Soll die Pensionsreserve nicht nur auf den Finanzmärkten, sondern stärker daheim investiert werden? Die LSAP hatte das angedacht, im Koalitionsprogramm ist von einer „Redefinition“ die Rede

Das viele schöne Rentengeld

d'Lëtzebuerger Land vom 03.01.2014

Die Meldung schien interessant: Am 12. Dezember, eine Woche nach Konstituierung der neuen Abgeordnetenkammer, beschloss die Konferenz der Fraktionspräsidenten, es sei an der Zeit, sich mit einer über zweieinhalb Jahre alten Motion an die Regierung zu befassen. Eingereicht worden war sie während der Debatte zur Lage der Nation im April 2011 von der Fraktion der Grünen und dem Lénk-Abgeordneten André Hoffmann, und in ihr ging es um den Kompensationsfonds der nationalen Pensionskasse. Diesen Fonds gibt es seit 2004, und in ihm steckt der Großteil der Rentenreserven. Die damalige CSV-LSAP-Regierung wurde aufgefordert, Kriterien für „sozial verantwortliche Investitionen“ des Kompensationsfonds aufzustellen, und es wurde daran erinnert, dass 50 Luxemburger Gemeinden an die Regierung appelliert hatten, ihnen „dringend“ die nötigen finanziellen Mittel für eine „nachhaltige Energiepolitik“ auf lokaler Ebene bereitzustellen.

Könnte der Kompensationsfonds, der Ende 2012 rund 11,8 Milliarden Euro schwer war, also womöglich bald schon in die Wärmedämmung von Gemeindegebäuden investieren oder in den Bau großer Holzhackschnitzelheizungen mit angeschlossenem kommunalem Nahwärmenetz? Im Koalitionsprogramm der DP-LSAP-Grüne-Regierung steht auf Seite 22 immerhin, die Strategie zur Anlage der Rentenreserve werde „redefiniert“. Und während zwar DP und Grüne in ihren Wahlprogrammen kein Wort über die Rentenreserve verloren hatten, war die LSAP umso erfinderischer gewesen: „Nachhaltig und zukunftsorientiert verwaltet und investiert“ werden müsse das viele Rentengeld, „zum Beispiel in die nationalen Energie- und Versorgungsnetze, die in öffentlicher Hand bleiben und Rendite abwerfen, oder in den sozialen Wohnungsbau und die Anlage von Baulandreserven oder in wichtige Infrastruktur- und Zukunftsprojekte“. Dass die Reserven der Pensionskasse „stärker“ in eine „aktive Wohnungsbaupolitik“ einbezogen werden müssten, war den Sozialisten so wichtig, dass sie es an anderer Stelle in ihrem Wahlprogramm noch einmal wiederholten.

Solche Ideen sind nicht neu, neu aber ist, dass eine Regierungspartei sie äußerte. Bisher war der 2004 durch ein Gesetz geschaffene Fonds de compensation commun au régime général de pension (FDC) nur der Partei déi Lénk nicht ganz geheuer. Weil dem FDC schon 2004 erlaubt wurde, eine Investitionsgesellschaft mit variablem Kapital (Sicav) zu gründen und die Rentenreserve auf den internationalen Finanzmärkten anzulegen, hatte der Lénk-Abgeordnete Serge Urbany damals als einziger gegen den FDC-Gesetzentwurf gestimmt. Nachdem die Sicav 2007 entstanden war und ihr 2008 der FDC-Vorstand mit Billigung der damaligen Regierung eine neue Investitionsstrategie gab, die 2009 wirksam wurde, protestierte déi Lénk, der FDC gehe mit dem „öffentlichen“ Rentengeld um „wie ein privater Pensionsfonds“ und wolle „kurzfristigen Profit“. Denn diese Strategie, die noch immer gilt, sieht vor, bis zu 50 Prozent der Kompensationsreserve in Aktien und „alternative Investitionen“ wie Private Equity und Hedgefonds anzulegen. Déi Lénk argumentierte damals, die Rentenreserve solle besser „direkt in die Schaffung von Arbeitsplätzen und Wohnungen in Luxemburg und der Großregion investiert“ werden, damit die „langfristige Wirtschaftsentwicklung“ die „Renten von morgen“ absichere. Weil die Kompensationsreserve – damals – mit 8,9 Milliarden Euro dreieinhalb Jahresausgaben der Pensionskasse entsprach, müsse man durch den Fonds die Finanzierung der Renten nicht kurzfristig absichern.

