Weil sie steuerlich nicht ausreichend gefördert würde, so beschweren sich die heimischen Unternehmensverbände regelmäßig, sei die Entwicklung innerhalb der zweiten Rentensäule, der betrieblichen Zusatzvorsorge, in Luxemburg entsprechend undynamisch. Doch den vorläufigen Statistiken der Inspection générale de la sécurité sociale (IGSS) zufolge ist die Entwicklung nicht ganz so schleppend, wie von den Unternehmerverbänden beklagt. Anfang Oktober 2010 boten 1898 Unternehmen ihren Angestellten eine betriebliche Zusatzvorsorge an – 1995 waren es weniger als 500. Insgesamt unterlagen vergangenen Monat 6500 Versicherungspläne der Kontrolle durch die Beamten der IGSS. Fast ein Drittel dieser Pläne (1966) dienen der betrieblichen Rentenvorsorge, 1556 sind Sterbeversicherungspläne, 1457 sollen gegen Einkommensausfälle bei Invalidität schützen und 1529 davon erlauben den Arbeitnehmern, selbst zur betrieblichen Vorsorge hinzuzuzahlen – sie können dann Beiträge von bis 1200 Euro jährlich von der Steuer absetzen. Anfang 2010 waren 6052 Versicherungspläne bei der IGSS registriert. Binnen zehn Monaten also kamen rund fast 500 hinzu. In der Vergangenheit waren es zwischen 500 und 1000 Pläne jährlich.
Feste Daten darüber, wie viele Arbeitnehmer in Luxemburg von einer betrieblichen Vorsorge profitieren, gibt es nicht. Nur informierte Schätzungen, die der zuständige Beamte der IGSS, Jean-Paul Wictor, vergangenes Jahr aufstellte und im Bulletin luxembourgeois des questions sociales, Nummer 26, veröffentlichte. Fand die Steuerverwaltung bei einer Erhebung 1995 heraus, dass 28709 Arbeitnehmer durch eine betriebliche Zusatzrentenversicherung abgesichert seien (14,5 Prozent der aktiven Bevölkerung), und teilten die Verwalter dieser Zusatzversicherungspläne 2003 mit, sie deckten mittlerweile 52565 Lohnabhängige ab (19,3 Prozent), so beliefen sich Wictors „vorsichtige Schätzungen“ auf 76000 Arbeitnehmer. Das waren vergangenes Jahr 24,5 Prozent der aktiven Bevölkerung – fast ein Viertel.
Zwar hatte das Forschungsinstitut Ceps, das Luxemburger Arbeitnehmer dazu befragt hatte, was ihnen ihre Arbeitgeber neben dem Lohn an Sachleistungen bieten, aus dieser Umfrage gefolgert, 2007 hätten nur 17 Prozent der aktiven Bevölkerung von einer betrieblichen Rentenversicherung profitiert. Die Entwicklung sei also seit 2003 rückläufig. Doch diese Zahlen hält Wictor für unrealistisch, weil sich die Befragung auf gebietsansässige Arbeitnehmer beschränkte und damit die Grenzpendler ausschloss – fast die Hälfte der Beschäftigten der Luxemburger Wirtschaft – und davon auszugehen sei, dass auch sie von solchen Sachleistungen profitierten.
Bei der Erhebung der Steuerverwaltung von 1995 wurden 505 Zusatzpensionsschemen gezählt. „Das waren régimes internes“, erklärt Wictor, Buchreservensysteme, die den Arbeitnehmern feste Leistungen versprachen. Die sind mittlerweile etwas aus der Mode gekommen. Die internen Modelle, wie auch die Angewohnheit, den Arbeitnehmern feste Leistungen zu versprechen. „Nach Inkrafttreten des Gesetzes vom 8. Juni 1999 über die Zusatzrentensysteme stiegen viele Unternehmen auf externe, beitragsorientierte Modell um“, so Wictor. Von den derzeit rund 6500 bei der IGSS gemeldeten Modellen haben 6307 die Form von Gruppenversicherungen angenommen, nur 143 funktionieren nach dem System der Buchreserven. Anfang Oktober existierten insgesamt 39 vom Commissariat aux Assurances sowie 19 von der Commission de Surveillance du secteur financier überwachte Pensionsfonds, die als betriebliche Zusatzpensionspläne für Luxemburger Unternehmen dienen.
Laut Gesetz können Arbeitgeber Beiträge von maximal 20 Prozent des ordinären Jahreseinkommens der jeweiligen Mitarbeiter von der Steuer absetzen. Die Steuern auf dem späteren Einkommen, der Zusatzrente, bezahlen ebenfalls die Arbeitgeber. Deshalb müssen die pensionierten Arbeitnehmer während der Ausbezahlungsphase keine Steuern mehr zahlen.
