Paul Gaffney, Perigee

Am Bësch

d'Lëtzebuerger Land vom 11.03.2016

Der Besucher ist leicht desorientiert, wenn er die beleuchtete Treppe zur obersten Etage des Wasserturms hinter sich lässt. Hier, wo bis vor kurzem Steichens Sammlung The Bitter Years in schummrigem Licht ausgestellt war, stolpert man nun durch die Finsternis. Einzig die kreisförmig angeordneten Diaprojektoren werfen abwechselnd eine Reihe fahler Bilder an die Wand. Erst nach einer Weile gewöhnen sich die Augen an die Umgebung und die Konturen eines Waldes werden in den Projektionen sichtbar. Die Bilder gehören zur Serie Stray des irischen Fotografen Paul Gaffney und sind Teil der Hauptausstellung Perigee, die bis zum 15. Mai im Wasserturm des CNA zu sehen ist.

Die von Michèle Walerich in Zusammenarbeit mit Laurianne Bixhain kuratierte Ausstellung zeigt Waldansichten, die größtenteils in Vollmondnächten aufgenommen wurden. Paul Gaffney war der erste Künstler, der an der neu initiierten Residenz des CNA teilnehmen durfte, die im Rahmen der Portfolio Days von 2014 vergeben wurde. Während der Residenz streifte Gaffney viele Dutzend Kilometer durch die Luxemburger Wälder vom Naturpark „Op der Haardt“ bis in die Ardennen. Die dabei entstandenen Aufnahmen bilden die Serie Perigee.

Gaffney verfolgt in seiner Arbeit einen meditativen Anspruch. Der kontemplative Faktor des Wanderns stehe oft in Kontrast zum Akt des Fotografierens: „Sobald man seine Kamera auspackt, ist die Rationalität zurück. Als Teil meiner Doktorarbeit interessiere ich mich dafür, wie ich fotografiere, ohne dabei den Einklang mit der Umgebung aufzugeben.“ Gaffney untersucht, wie man eine möglichst intuitive Herangehensweise einnimmt, „sodass die Kamera der eigentlichen Erfahrung nicht im Weg steht.“

Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen der Serie Stray bildeten den Anfang seiner nächtlichen Waldansichten. Das erste Bild entstand eher beiläufig auf dem Heimweg durch einen irischen Pinienwald. Nach erneutem Betrachten des Bildes und nachträglicher Farbreduzierung war Gaffney „überrascht, wie viel die Kamera im Vergleich zu meinem Auge wahrnehmen konnte“. So widmete er sich schließlich in einer ganzen Serie dem dicht bewachsenen irischen Wald, den er im speziellen Lichteinfall des Vollmonds fotografierte. „Ich ließ dabei zu, mich zu verlaufen und mich nur durch meinen Hör- oder meinen Tastsinn zu orientieren. Die Arbeit hat sehr viel damit zu tun, was passiert, wenn die optische Wahrnehmung reduziert wird und stattdessen andere Sinne dominieren.“

Gaffneys Bilder prägt eine dschungelartige Dichte; im Vergleich zu Irland sei es bei den Bildern der Serie Perigee, die er in den wenigen klaren Luxemburger Vollmondnächten aufnahm, schwierig gewesen, diese Dichte zu finden: „Der Luxemburger Wald ist stärker kultiviert, also versuchte ich, durch die Perspektive einen Eindruck von Wildnis und Dichte zu erschaffen, etwa indem ich in ein Tal hinunter fotografierte.“

Statt weitwinkliger, klassisch durchkomponierter Landschaftsansichten zeigt Gaffney komprimierte Ausschnitte, deren Erscheinung beim Fotografieren in der Dunkelheit nur zu einem geringen Grad vorhersehbar waren und in denen man oft vergeblich nach Orientierungspunkten wie etwa einer Horizontlinie sucht. Stattdessen dominiert die Bilder das überraschend harte Licht des Mondes, das die Konturen des Geästs auf surreale Weise hervorhebt und einen völlig ungewohnten Blick auf das Motiv bietet.

Neben diesen großformatigen Aufnahmen sind eine größere Zahl an Polaroids Teil von Perigee. Diese erstellte Gaffney tagsüber in den Wochen zwischen den Vollmondphasen als „Notizen“ dazu, welche Stellen für spätere Nachtaufnahmen in Frage kommen sollten. Hier zeigte sich jedoch der sprichwörtliche Unterschied von Tag und Nacht: „Ich kam nur in wenigen Fällen wieder zu diesen Plätzen zurück. Was einen Ort am Tag interessant macht, unterscheidet sich meist komplett davon, was nachts interessant ist.“

Die Darstellung der Bilder ist streng durchdacht. So ist der Betrachter gezwungen, die Bilder im ringförmigen Ausstellungsraum in einer bestimmten Reihenfolge zu betrachten, wofür eigens die Ein- und Ausgangstüren vertauscht wurden. „Ich lege großen Wert auf die Präsentation meiner Arbeit. Ich versuche, den Betrachter mit einzubeziehen, ihn Teil des Bildes werden zu lassen. Dabei ist mir die Sequenzierung sehr wichtig.“

Zudem war es Gaffney wichtiger, eine Atmosphäre wiederzugeben als bestimmte Orte zu dokumentieren, ermögliche der fehlende Ortsbezug doch erst die meditative Komponente auf Seiten des Betrachters: „Es ist mir lieber, die Leute wissen nicht, um welche Stelle es sich handelt, so können sie ihre eigene Interpretation und Vorstellungskraft einbringen; zu bekannten Orten hat man ja meist bereits ein eigenes Narrativ.“

Tatsächlich weist die Ausstellung eine beeindruckende Wirkmächtigkeit auf, die neben dem verblüffend anderen Blick auf den Wald in den kontrastreichen und düsteren Bildern auch von den einzigartigen Ausstellungsräumen des Wasserturms profitiert. Die dunklen, fensterlosen Räume machen die nächtlichen Streifzüge Gaffneys nachfühlbar und regen zur fokussierten Auseinandersetzung mit den einzelnen Bildern an – wie es weiße Galeriewände nicht könnten. Am besten funktioniert dies in den Projektionen der Serie Stray, die eine längere Verweildauer erfordern, um überhaupt einigermaßen sichtbar zu werden. Hier kommen sich Fotograf und Betrachter in der Kontemplation am nähesten. Manchmal lohnt es sich, die Orientierung zu verlieren.

Perigee, die Ausstellung von Paul Gaffney im Wasserturm des Centre national de l’audiovisuel in Düdelingen, dauert noch bis zum 15. Mai; geöffnet von Mittwoch bis Sonntag von 12 bis 18 Uhr, Donnerstag von 12 bis 22 Uhr. Handgemachtes, selbst veröffentlichtes Fotobuch Stray in limitierter Auflage erhältlich. Meet the Artist mit Paul Gaffney am 14. Mai um 12:30 im CNA. Weitere Informationen: www.cna.lu, www.paulgaffneyphotography.com
Boris Loder
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