Sekundarschulreform

Gegenrevolution

d'Lëtzebuerger Land vom 18.11.2011

Selten dürfte so eine schlechte Stimmung im Konferenzsaal des Forum Gesseknäppchen in der Hauptstadt geherrscht haben wie am vergangenen Dienstagnachmittag. 400 bis 500 Lehrer waren zu der Informationsveranstaltung gekommen, die Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres nach den Schülerprotesten von vor zwei Wochen eilig einberufen hatte.

Kaum hatte die sozialistische Ministerin die Grundzüge ihrer geplanten Sekundarschulreform erklärt, war es mit der Ruhe vorbei. Das Wort ergriff zunächst Guy Foetz, Vizepräsident der Lehrergewerkschaft SEW. Er sei seit 1980 Lehrer, so Foetz, der das „Fiasko“ in der Berufsausbildung kritisierte. Großer Beifall. Ein nächster Einwand stammte von einem Lehrer, der seit 1970 unterrichtet und wissen wollte, ob es stimme, dass ein Schüler künftig die Dominante in Naturwissenschaften abschließen könne, ohne Chemie und Physik gehabt zu haben. Antwort der Ministerin: Nein.

Die Betonung der Berufsjahre sollte wohl demonstrieren, wie vergleichsweise wenig die Beamten im Ministerium Ahnung von der Praxis hätten (die, die sich auf Ministeriumsseite dazu äußerten, hatten 12 bis 15 Jahre Unterrichtspraxis). Noch angespannter wurde der Ton, als Autor und Lehrer Jhemp Hoscheit ans Mikrofon trat: Die Veranstaltung sei „eine Inszenierung des tragischen Scheiterns“, die Ministerin „spürt doch, dass sie auf dem falschen Weg“ sei. Frenetischer Beifall. Ohnehin sei alles entschieden. Als die Ministerin antworten wollte, hatte sie Mühe, sich gegen den Geräuschpegel durchzusetzen.

Der blieb fast den ganzen Abend über hoch. Offenbar hatte sich bei den Lehrern derartig viel Frust aufgestaut, dass ein Diskutieren nicht mehr mög-lich war. Später auf die Atmosphäre angesprochen (die die meisten Lehrer kaum in ihrer Klasse dulden dürften), rechtfertigte eine Lehrerin diese damit: „Wir haben es bis oben sitzen.“ Die Ministerin würde den Lehrer nicht Gehör schenken.

Es gab auch inhaltliche Einwände. So wollte ein Lehrer wissen, wie denn genau die Prozedur für den Travail personnel aussehen würde. Sorgen machte er sich zudem über die Bewertung. Ein anderer fragte, warum sich die Ministerin so klar zu Punkten im Classique bekennen würde, diese aber in der Berufsausbildung abgeschafft würden. Auf Kritik stieß überdies die Idee, Schüler der unteren Sekundarschulklassen den automatischen Übergang von der 7e auf die 8e/6e zu erlauben, wie das derzeit in den Proci-Klassen im EST praktiziert wird. „Welchen Wert“ haben dann noch Noten und Prüfungen?, fragte Claudine Kirsch aus dem Lycée technique du centre, die später auf Facebook Schüler aufforderte, bei der Informationsveranstaltung am Donnerstag noch „eng Schëpp“ draufzulegen. Alain Wagner, Sekretär der Vereinigung der Französischlehrer (APFL), wunderte sich, dass das Ministerium mehr Allgemeinwissen als Reformziel angebe, gleichzeitig jedoch Unterrichtsstunden in vielen Fächern kürze. Daniel Reding von der Apess sorgte sich darüber, Kinder reicher Eltern könnten beim Travail personnel im Vorteil sein, weil diese jemand dafür bezahlen könnten, die Arbeit zu schreiben.

Die Ministerin bemühte sich, die Fragen sachlich zu beantworten, aber ihr Publikum erreichte sie damit nicht. Ihr Eingeständnis, den Aufwand der Berufsbildungsreform unterschätzt zu haben, half auch nicht, im Gegenteil: Die Lehrer, die sich äußerten, waren mehrheitlich gegen die Reform – oder allenfalls für „punktuelle Verbesserungen“. Lediglich drei Lehrer wagten, eine Lanze für Kernelemente der Reform zu brechen: etwa für das Tutorat, das von einer Lehrerin des Lycée Ermesinde und von einer aus dem Schengen-Lyzeum verteidigt wurde. Letztere ermutigte ihre Kollegen dazu, auch mal „über den Tellerrand“ zu schauen. Eine andere betonte die guten Resultate der Proci-Klassen (unteren Zyklus im EST) im Vergleich mit Nicht-Proci-EST-Klassen.

Gefragt, ob sie die Reform stoppen würde, wenn die Lehrer mehr-heitlich dagegen seien, bemerkte Delvaux-Stehres, dass die Lehrer zwar wichtig Partner der Reformen seien, aber nicht die einzigen, die dazu etwas zu sagen hätten. Der legislative Prozess stehe noch bevor. An ihrem Zeitplan will Delvaux festhalten. Daniel Reding von der Apess verlangte gar ein nationales Referendum über die Reform. Die Ministerin lehnte ab. Zuvor hatte sie Auszüge zum schwarz-roten Regierungsprogramm austeilen lassen, die den Auftrag zur Reform beschreiben.

Die Stimmung kippte dann endgültig, als die Ministerin es wagte, anzuzweifeln, ob die Anwesenden repräsentativ für sämtliche Lehrer im Land wären. In den vergangenen Tagen waren vor allem kritische Stimmen zu ihren Reformplänen zu hören gewesen. Das Gros der Lehrer verließ daraufhin entrüstet den Saal.

Ines Kurschat

Ines Kurschat
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