François Bausch/déi Gréng

Die Partei des ökologischen Korrektivs

d'Lëtzebuerger Land vom 30.08.2013

„Ich kämpfe für den Wechsel“, sagt François Bausch im Untergeschoss der grünen Fraktion auf dem Heiliggeist-Plateau. „Wir wollen auf der Grundlage unseres Programms einen Wahlkampf führen, um in die Regierung zu kommen. Schließlich stehen wir für Erneuerung. Es ist ungesund, wenn eine Partei 40 oder 50 Jahre lang an der Macht ist – ob das nun die CSV oder eine andere Partei ist, und auch wenn dies den Willen eines Teils der Wähler ausdrückt.“ Deshalb wollen die Grünen auch „die CSV nicht zum Sündenbock machen. Wir wollen uns anhand von politischen Inhalten mit ihr auseinandersetzen.“

François Bausch ist der informelle Parteivorsitzende der Grünen seit... seit... In Wirklichkeit weiß das keiner mehr so genau. Denn die Parteisprecher­Innen und ParteipräsidentInnen kommen und gehen, aber der Fraktionssprecher leitet unangefochten wie kaum zuvor die Grünen. Abgeordneter ist er seit einem Viertel Jahrhundert.

Der bald 57-jährige Bausch wurde erst drei Jahre nach der Gründung der Grünen Parteimitglied. Aber der ehemalige Eisenbahnangestellte und Gewerkschafter teilt noch mit einigen der Gründerväter die Herkunft aus der linksradikalen und sozialistischen Ecke, eine politische Schulung, die ihn bis heute gegenüber vielen anderen in seiner Partei überlegen macht.

Gleichzeitig verkörpert Bausch wie kein anderer den grünen Wandel vom Bürgerschreck mit Zottelfrisur zum Berufspolitiker im oft belächelten Designer­anzug. Dass er seit 2005 hauptstädtischer Finanzschöffe ist, lässt seine Partei endgültig salonfähig erscheinen. Als Berichterstatter des parlamentarischen Ermittlungsausschusses zum Geheimdienstskandal gewann er in den vergangenen Monaten zusätzlich an politischem Ansehen – und hofft, seine ein wenig zu staatserhaltende Rolle im parlamentarischen Kontrollausschuss vergessen zu machen.

Unter dem Einfluss der deutschen Schwesterpartei hatte Bausch es schon vor Jahren zum Ziel erklärt, die Grünen zur drittstärksten Partei im Land zu machen. Auch wenn es derzeit nicht ganz realistisch erscheint, mehr Stimmen als die DP zu erwarten, sieht er keinen Grund für falsche Bescheidenheit. „Mein Traumziel war es immer, einmal 1 000 Mitglieder zu haben und somit nicht mehr länger unter den ‚kleinen Parteien‘ zu rangieren. Dieser Zahl nähern wir uns inzwischen an.“

Ähnlich wie eines seiner Vorbilder, der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer, will Bausch mit der Ausdauer des Langstreckenläufers die Grünen bis in die Regierung führen. Als Höhepunkt seiner Laufbahn hatte der ehemalige Sponti Joschka Fischer zusammen mit den Sozialdemokraten eine Politik durchgesetzt, welche die deutsche Inlandsnachfrage gnadenlos der Wettbewerbsfähigkeit der Exportwirtschaft opferte.

