Dass der Gesetzentwurf zur Umsetzung des Fiskalpakt genannten Vertrags über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion überarbeitet werden müsste, hatte sich schon vergangenen Sommer kurz nach der Hinterlegung im Parlament abgezeichnet (d’Land, 30.08.2013). Doch dann waren erst einmal Neuwahlen. Eigentlich hätte der Fiskalpakt bis Ende des vergangen Jahres umgesetzt sein müssen. Nun ist es an DP-Finanzminister Pierre Gramegna, den Entwurf seines Amtsvorgängers Luc Frieden zu korrigieren. „In den nächsten Wochen“, so Gramegna am Mittwoch gegenüber RTL, werde der überarbeitete Entwurf ans Parlament gehen. Doch welche Änderungen er genau vornehmen will, dazu schwieg er.
Vielleicht weil er es selbst noch nicht so genau weiß. Denn die Kritik, die Staatsrat und Europäische Zentralbank in ihren Gutachten zum Entwurf formulieren, bezieht sich nicht gerade auf Detailfragen. Beide Institutionen weisen auf die Problematik der Umsetzung selbst hin. Allen voran Deutschland hatte bei den Verhandlungen zum Pakt gefordert, die goldene Haushaltregel, nach der der öffentliche Haushalt im Gleichgewicht sein beziehungsweise einen Überschuss ausweisen muss, müsse Verfassungsrang erhalten. So sollte verhindert werden, dass sie durch das jährliche Haushaltsgesetz einfach wieder ausgehebelt werden könnte. Eine Forderung, die der damalige Staatsminister und Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker (CSV) sofort abgelehnt hatte. Stattdessen werde das Gesetz durch eine besondere Mehrheit vom Parlament angenommen. Das aber ergibt nach Auffassung des Staatsrats juristisch keinen Sinn. Denn eine besondere oder extra starke Mehrheit, so der Staatsrat, sei im Luxemburger Gesetzgebungsprozess nicht vorgesehen. Und deswegen habe ein auf diese Art verabschiedetes Gesetz keinen besonderen Rang im Vergleich zu einem, das durch eine einfache Mehrheit im Parlament verabschiedet wurde – wie beispielsweise der Haushalt. „Il est évident que le choix de la loi ordinaire implique, du moins dans une optique de droit national, que le législateur peut parfaitement, au niveau de la loi budgétaire, déroger aux règles de discipline budgétaire“, so der Staatsrat in seinem Gutachten. Formellen Einspruch erhebt der Staatsrat dennoch nicht. „La garantie du respect des règles budgétaires par la loi budgétaire annuelle prendra dès lors son fondement uniquement dans le respect des obligations européennes contractées par le Luxembourg en tant qu’État membre de l’Union et qui s’impose à tous les organes de l’État, y compris à la chambre des députés.“ Die Europäische Zentralbank (EZB), mit einem Gutachten befasst, weil der Gesetzentwurf vorschlägt, die Luxemburger Zentralbank BCL als unabhängiges Überwachungsgremium einzusetzen, schlägt hingegen vor, die goldene Regel in die Verfassung aufzunehmen.
Uneinig sind sich EZB und Staatsrat über die Rolle der BCL. Während der Staatsrat keine Probleme dabei sieht, dass die BCL die Einhaltung der Haushaltsregeln kontrolliert, ist die EZB dagegen. Zwar überwachten die nationalen Zentralbanken die Haushaltsentwicklung ihrer Heimatstaaten im Rahmen der Ausübung ihr geldpolitischen Aufgaben. Doch sollte ihr Kontrollauftrag darüber hinausgehen, drohe der im Eurosystem koordinierte Kalender zur Veröffentlichung der gesamtwirtschaftlichen Analysen der Zentralbank unter Druck zu geraten und damit auch ihre Unabhängigkeit. Zweitens: „as regards the provision of assessments of fiscal policy, the formal mandate to scrutinise government policies in the form of public opinions would put the NCB in a position that could regularly conflict with fiscal policy making. The economic assessment of fiscal and macroeconomic developments is never entirely mechanical and always contains an element of judgement. It is thus easily subject to political controversy.“ In anderen Worten: Die EZB will nicht, dass sich die BCL ständig mit der Regierung in den Haaren liegt, weil sie deren Haushaltspolitik kritisiert. Das könnte nämlich auch die öffentliche Wahrnehmung der Zentralbank verändern und dadurch ihre Unabhängigkeit untergraben. So wird sich die Regierung eine andere unabhängige Instanz suchen oder schaffen müssen, die ihre Finanzpolitik im Auge behält. Der Staatsrat hatte vor allem bemängelt, dass durch den Gesetzentwurf die Rolle des unabhängigen Gremiums bei der Auslösung des „automatischen“ Korrekturmechanismus darauf, beschränkt werde, den Haushaltsentwurf des folgenden Jahres abzuwarten, in dem, falls notwendig, Korrekturen vorgenommen würden.
Denn darin sind sich Staatsrat und EZB einig: Der vorgeschlagene Korrekturmechanismus – Korrekturen im folgenden Jahreshaushalt – sei alles andere als automatisch. Dabei seien konkrete Maßnahmen, sowie eine Größenordnung und ein Kalender vorzusehen. „Le Conseil d’État est à se demander si un mécanisme qui se limite à renvoyer au projet de budget présenté par le gouvernement pour l’année à venir répond à ces exigences.“
Außerdem wirft der Staatsrat eine weitere interessante Frage auf: Welche Teile der öffentlichen Hand müssen dazu beitragen, dass die europäischen Haushaltsanforderungen erfüllt werden? Nur der Zentralstaat? Oder auch die Gemeinden und das Sozialversicherungssystem, zu dessen Finanzierung der Staat beiträgt? Schließlich spielten sie in der Berechnung des öffentlichen Saldos eine große Rolle.
Trotz aller Kritik – einen formalen Einwand hat der Staatsrat nicht formuliert. Ob dies ein Zugeständnis an die ursprünglichen Autoren und ihren Versuch ist, durch die großzügige Interpretation der Vertragsbestimmungen der Politik möglichst großen Handlungsspielraum zu lassen? Ob die neue Regierung mit ihrem aus der Handelskammer rekrutierten Finanzminister daran noch Interesse hat? „Ich kann nur sagen, wenn wir das alles umsetzen in den nächsten Wochen und im Gesetz steht, dass wir die europäischen Kriterien und Eckwerte einhalten müssen, werden wir das machen. Das ist auch in unserem Interesse, auch um selbst Herr und Meister unseres Haushalts zu bleiben, und um das zu bleiben, müssen wir die europäischen Eckwerte einhalten“, so Gramegna am Mittwoch gegenüber RTL. Wieviel Spielraum ihm bleibt, ist fraglich. Denn laut Vertrag wird der Europäische Gerichtshof die Umsetzung in den Unterzeichnerstaaten prüfen. Ist sie nicht vertragsgetreu verlaufen, können Geldstrafen drohen.