätze unabhängig von der Einkommenslage der Steuerpflichtigen und gelten daher als ungerecht – nach dem Motto, dass die Witwenrentnerin und der Bankdirektor gleichviel Mehrwertsteuer auf ihrem Pfund Butter zahlen müssen. Also musste sich der LSAP-Präsident beeilen, seine Basis zu trösten, dass nach der Erhöhung einer ungerechten linearen Steuer die Erhöhung einer gerechten progressiven Steuer folgen wird.
Damit beruhigt er auch jene Mitglieder und Wähler, die befürchten, dass in Steuerfragen die DP und der ehemalige Direktor der Handelskammer als ihr Finanzminister den Ton in der Regierung angeben. Um nicht allzu viele Stimmen an déi Lénk zu verlieren, hatte die LSAP in ihrem Wahlprogramm eine Reichensteuer versprochen, wie sie eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 45 Prozent ab einem steuerpflichtigen Einkommen von 200 000 Euro nannte. Das klang nur klassenkämpferisch, weil es heute schon verpönt ist, Arme und Reiche so zu nennen. Aber in Wirklichkeit kam die Reichensteuer ziemlich brav daher, wenn man bedenkt, dass der seither mehrfach gesenkte Spitzensteuersatz 1990 noch bei 56 Prozent lag und bereits ab einer Einkommensstufe von 32 752 Euro erhoben wurde. Trotzdem fand die Reichensteuer keinen Eingang in das Koalitionsabkommen, was der LSAP den Vorwurf mangelnden Durchsetzungsvermögens einbrachte, den Bodry nun mit der Ankündigung abzuwenden versuchte, der Vorschlag sei, auch wenn er nun nicht mehr so heiße, noch immer aktuell und keineswegs einer Kapitulation vor der DP zum Opfer gefallen.
Aber Bodrys Vorstoß soll auch ein ihm liebes Prinzip erhalten, dasjenige einer Eigenständigkeit der Partei gegenüber den sozialistischen Ministern. Und hier gilt Vizepremier Etienne Schneider zwar als Retter und Erlöser, der die Partei aus der babylonischen Gefangenschaft an der Seite der CSV unverhofft zurück in die Regierung führte. Doch ihm wird auch vorgeworfen, die Reichensteuer im Wahlkampf ziemlich offen als ideologischen Mummenschanz zur Belästigung ausländischer Fachkräfte und High net worth abgetan und sie bereits in der ersten Runde der Koalitionsverhandlungen allzu schnell vom Tisch gefegt zu haben.
DP-Premier Xavier Bettel meinte nun, dass Bodrys Vorschlag eines höheren Spitzensteuersatzes unter freier Meinungsäußerung rangiere und deshalb keiner weiteren Erörterung wert sei. Aber dem Vorschlag kommt auch eine symbolische Bedeutung zu: Es ist das erste Mal seit der Bildung der ökosozialliberalen Koalition, dass öffentlich ökonomische Interessengegensätze in ihren Reihen angemeldet werden.