Doch für François Bausch sind die Grünen weiterhin „ganz klar eine linke Partei. Rechts ist für mich der Stillstand, links bedeutet, etwas zu ändern. Wir haben in unserem Programm zu 99 Prozent linke Positionen. Für mich gibt es hierzulande auch keine soziale Gerechtigkeit, es gibt große Demokratiedefizite“. Dagegen spreche auch nicht, dass Mitglieder der Unternehmerlobby 5vir12 bei den Grünen kandidieren. „Auf unseren Listen sind drei Unternehmerinnen, die zusammen rund 450 Leuten Arbeit geben. Man kann ihnen sicher kein soziales Gewissen absprechen. Christiane Wickler wird auf unserem Parteitag den wirtschaftspolitischen Teil des Wahlprogramms vorstellen.“ Mit ihrem Anfang des Jahres verabschiedeten neuen Grundsatzprogramm sind die Grünen in der Lage, einem Koalitionspartner Etienne Schneider oder Jean-Claude Juncker das miefige Verzichtsethos modern und ökologisch zu wenden, um Luxemburg während der nächsten Legislaturperiode wettbewerbsfähig zu machen.

„Die Grünen spielen eine entscheidende Rolle für den Wechsel“, meint François Bausch. „Grüne Reformfähigkeit kann Schluss mit dem jahrzehntelangen Drei-Parteiensystem machen, demnach zwei Parteien sich als Koalitionspartner an der Seite der CSV abwechseln. Es ist unsere Rolle, ein neues Moment in die Regierungsbildung hineinzubringen.“

Der Ausgang der Wahlen ist für François Bausch diesmal „extrem offen“. Mit 26 Mandaten sei die CSV überrepräsentiert, unter anderem weil das Wahlsystem mit der Berechnung der Restsitze die größten Parteien bevorteilt. „Nachdem sie 2009 vier Restsitze gewann, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie noch einmal diesen Stand erreichen wird. Der Trend der letzten vom Tageblatt veröffentlichten Meinungsumfragen zeigt, dass die Grünen zwei Sitze hinzu gewinnen könnten, während die größeren Parteien eher zurückgehen.“

Will Bausch „eine Mauer durchbrechen“ und eine Regierung ohne christlich-soziale Beteiligung durchsetzen, bedeutet dies, dass er eine Koalition aus LSAP, DP und Grünen anstreben muss. Anders ist augenblicklich rein rechnerisch keine Mehrheit ohne CSV denkbar. Und selbst für eine Ampelkoalition – wie das in Deutschland heißt, wo die Blauen gelb sind – müssen LSAP, DP und Grüne zulegen, um über ihre derzeit 29 Sitze zu kommen. „Natürlich besteht ein Risiko, dass die CSV von einer Verzettelung der Wähler profitiert. Dass Stimmen an die Linken, die Piraten, Jean Columberas Pid verloren gehen. Und wohin wandern die Stimmen und Sitze, welche die ADR 2009 erhalten hatte?“

Bausch ist nicht ohne Bewunderung für den unverfroren auftretenden neuen LSAP-Kandidaten. „Ich finde es erfrischend und positiv für die Demokratie, dass mit Etienne Schneider die LSAP wieder einen Kandidaten hat, der nicht antritt, um Zweiter zu werden, sondern erklärt, dass er Premierminister werden will. Nirgends steht geschrieben, dass die CSV auf ewig die größte und beste Partei wäre. Doch das darf nicht darauf hinauslaufen, dass am Ende wieder eine schwarz-rote Koalition wie bisher herauskommt.“

Allerdings droht Schneider, den Grünen die Schau zu stehlen. Denn mit seiner Herausforderung an den bisherigen Premier will er den Wahlkampf zu einem Duell Juncker-Schneider machen, wo die anderen Parteien in die Rolle von Zuschauern gedrängt werden. Zudem waren es bisher die Grünen, die jung, modern und reformwillig erschienen – nun tritt ausgerechnet der LSAP-Kandidat noch jünger, noch moderner, noch reformwilliger auf.

„Wir unterscheiden uns schon von Etienne Schneider in wichtigen Fragen, etwa wenn es um Umwelt, Wirtschaftspolitik oder Energie geht. Deshalb ist es wichtig, dass die Grünen als Korrektiv gewählt werden“, meint François Bausch – so wie der sozialistische Fraktionssprecher Lucien Lux schon ankündigte, das sozialpolitische Korrektiv zum liberalen LSAP-Spitzenkandidaten zu sein.