Zwei Jahre vorher hatte der grüne Europaabgeordnete Claude Turmes ebenfalls für eine Idee geworben, die auf etwas anderes hinausgelaufen wäre als die Anlage der Rentenreserve allein in Aktien, Obligationen, Devisenfonds und Immobilien: 2007 begann sich die Fusion der Energieversorger Cegedel, Soteg und Saarferngas zu konkretisieren und der damalige Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP) dachte laut über eine „nationale Netzgesellschaft“ nach, in der sämtliche Strom- und Gasnetze aufgehen und „mehrheitlich in öffentlicher Hand“ bleiben sollten. Turmes meinte, statt „mehrheitlich öffentlich“, wie später in der Enovos-Netztocher Creos geschehen, sollten die Netze vollständig öffentlich werden und der FDC sie aufkaufen.

Fragen, ob Etienne Schneider womöglich derselben Meinung war wie Turmes vor sechs Jahren, ließen LSAP und Wirtschaftsministerium im Wahlkampf unbeantwortet. Unklar ist bisher auch, was die neue Regierung mit „Redefinition“ der Investitions-strategie des FDC meint. Der neue Sozialminister Romain Schneider (LSAP) hat gegenüber der Pensionskasse noch keinerlei Aussagen gemacht, ob es eine Redefinition geben werde, geschweige in welcher Hinsicht. Und der parlamentarische Ausschuss für Arbeit und Sozialversicherung, der sich mit der zweieinhalb Jahre alten Motion von Grünen und Lénk auseinandersetzen soll, wusste davon bis Ende vergangenen Jahrs noch gar nichts. Gut möglich, dass am Ende doch nicht viel geschieht und von den Ideen der LSAP über die Verwendung des Rentengeldes für „Zukunftsprojekte“ und eine „aktive Wohnungsbaupolitik“ während der Koalitionsverhandlungen nicht allzu viel übrig blieb: Dass die Fraktionspräsidenten zwei Wochen vor Weihnachten fanden, das Grünen-Lénk-Papier solle nun bearbeitet werden, hatte weniger damit zu tun, dass man meinte, der Kompen-sationsfonds und dessen Sicav sollten in absehbarer Zeit anders investieren, sondern mit einem Willen zum Großreinemachen: Man werde sich aller liegengebliebenen parlamentarischen Dossiers annehmen, beschlossen die Fraktionschefs, darunter halt auch der Kompensationsfonds-Motion von 2011.

Vor einer grundsätzlichen Neuausrichtung der Investitionsstrategie des Kompensationsfonds aber wäre auf jeden Fall zu klären, was man will und ob Ziele wie Wirtschaftsförderung oder „aktive Wohnungsbaupolitik“ vereinbar wären mit dem Wunsch nach einem angemessenen jährlichen Erlös aus der Rentenreserve. In den letzten Jahren hat niemand mehr das Anlageverhalten des FDC kritisiert – sieht man ab von dem Skandal im Sommer 2010 um die Beteiligung des Fonds am Kapital von Streubombenherstellern, der dazu geführt hat, dass der Fonds nun zu den „Besten“ beim ethisch verantwortlichen Investieren gehören will (siehe „Die guten ins Töpfchen ...“). Mit den heftigsten Wogen der Finanzkrise aber sind die politischen Diskussio-nen um „Kasinokapitalismus mit der Rentenreserve“ abgeebbt. Denn der FDC mit seiner Sicav und deren momentan 21 Asset Managern treten nicht gerade als Hasardeure auf den Finanzmärkten auf. Kapital verloren hat der FDC noch nie. Selbst im Krisenjahr 2008, dem ersten vollen Geschäftsjahr nach Gründung der Sicav ein Jahr vorher, fuhr der Fonds einen Nettogewinn von 152,2 Millionen Euro ein, was einem Erlös von 2,25 Prozent entsprach. Der lag zwar unterhalb der Inflationsrate, aber bis 2006 waren fast vier Fünftel der Rentenreserven auf Festgeldkonten bei fünf Banken deponiert. Wäre auch nur eine vom Bankenkrach nach Ausbruch der Subprime-Krise in den USA mitgerissen worden, wäre das folgenreicher gewesen als ein „unterperformanter“ Erlös im Jahr des Zusammenbruchs von Lehman Brothers.

