Anlässlich des 125. Geburtstags des wohl bekanntesten in Luxemburg geborenen Fotografen Edward Steichen wurde 2004 der gleichnamige Preis ins Leben gerufen. Er soll junge Künstler aus der Region unterstützen und, in Verbindung mit einer sechsmonatigen Künstlerresidenz in New York, zusätzlich den Austausch zwischen Luxemburg und New York fördern, der Stadt in der Steichen bekannt wurde. Nach der großen Ausstellung 2014 im Mudam präsentiert nun die Galerie Clairefontaine eine schmale, feine Auswahl an Arbeiten von drei Preisträgern: Jeff Desom, Claudia Passeri und Su-Mei Tse.
Als erste Edward Steichen-Preisträgerin wurde Su-Mei Tse (1973 geboren) im Jahr 2005 gekürt. In der aktuellen Ausstellung in der Galerie Clairefontaine steht die Skulptur Sumy (von 2001) als einziges Exponat stellvertretend für Tses Werk. Ein Kopfhörer mit rotem Samtband verbindet zwei in Harz gegossene Muscheln und verweist auf die musikalischen Einflüsse, die Su Mei-Tse aus ihrer klassischen musikalischen Ausbildung schöpft. Ihr Werk zeichnet sich insbesondere durch musikalische, konzeptuelle und poetische Ansätze aus, die oft mit Humor gepaart inszeniert werden. Mit den Videos Les balayeurs du désert, das eine Gruppe Männer beim Besenkehren von Wüstensand zeigt, und L’écho, in dem die Künstlerin Cello vor alpinem Hintergrund in Duett mit ihrem eignen Echo spielt, gewann Tse 2003 den Goldenen Löwen für den besten Länderpavillon auf der Biennale von Venedig.
Claudia Passeri (geboren 1977) wurde 2011 mit der damals zusätzlich eingeführten Kategorie „Laureate Luxembourg résident in NYC“ (eine viermonatige Residenz in New York) ausgezeichnet. Für ihre Werke oder Interventionen geht sie oft vom Ausstellungsort aus und stellt die visuelle Wahrnehmung auf den Prüfstand. Auf den Fotografien Landscape 1 bis 4 (2015) ist jeweils ein Ausschnitt eines weißen Pullovers abgebildet, der von einer Arbeit zur anderen leicht in Form und Tonalität variiert. Der Blick verschiebt sich langsam vom Ausschnitt zur Farbe und Textur des Kleidungsstücks. Für das Werk Saracinesca (2014) hat Passeri ein Gitter aus Stahl vor eine Wand platziert und mit Licht so angestrahlt, dass sich ein dunkler Schatten an der Mauer bildet. Je länger man hinschaut, umso mehr löst sich der Unterschied zwischen Gitter und Schatten, zwischen Materialität und Illusion, auf.
Auch Jeff Desom (geboren 1984), der 2013 als „Laureate Luxembourg résident in NYC“ gewählt wurde, spielt mit der Interaktion von Realität und Illusion. Für regionale und internationale Aufmerksamkeit sorgte er spätestens 2010 mit Rear Window Loop, einer sehr eigenen Interpretation von Hitchcocks Kultfilm Das Fenster zum Hof (1954), in der er Originalszenen zu einer Panoramavision des Hinterhofs zusammenfügte, mit Musik hinterlegte und mit erhöhter Geschwindigkeit ablaufen ließ. In der Galerie Clairefontaine stellt er fünf sogenannte „Holoramas“ aus, fünf unterschiedliche Sets auf die er „holographische“ Minisequenzen von bekannten Filmen projiziert: Apocalypse Now (1979) von Francis Ford Coppola, The Big Lebowski (1993) von Joel und Ethan Coen, Jason and the Argonauts (1963) von Don Chaffey, E.T. the Extra-Terrestrial (1982) von Steven Spielberg und Twin Peaks (1990) von Mark Frost und David Lynch. Die Sets sind detailgenau von Regisseur Olivier Pesch ausgearbeitet; die projizierten Figuren von Jeff Desom aufwendig am Computer vom ursprünglichen filmischen Hintergrund befreit und animiert. Dank der Projektion auf einen Spiegel erscheinen die Figuren wie ein Hologramm und lassen die Grenze zwischen Projektion und materieller Bühne verschwinden.
Die aktuelle Ausstellung in der Galerie Clairefontaine bietet eine gute Gelegenheit, die Arbeiten von drei luxemburgischen oder in Luxemburg schaffenden Preis- und Hoffnungsträger zu sehen. Wurde es um die viel ausgezeichnete Su-Mei Tse in den letzten Jahren erstaunlicherweise in Luxemburg ruhiger, so stehen Jeff Desom und Claudia Passeri im Schlaglicht des aktuellen kulturellen Geschehens.