Schon 1999 hatten die Grünen in ihr Wahlprogramm geschrieben, dass „Umweltschutz [...] nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses“ stehe. Das ist natürlich hinderlich für eine Partei, der in Wählerbefragungen die höchste Kompetenz in Umwelt- und Transportpolitik bescheinigt wird. Aber François Bausch sieht das optimistisch: „Wir haben Umfragen machen lassen, laut denen der Umweltschutz noch immer einen hohen Stellenwert bei den Leuten genießt. Aber heute erscheinen Umweltschutzfragen vernetzt mit Wirtschafts-, Energie-, Klima- und anderen Fragen. Die Ökologie ist eine breite gesellschaftliche Thematik geworden. So unterscheiden wir uns beispielsweise auch von der LSAP: Während Etienne Schneider den Betrieben kurzfristig niedrigere Energiekosten verspricht, bemühen wir uns um eine langfristige Sicherheit der Energieversorgung. Die Umfragen bescheinigen uns inzwischen Potenziale, die vergleichbar mit denjenigen von LSAP und DP sind.“

In 14 Tagen soll ein Parteitag in Leudelingen das grüne Wahlprogramm verabschieden. Die Schwerpunkte heißen laut François Bausch Wirtschaftspolitik, Energie und Umweltschutz; Bildung und Ausbildung, auch als Mittel zum Kampf gegen die Arbeitslosigkeit; die Berufstätigkeit und Kinderbetreuung; Umweltpolitik als Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit; aus aktuellem Anlass zudem die Reform der staatlichen Institutionen.

Zu Schlüsselthemen, bei denen es heißt, weder die Wähler zu vergraulen, noch sich künftige Koalitio-nen zu verbauen, haben die Grünen ihre Positionen abgemacht. „Wir wollen den Index beibehalten, aber eine Klausel vorsehen, um ihn in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten, auf eine Tranche jährlich zu beschränken, wie es derzeit der Fall ist“, so Bausch. Nach längeren Diskussionen in der Partei seien die Grünen damit auch vom „ökologischen Index“ abgerückt, der von Jean-Cklaude Juncker vorgeschlagenen Entfernung der Erdölprodukte aus dem Index-Warenkorb.

Zu einer „Mehrwertsteuerhöhung um einen Prozentpunkt“ sind die Grünen bereit, wenn eine große Reform von Einkommens-, Körperschafts- und Kapitalbesteuerung, ein Screening der Staatsfinanzen und selektive Kindergeldansprüche nicht ausreichen, um den 2015 drohenden Einnahmeverlust aus dem elektronischen Handel auszugleichen.

Die Grünen lehnen eine umgehende Verabschiedung der Sekundarschulreform ab. „Das Wichtigste ist, erst einmal den Dialog mit den Erziehern, Eltern und Schülern zu suchen, und dafür zu sorgen, dass Ruhe einkehrt“, betont François Bausch, der diese Vorgehensweise aber nicht „Moratorium“ nennen will.

Das Gehälterabkommen im öffentlichen Dienst wollen die Grünen stimmen, wenn dann für die zwei nächsten Jahre keine Gehaltserhöhungen mehr stattfinden. Über einzelne Punkte der geplanten Reform des Beamtenstatuts, wie das Disziplinarrecht, könnte noch geredet werden, bevor sie verabschiedet werden soll.

Die Grünen sprechen sich auch für das Ausländerwahlrecht bei den Kammerwahlen und für ein Referendum über die geplante Verfassungsreform aus. Die Zukunft des Finanzplatzes sehen sie darin, dass die Fondsindustrie zunehmend in die Realwirtschaft investiert und die Finanzminister weniger Prospektionsreisen im Nahen Osten machen. Auf jeden Fall werde der Finanzplatz künftig nicht mehr die volkswirtschaftliche Rolle spielen, die er in den letzten 15 Jahren hatte.

Romain Hilgert
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