Eine der vielleicht wichtigsten Fragen, über welche die Wähler nächsten Monat zu entscheiden haben, könnte diejenige über eine große Steuerreform sein. Schließlich werden die Staatsbürger erst hellwach, wenn sie sich als Steuerzahler angesprochen fühlen, und Leserbriefschreiber untermauern die moralische Berechtigung ihrer abstrusesten Forderungen damit, dass sie schließlich Steuern zahlen – auch wenn sie sich in Wirklichkeit am liebsten mit, je nach Vermögenslage unterschiedlichen, Mitteln am Steuerzahlen vorbeidrücken.
Einfach wird den Wählern ihre Entscheidung jedoch nicht gemacht. Denn die einzelnen Parteien haben noch keine konkreten Vorschläge veröffentlicht; mehr als Kugelschreiber, Luftballons und Apfelsinen hatten sie am Montag auf der hauptstädtischen Braderie nicht zu bieten. So findet die öffentliche Debatte, an deren Ende die Wähler sich sachkundig entscheiden sollen, bisher gar nicht statt.
Für die Parteien, die in den kommenden Wochen ihre Wahlprogramme verabschieden wollen, ist die Aufgabe, zugegeben, ebenso kompliziert wie riskant. Denn Steuerpolitik sind vor allem in das allgemeine Interesse gekleidete Eigeninteressen. Folglich spricht sich der von der Handelskammer gegründete Verein 2030.lu in seinem Katalog Pour un changement à la hauteur de nos ambitions gegen eine Erhöhung der Einkommenssteuer und der Unternehmensbesteuerung aus, während der OGBL in einem Resolutionsentwurf gerade eine stärkere Besteuerung der hohe Einkommen und der Kapitaleinkünfte verlangt. Im Herbst 2009 waren 30 000, meist sich mit Großraumlimousinen und Geländewagen fortbewegende Steuerzahler in einen Steuerstreik gegen die Reform der Autosteuer getreten, die schließlich Lucien Lux (LSAP) sein Ministeramt kosten sollte. Und der von der DP im März 2010 organisierte Ideenwettbewerb Initiativ géint Steiererhéijungen ergab, dass zumindest der liberal gesinnte Bürger es am liebsten sieht, wenn auf Kosten anderer gespart wird, damit er weniger Steuern zahlen muss. Auch im bald offiziell beginnenden Wahlkampf reduziert sich die Steuerpoltik auf die politische Frage, ob der Steuerstaat bloß seine unumgänglichen Ausgaben finanzieren oder auch Einkommen umverteilen soll.
Schon in der Vergangenheit fehlte es keineswegs an großen Reformversprechen: Am 16. April 1997 hatte der spätere Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP) in seinem Rapport sur la fraude fiscale au Luxembourg auf 239 Seiten Vorschläge gemacht, um den Steuerbetrug zu bekämpfen. Der damalige Premier- und Finanzminister Jean-Claude Juncker (CSV) hatte am 12. August 1999 versprochen, die ausufernden Steuerfreibeträge ganz abzuschaffen oder wenigstens auf ein Minimum zu reduzieren. Am 22. Mai 2008 hatte derselbe Minister dem Parlament zwei Studien der Steuerverwaltung über die Einführung einer modischen Flat tax und der Individualbesteuerung übergeben. Doch all diese Versprechen und Studien sowie noch andere – vom ewigen Kampf gegen den Mittelstandsbuckel bis zur Entlastung der Junggesellen als letzte „Milchkühe der Nation“ – blieben folgenlos. Gar nicht zu reden von den während der letzten Jahre wirr eingeführten und wieder abgeschafften Krisensteuern.
Angesichts all dieser Erfahrungen darf man sich fragen, ob das Versprechen einer großen Steuerreform nicht bloß der Zuckerguss sein soll, mit dem die Wähler die bittere Pille der Mehrwertsteuererhöhung schlucken sollen. Mit Drehen und Winden bekennen sich nämlich alle Parteien, die in die Regierung kommen wollen, zu einem höheren TVA-Satz, der ab 2015 den Ausfall der Steuereinnahmen aus dem elektronische Handel ausgleichen soll. Denn sie wissen, wie schwer es sein wird, ohne Bekenntnis zu einer Mehrwertsteuererhöhung einen Koalitionspartner zu finden.