Die neue, 2009 in Kraft getretene Investitionsstrategie scheint sich bisher ebenfalls recht gut zu bewähren. Bescheidene 3,8 Prozent Erlös auf sein gesamtes Portfolio strebt der FDC mit ihr an, was den Auswirkungen einer jährlichen Indextranche plus einem Reallohnzuwachs um 1,3 Prozent im Jahr entspricht und den Erlös aus der Reserve der binnenwirtschaftlichen Entwicklung folgen lassen soll – nicht mehr. Nach diesem Modell sollen strategisch 50 Prozent der Reserve in Obligationen, 35 Prozent in Aktien, zehn Prozent in Immobilien und fünf Prozent in Devisenfonds investiert werden, wobei den Fondsmanagern aber aufgetragen ist, eher „passiv“ den internationalen Benchmarks der Marktentwicklung zu folgen als sie durch Extrarisiken toppen zu wollen.

Der vorsichtige Ansatz hat bisher funktioniert. Im Jahresvergleich fällt auf, dass der FDC zunehmend in Aktien investiert, sich wegen der niedrigen Zinslage bis 2011 mit Anlagen in Obligationen zurückhielt und sich stärker an Devisenfonds beteiligt als eigentlich in seiner Strategie steht. Der Grund: Die Währungen der Bric-Staaten oder südostasietischer Länder stehen nicht schlechter da als etwa die spanische Peseta, ehe sie im Euro aufging.

Nach den 2,25 Prozent Erlös im Krisenjahr 2008 fuhr der FDC 2009 einen Erlös von 4,2 Prozent ein, 2010 waren es 5,65 Prozent. 2011 ging der Jahreserlös auf 0,84 Prozent zurück, was 2012 aber mit 8,14 Prozent mehr als kompensiert wurde. Auch für 2013 rechnet der FDC mit einem „ganz korrekten“ Resultat, wenngleich nicht mit einem so außergewöhnlichen wie 2012, als der Nettogewinn von 871 Millionen Euro ziemlich genau einem Viertel der Jahres-Rentenausgaben 2012 von 3,44 Milliarden Euro entsprach.

Dieses Viertel-Verhältnis zeigt, dass der Kompensationsfonds nie und nimmer die derzeit hohen Rentenversprechen finanzieren könnte, gälte in Luxemburg ein kapitalgedecktes Pensionssystem. Andererseits muss der FDC auch keine außerordentlichen Resultate zur Stabilisierung der Reserve aufweisen, da nach den bisherigen Simulationen die Rentenreserve erst ab 2022 ernsthaft durch steigende Ausgaben belastet zu werden droht. Da stehen auch politisch die Zeichen auf Vorsicht: Weil dem FDC ein risque de réputation nicht nur im Falle von Kapitalverlust droht, sondern zu viel Privatfonds-Gebaren schnell in der Abgeordnetenkammer debattiert würde, ist der Vorstand des Fonds davon abgerückt, eventuell einen Teil des Aktienportfolios in Private Equity und Hedgefonds zu investieren oder in die Spekulation mit Rohstoffen oder Nahrungsmitteln einzusteigen: Womöglich vorgeworfen zu bekommen, mit daran Schuld zu sein, wenn die Preise auf dem Welt-Getreidemarkt steigen, war nicht nur den Gewerkschaftlern im Drei-Parteien-Fondsvorstand aus Patronats-, Salariats- und Staatsvertretern zu heikel. Da bleibt zur „Diversifizierung“ seiner Investitionen, die dem FDC sogar gesetzlich vorgeschrieben ist, vor allem der Immobilienbereich. Doch ein Modell, mit dem die Investitionsrisiken so kalkuliert werden können, dass sich die Spannweite von Verlust und Erlös innerhalb eines Jahres mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit abschätzen lässt wie für Aktien, Obligationen und Devisen, hat der FDC auch mit Unterstützung von Spezialisten noch nicht gefunden.