Von der Wahl des Zusatzvorsorgemodells hängt für die Beschäftigten einiges ab. Zwar gibt es, anders als beispielsweise bei der privaten Zusatzvorsorge, keine Vorschriften, was ein betriebliches Programm leisten muss. „Der Arbeitnehmer muss nur einhalten, was er anfangs verspricht“, so Wictor, also das, was im Reglement, das von seiner Abteilung bei der IGSS zwecks Bestätigung eingereicht wird, vorgesehen ist. So kann er entweder feste Beiträge versprechen oder feste Leistungen. Die angesparten Ansprüche können entweder als Rente oder Kapital, also alles auf einmal, ausgezahlt werden.
Nicht alle Systeme bieten die gleichen Vorteile und Garantien. Für die Versicherten am günstigsten sind sicherlich die externen Gruppenversicherungen. Der Arbeitgeber schließt mit der Versicherungsgesellschaft einen Vertrag ab, der die Mitarbeiter deckt, und gibt damit Verantwortung und Risiko ab. Die Firma zahlt die Beiträge und meldet sie Insolvenz an, muss die Versicherungsgesellschaft dennoch die eingegangenen Verpflichtungen – die Sicherung der Beiträge oder gar der Leistungen – einhalten.
Damit die Arbeitnehmer, deren Ansprüche aus den Buchreserven der Firma finanziert werden, nicht leer ausgehen, falls die Unternehmen nicht mehr zahlungsfähig sind, sind sie verpflichtet, im deutschen Pensionssicherungsverein Mitglied zu werden, der die Ansprüche von Mitarbeitern insolventer Firmen übernimmt und die Beiträge oder garantierten Leistungen auszahlt.
Anders verhält es sich bei den Pensionsfonds, die die Beiträge in Wertpapiere investieren. Die Rendite ist demnach von der Wertentwicklung jener Papiere abhängig; eigentlich können sie weder Beiträge noch Leistungen garantieren. Zwar legt die IGSS, so Wictor, das Gesetz so aus, dass was versprochen wurde, eingehalten werden muss – konkret, dass auch die Pensionsfonds zumindest die eingezahlten Beiträge garantieren müssen. Oder bei Verlusten die Arbeitgeber für die verlorengegangenen Beitragszahlungen haften. „Oder aber die Versicherten unterschreiben, dass sie damit einverstanden sind, das Risiko selbst zu tragen“, so Wictor. Dann gehen Wertverluste auf ihre Kosten. Während der vergangenen Finanzkrise dürften sich sowohl manche Arbeitgeber geärgert haben, die bereits gezahlte Beiträge ausgleichen mussten, als auch Arbeitnehmer, deren Ansprüche durch die Börsenverluste sanken.
Die Pensionsfonds haben einen weiteren Nachteil – darauf macht auch die EU-Kommission in ihrem im Juli veröffentlichten Grünbuch über das europäische Pensionswesen aufmerksam: Wenn der Betrieb, der die Beiträge stiftet, Insolvenz anmeldet, und nichts mehr einzahlt, besteht für die Fonds nur eine obligation des moyens. Sie bezahlen demnach nur so lange den in Rente gehenden Mitarbeitern etwas aus, wie noch etwas von den ursprünglich vom Arbeitgeber einbezahlten und vom Fonds investierten Mitteln übrig ist. Wer danach in Rente geht, hat Pech gehabt. „Die Deutschen haben den Pensionsfonds die Mitgliedschaft im Pensionssicherungsverein aufgezwungen“, sagt der IGSS-Beamte Wictor. In Luxemburg und vielen anderen europäischen Ländern bleibt das Problem ungelöst. Vielleicht haben die Pensionsfonds auch deshalb nie den Erfolg gefeiert, den sich Asset-Management- und Fondsbranche erwarteten: Die Zahlen zeigen, dass die Betriebe Modelle vorziehen, in denen Versicherungen die Risiken tragen und Garantien geben.
Ein weitere Ursache für den ausbleibenden Erfolg sind sicherlich auch die vom staatlichen System geleisteten hohen Einkommensersatzraten. Denn 69200 Personen, 33 Prozent der Beschäftigten, erreichen nach 35 Beitragsjahren eine Einkommensersatzrate von weniger als 72 Prozent. Nach 40 Beitragsjahren verfehlen weniger als acht Prozent diese Einkommensertragsrate, hat Wictor berechnet.
Für Arbeitnehmer, die ein Unternehmen verlassen, das Beiträge für eine betriebliche Rentenvorsorge eingezahlt hat, gibt es mehrere Möglichkeiten. Sind sich alle Beteiligten einig, können die Ansprüche von einem Betriebsvorsorgesystem in das nächste übertragen werden. Gibt es Streit, können die Ansprüche in spezielle, von den Versicherern erstellte Modelle für sozusagen „heimatlose“ Betriebsrentenansprüche übertragen werden. Wechselt der Arbeitnehmer ins Ausland, ist er über 50 oder sind die Ansprüche sehr niedrig, kann sich der Versicherte beim Ausscheiden aus der Firma diese auszahlen lassen.