Politische Rundtischgespräche, die der OAI organisiert, sind nicht selten aufschlussreich. Am 1. Februar des Wahljahrs 2018 etwa vertraten bei so einer Veranstaltung des Ordre des architectes et des ingénieurs-conseils der damalige CSV-Spitzenkandidat Claude Wiseler und der grüne Nachhaltigkeitsminister François Bausch derart auffällig ähnliche Ansichten, dass man sich in schwarz-grüne Koalitionsgespräche versetzt meinen konnte.
Am Mittwochnachmittag lud der OAI wieder ein. Diesmal zum Thema „Erschwinglicher Wohnraum“, das nicht nur brandaktuell ist, sondern Architekt/innen und Bauingenieur/innen nicht gerade fremd. Als Aufreger für die Debatte war der österreichische Ex-Kommunalpolitiker Josef Mathis eingeladen. Er hatte bis 2013 als Bürgermeister einer Gemeinde im Bundesland Vorarlberg mit anderen Amtskolleg/innen in zäher Arbeit durchgesetzt, dass Landesregierung und Landesparlament einer Gesetzgebung zustimmten, die einen „öffentlichen Bodenfonds“ schuf. Dabei wird der Bau-Perimeter gezielt erweitert. Gemeinden und Staat kaufen oder tauschen Grundstücke, die neu in den Perimeter aufgenommen werden – zu dem Preis, den diese Flächen in jenem Moment haben und nicht zum Preis für Bauland beziehungsweise dem Spekulationspreis. Auf den Flächen findet gemeinnütziger öffentlicher Wohnungsbau statt. Dabei helfen „Entwicklungs-Genossenschaften“, an denen Gemeinden und kommunale Banken beteiligt sind und die Gemeinden generell die Mehrheit halten. Was der freie Markt schaffe, sei immer weniger bezahlbar, sagte Mathis.
Das Beispiel taugte durchaus als Input für die Diskussion danach. Antoine Paccoud, Sozialgeograf am Forschungszentrum Liser, lieferte einen weiteren. Paccoud war es, der vor zwei Jahren in einer aufsehenerregenden Studie ermittelt hatte, wie stark in Luxemburg Privatbesitz an Bauland in den Händen Weniger konzentriert ist. Und der kurz darauf am Beispiel Düdelingens zeigte, dass es obendrein eine Tendenz zur Konzentration bebaubarer Flächen bei wenigen privaten Promotorengesellschaften gibt, die schon lange besteht. Am Mittwoch fügte er hinzu, die hierzulande lächerlich niedrige Grundsteuer und das Fehlen einer Erbschaftssteuer in direkter Linie trügen natürlich das Ihre dazu bei, „Multimillionäre“ an Immobilienvermögen zu produzieren.
Doch weder Wohnungsbauminister Henri Kox (Grüne) noch Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) ließen sich von diesen Beiträgen aus der Ruhe bringen. Von Steuern wurde am Rundtisch nicht gesprochen: Dazu hätte der OAI vielleicht noch den Finanzminister von der DP einladen müssen; auch um die Dreierkoalition repräsentativ versammelt zu haben. Die DP aber fehlte am Mittwoch, Hauptstadtbürgermeisterin Lydie Polfer ließ sich von CSV-Sozialschöffen Maurice Bauer vertreten. Der war so klug, nicht die Wohnungsbau-Oppositionsrolle seiner Partei zu spielen, sondern nur die des Stater Schöffen. Politisch weitergehen als die Regierung will schließlich auch die DP-CSV-geführte Hauptstadt nicht.
Weil die politische Opposition nicht wirklich eingeladen war, hatten Kox und Bofferding Raum, die eigene Politik zu preisen. Die, berichtete Kox, laufe auf genau das hinaus, was das vom OAI so vorbildlich genannte Beispiel Vorarlberg beinhalte: Die Gemeinden würden mit der Reform des Pacte logement endlich stärker „ins Boot geholt“. Der Ansatz, das Angebot an öffentlichem Wohnraum staatlich so großzügig finanzieren zu wollen „wie den Verkehr auf der Schiene“, sei jener „Paradigmenwechsel“ weg von der Bezuschussung von Wohnungswerwerb, der jahrzehntelang galt. Daran habe sich schon die erste DP-LSAP-Grüne-Regierung gemacht.
Die Innenministerin wiederum würdigte den jüngsten politischen Kompromiss über eine Änderung am Kommunalplanungsgesetz, die im Pacte logement 2.0 steckt: Müssen Privat-Promotoren bei Wohnungsneubauprojekten ab einer gewissen Größenordnung heute zehn Prozent des geschaffenen Wohnraums zu „erschwinglichen“ Preisen an Käufer veräußern, die eine staatliche Kauf-Subvention erhalten, sollen sie künftig 20 Prozent der Wohnungen an die Gemeinden abtreten, die Grundstücke inklusive. So sollen nach und nach eine öffentliche Grundstücksreserve und ein öffentlicher Wohnungspark entstehen, aus dem entweder vermietet oder in Erbpacht verkauft würde. Im Gegenzug erhielten die Promotoren das Recht, zehn Prozent Wohnungen über die im Teilbebauungsplan festgehaltene Geschosszahl hinaus zu errichten – also pro Baufläche höher zu bauen.
