Am nächsten Dienstag soll das Parlament die Organisation eines Referendums „im Zusammenhang mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung“ zum Gesetz machen. Nach dem Abkommen der Regierung mit verschiedenen Glaubensgemeinschaften über die Priestergehälter, den Religionsunterricht und die Kirchenfabriken hatte der parlamentarische Ausschuss der Institutionen und Verfassungsrevision durch einen Änderungsantrag eine Frage über die Finanzierung der Priestergehälter wieder gestrichen. Aber vielleicht sollte die Frage nie gestellt werden, sondern bloß als Druckmittel bis zum Ende der Verhandlungen mit dem Erzbistum dienen. Jedenfalls war sie an den Schluss des Fragekatalogs gestellt worden, so dass sie nun verschwinden kann, ohne eine Neuordnung des restlichen Textes nötig zu machen.
Nach der Amputation der vierten Frage sieht das geplante Referendum ein wenig wie ein dreibeiniger Hund aus, der durch das Leben humpelt. Schon zuvor hatten Kritiker dem Referendum vorgeworfen, eine Sammlung wahllos zusammengewürfelter Fragen darzustellen. Doch nichts ist falscher als das. Und durch die Streichung der vierten Frage erhält das Referendum nun sogar seine ganze Kohärenz.
Das Paradox des Referendums vom 7. Juni liegt auf der Hand: Eine direkte Volksbefragung ist eine der in der Landesgeschichte sehr seltenen Ausnahmen zur gemeinhin geübten indirekten Herrschaft des Volkes mittels der repräsentativen Demokratie. Doch unter den Dutzenden, vielleicht Hunderten von Fragen, die man einer direkten Volksbefragung unterziehen könnte, werden sich am 7. Juni alle auf die Funktionsweise der indirekten Demokratie beziehen: Das Thema des Referendums beschränkt sich auf Wahlen. Die erste Frage befasst sich mit dem Mindestalter der Wähler, die zweite mit der Staatsangehörigkeit der Wähler und die dritte mit der Amtsdauer jener Gewählten, die Minister werden wollen.
Im Grund befasst sich das Referendum mit Parlamentswahlen. Nur die Frage über das Wahlalter bezieht sich auch auf Gemeinde-, Europawahlen und Referenden, aber die größte Rolle spielen auch hier Legislativwahlen, weil das Parlament die größte politische Einflussmöglichkeit hat. Die Frage über die Staatsangehörigkeit von Wählern beschränkt sich auf Parlamentswahlen, weil das Ausländerwahlrecht bei Gemeinde- und Europawahlen bereits besteht. Und auch die Mandatsdauer von Regierungsmitgliedern spielt nur nach Kammerwahlen eine Rolle, an deren Anschluss eine Regierung gebildet wird, nicht aber nach Gemeinde- oder Europawahlen.
Doch die für das Referendum ausgewählten Fragen kreisen nicht bloß alle um Legislativwahlen. Sie sollen deren Ausgang auch beeinflussen. Dazu soll durch eine anschließende Verfassungsänderung die soziologische Zusammensetzung der Wählerschaft verändert werden. Durch die vorgeschlagene Senkung des aktiven Wahlalters sollen zwei Jahrgänge Jugendlicher das Wahlrecht beanspruchen dürfen, Schüler, Lehrlinge, die bei Wahlen andere Interessen zum Ausdruck bringen als beispielsweise Berufstätige oder Rentner. Durch die Gewährung des aktiven Ausländerwahlrechts soll die Wählerschaft um im Durchschnitt jüngere, in der Privatwirtschaft beschäftigte Wahlberechtigte vergrößert werden. Durch die Beschränkung der Mandatsdauer für Regierungsmitglieder sollen sich jüngere, weniger erfahrene Kandidaten um Ministerämter bewerben.
Der Versuch, durch die Vergrößerung der Wählerschaft deren soziologische Zusammensetzung und damit den Wahlausgang zu beeinflussen, verfolgt ein konkretes politisches Ziel. Mit den am 7. Juni vorgeschlagenen Verfassungsänderungen will die Regierung den Einfluss christlich-sozialer und konservativer Wähler verringern.