Oder sollte der Einstieg in den sozialen Wohnungsbau daheim in Luxemburg erfolgversprechend sein und gleichzeitig die „aktive Wohnungsbaupolitik“ der neuen Regierung unterstützen können? Vielleicht. Aus der Kreditvergabe an angehende Wohnungseigentümer zieht der FDC sich nach einer Entscheidung seines Vorstands vor drei Jahren Schritt für Schritt zurück: Weil die Spuerkeess Kredite zum sozialen Zinssatz vergibt und Verluste vom Staat kompensiert erhält, während die Pensionskasse dieses Privileg nicht genießt, macht Kredit-Konkurrenz zur Spuerkeess keinen Sinn. Als Immobilieneigentümer und Finanzier von Projekten tritt der Kompensationsfonds bisher nur für Verwaltungs- und einzelne Geschäftsgebäude in Erscheinung: Dem FDC gehören das Gebäude der Pensions- und der Familienkasse in der Luxemburger Oberstadt, die Zentrale der Sozialversicherung in Hollerich oder der Verwaltungs-Neubau auf dem Kirchberg; vorfinanziert hat die Pensionskasse den Bau der Cité judiciaire wie den der International School of Luxembourg in Merl. Wollte sie dagegen über den Kompensationsfonds als Bau-Promoteur auftreten, wäre dazu nicht nur eine Gesetzesänderung nötig. Der Fonds käme dann auch kaum umhin, Spezialisten einzustellen, wie etwa Architekten, und während heute ganze vier Mitarbeiter der Pensionskasse die 21 Asset Manager des Kompensa-tionsfonds betreuen, stiegen dann auf jeden Fall die Verwaltungskosten der Rentenreserve deutlich an. Was wahrscheinlich auch der Fall wäre, wollte der Fonds Eigentümer von Energienetzen werden oder als eine Art SNCI bis Kredite zur Wirtschaftsförderung vergeben: Für Engagements dieser Art fehlt der Pensionskasse einfach das Knowhow.

Hinzu käme, dass sozialer Wohnungsbau im großen Stil, der günstige Mieten garantieren kann, vor allem deshalb funktioniert, weil die betreffenden Grundstücke für 99 Jahre in Erbpacht vergeben werden und ihr hoher Preis dann vom Gestehungspreis der Wohnungen abgetrennt wird. Den Promoteuren – seien es Gemeinden, der Fonds de logement, die Société nationale des habitations à bon marché (SNHBM) oder auch Privatiers – wird der Grundstückspreis in diesem Fall zu 50 Prozent staatlich subventioniert. Dann aber würde sich die Frage stellen, was „aktive Wohnungsbaupolitik“ und deren Unterstützung durch den Kompensa-tionsfonds heißen soll. Letzten Endes müsste ein Teil der Rentenreserve für fast ein Jahrhundert gebunden und auf Zins und Zinseszins auf dieses Kapital verzichtet werden. Langfristig mag das rentabel sein; vielleicht sogar noch rentabler als Investitionen in Aktien, die sich erfahrungsgemäß über Jahrzehnte betrachtet ebenfalls bezahlt machen – trotz des kurzfristigen Auf und Ab der Aktienmärkte. In jedem Fall wäre das aber eine politisch zu beantwortende Frage in einem sensiblen Bereich wie den Renten.

Peter Feist
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