Pikanterweise halten aus der LSAP derzeit manche Kox vor, nicht jene 30 Prozent durchgesetzt zu haben, die im ursprünglichen Gesetzentwurf standen – was nicht ganz falsch ist, denn für die Großprojekte, die im Plan sectoriel Logement stehen, gilt dieser Wert. Genauso gut adressiert wären die Vorwürfe aber an die Innenministerin aus der eigenen Partei, in deren Ressort das fällt – was aber nicht geschieht, jedenfalls nicht öffentlich, wohinter sich aber die berechtigte Frage versteckt, ob der mit viel Tamtam nach draußen verkaufte „Paradigmenwechsel“ weit genug reichen und es wirklich bald viel mehr „erschwingliche“ öffentliche Wohnungen geben wird.
Der OAI glaubt das offenbar nicht. Ginge es nach ihm, das ließ OAI-Direktor Pierre Hurt als Moderator am Tisch anklingen, müsste der Perimeter „intelligent“ geöffnet und billiges Land so gezielt erworben werden wie etwa in Österreich. Was in Luxemburg „irgendwie“ durchaus geschieht, über ein Einkaufs-Komitee von Wohnungsbau- und Finanzministerium und bezahlt aus dem vor einem Jahr geschaffenen staatlichen Wohnungsbaufonds. Doch von dieser verkappten Perimeter-Erweiterung redet niemand gern, denn das käme dem Eingeständnis gleich, dass brachliegendes Bauland im Perimeter, das zu neun Zehnteln in privater Hand ist, sich mit den derzeitigen Instrumenten nicht mobilisieren lässt. Was politische Konsequenzen haben müsste. Kox und Bofferding hoffen, dass „Baulandverträge“ zwischen Besitzern und Gemeinden dabei in Zukunft helfen. Mit Steuern und Abgaben Druck zu machen, ist in der Regierung nicht konsensfähig mit der DP. Ob das mit CSV anders wäre, ist nicht klar: CSV-Schöffe Bauer aus der Hauptstadt wären „Anreize“ lieber.
Dass der Wohnungsbauminister freimütig erklärte, erst jetzt, da der neue Wohnungsbaufonds besteht, sehe er, wieviel Wohnungsbau tatsächlich subventioniert wird, nährte einmal mehr den Eindruck, dass es bis zum Ende der Legislaturperiode nicht jenen „Big Bang“ geben werde, nach dem Pierre Hurt fragte. Genau wollte der OAI-Direktor das aber auch nicht wissen, sondern kommentierte schon jede Ankündigung am Tisch mit: „Ah, tipptopp!“ Diesen Sommer will Kox jenen Gesetzentwurf im Parlament einreichen, der das gesamte Subventionssystem ändern und definieren soll, was mit „erschwinglich“ überhaupt gemeint ist. Bisher machen Promotoren und Gemeinden das unter sich ab, steht im Kommunalplanungsgesetz. Auch am Tisch des OAI war bald von „erschwinglichen“, bald von „Sozialwohnungen“, bald von „Mietwohnungen“ die Rede. Wie genau das zusammenhängen soll, sagte keiner. Kox wünschte sich, dass ein „Recht auf Wohnen“ das vermeintliche „Recht auf Besitz“ ersetze. Am Ende aber schienen alle sich einig, dass der soziale Fahrstuhl zum Eigenheim wieder für möglichst viele in Gang gebracht werden müsse. Ein Eigenheim sei schließlich „der beste Schutz vor Altersarmut“, sagte der ebenfalls anwesende Präsident der Chambre immobilière, Jean-Paul Scheuren. Und die Mehrheit der Wähler sind Besitzer.
Scheuren war es, der am meisten zu provozieren versuchte, aber kaum zu Wort kam. Vielleicht weil er, ganz Lobbyist, eine Lanze für den Privatsektor brach, der über 90 Prozent des Wohnraums schafft. Scheuren fand, der Deal mit der Abtretung von Wohnungen an die öffentliche Hand gegen die Möglichkeit, auf den teuren Flächen höher zu bauen, sollte unbedingt auf den Bestand von Wohnvierteln ausgeweitet werden und nicht nur für Neubaugebiete ab einer gewissen Größe gelten. Doch auf eine solche Debatte ließen Kox und Bofferding sich nicht ein. Noch ein Grund, zu vermuten, dass für den Aufschwung im „erschwinglichen“ Wohnungsbau bis zu den nächsten Wahlen allenfalls Rahmenbedingungen durch neue Gesetze geschaffen werden. Bis dahin sind selbst öffentliche Großprojekte wie in Düdelingen oder Wiltz auf zehn Jahre oder länger angelegt und pro Jahr entstehen dort jeweils an die hundert neue Wohnungen. Das sieht natürlich nicht nach jener „konzertierten Aktion“ aus, die im Koalitionsvertrag der Regierung versprochen wird, weil im Wohnungsbau „Notstand“ herrsche.