Die Senkung des Wahlalters und damit die Vergrößerung der Zahl der Erstwähler benachteiligt die CSV. Denn die vom Parlament in Auftrag gegebene Analyse Les élections législatives et européennes de 2009 au Grand-Duché de Luxembourg stellt fest (S. 230), dass „les 18-25 ans, c’est-à-dire les primo-votants, votent tendanciellement beaucoup plus au centre gauche et à gauche que l’ensemble de l’électorat.“
Durch die Einführung des Ausländerwahlrechts nähme der Stimmenanteil der drei aktuellen Regierungsparteien zu, aber auch der Stimmenanteil der CSV stiege. Das lässt jedenfalls die Wahlanalyse des Parlaments vermuten (S. 334), für die Ausländer befragt worden waren, wie sie gewählt hätten, wenn sie das Wahlrecht besessen hätten: „Si les étrangers avaient voté en juin 2009 pour la Chambre des Députés, le Parti chrétien social aurait été encore plus fort que parmi les Luxembourgeois, puisqu’il aurait été choisi par 40,3 des électeurs « virtuels » étrangers. Les socialistes auraient aussi amélioré leurs positions par rapport au corps électoral réel national (20,5%). Mais aussi les Verts qui seraient devenus de fait le troisième parti au niveau des étrangers (18,2% des votes virtuels) devant les libéraux (15,8%). L’ADR aurait été laminée (1% des intentions de vote) et dépassée par La Gauche, dont le score potentiel resterait nettement toutefois en dessous de son score national réel (2,7%).“ Das würde immerhin eine Stimmenmehrheit für die aktuelle Koalition ausmachen, und bei ihrer knappen Parlamentsmehrheit ist jede Stimme willkommen. Aber durch die Einführung des legislativen Ausländerwahlrechts würde vor allem der als konservativ und antiliberal und damit als der internationalen Wettbewerbsfähigkeit abträglich angesehene Einfluss des öffentlichen Dienstes und der Rentner in der Wählerschaft zurückgedrängt, indem vor allem in der Privatwirtschaft beschäftigte und jüngere Immigranten das Wahlrecht erhielten.
Durch die Begrenzung der Amtszeit von Ministern und Staatssekretären auf zehn Jahre soll in erster Linie die Politik der CSV durchkreuzt werden, über mehrere Legislaturperioden hinweg beinahe monarchische Premierminister aufzubauen, die von den Wählern als schier unverrückbare Garanten für Erfahrung und Stabilität angesehen werden. Hätte dieses Prinzip bereits bestanden, hätten Pierre Werner nicht wieder 1969 und Jacques Santer nicht wieder 1994 Premierminister werden dürfen. Jean-Claude Juncker hätte schon 2005 aufhören und durch einen weniger populären Kandidaten ersetzt werden müssen. Wenn ein Premierminister nur einmal als Spitzenkandidaten für seine eigene Nachfolge in den Wahlkampf ziehen könnte, sähe die CSV ein wenig mehr wie die anderen Parteien aus, die sich bisher als kleinere Koalitionspartner an ihrer Seite ablösten. Zudem schwingt die Absicht mit, dass Minister, deren Mandatsdauer begrenzt ist, am Ende ihrer Amtszeit keine Rücksichten mehr nehmen müssen, wenn sie unpopuläre Reformen in Angriff nehmen.
Das Referendum aber als einseitigen Versuch der Manipulation kommender Wahlen anzusehen, greift zu kurz. Denn das derzeitige Wahlsystem enthält mehrere Bestimmungen, welche die CSV als größte und konservative Partei bevorzugen, von den kleineren ländlichen Wahlbezirken über die Restsitzverteilung bis möglicherweise zur Wahlpflicht und zum Panaschieren. Und auch die CSV schreckt nicht davor zurück, den Wahlausgang durch Änderungen am Wahlsystem zu beeinflussen. Etwa als sie 2004 die Wahlpflicht auf 75 Jahre erhöhte. Wenn sie sich schon nicht auf die Abschaffung der Wahlbezirke und der Wahlpflicht oder die durch eine simple Gesetzesänderung mögliche Abschaffung des Panaschierens einigen konnte, will die liberale Koalition wenigstens mit bescheideneren Mitteln an den Stützen des CSV-Staats sägen.