Wer die hellen Firmenräume von Genaveh in Steinfort betritt, würde den Geruch auch mit geschlossenen Augen erkennen, ohne auf die dekorierte Auslage im Verkaufsraum schauen zu müssen: schwer, süßlich duftet es nach Kakao. Denn das kleine Luxemburger Unternehmen hat sich ganz der süßen Sünde vermacht.
Seit mehr als 15 Jahren existiert Genaveh. Gegründet wurde die Schokoladenfabrik von der Biologin Geula Naveh, die ihr Hobby, Patisserie und Chocolaterie, zum Beruf machte, als sie 2002 ihr eigenes Unternehmen in Strassen öffnete (siehe d’Land vom 18. Dezember 2015). Mit ihren leckeren Pralinen machte sie sich schnell einen Namen in Luxemburg und darüber hinaus.
Doch als die Gründerin vor zwei Jahren wegen schwerer Krankheit plötzlich verstarb, war ihr Ehemann mit der Führung des Betriebs alsbald überfordert. „Mit einem Mal stand die Firma auf der Kippe“, sagt Alexandra Kahn, ganz in Schwarz gekleidet mit dunklen Haaren, eine dynamisch wirkende Frau, die uns in ihrem Büro hinter dem Laden empfängt. Es stapeln sich Pralinenkisten und Papiertüten. „Das Weihnachtsgeschäft“, sagte sie entschuldigend, bevor sie in rasantem Französisch den Erzählfaden wieder aufnimmt. „Wir sind im Herbst 2017 hier hergefahren und haben die Schokolade probiert. Sie war köstlich. Mir war sofort klar: Die Firma und das Handwerk müssen gerettet werden.“
Dass die 27-jährige Jungunternehmen auf die kleine, aber feine Chocolaterie im Westen des Landes aufmerksam wurde, ist kein Zufall: Kahns Familie lebt zwar in Paris, sie stammt aber ursprünglich aus dem Elsass, bei Straßburg. Ihr Vater ist Anwalt und hat geschäftsbedingt Kontakte nach Luxemburg. Der Großvater besaß Läden in der Grand Rue in Luxemburg-Stadt: Léonidas und La Bourse. In dem Sinne ist das Großherzogtum also keineswegs Neuland für die gebürtige Pariserin. Die Verantwortung für ein eigenes Unternehmen zu haben jedoch schon.
„Als ich zurück aus Hongkong kam, wollte ich etwas machen, das mich begeistert. Also habe ich begonnen, in Frankreich und in Belgien Kurse zur Schokoladeverarbeitung und Patisserie zu belegen.“ Mit den so erworbenen Kenntnissen wollte sie eine eigene Patisserie gründen. Kahn hat in Frankreich Finanzwissenschaften und Betriebswirtschaft studiert. Für ihr Praktikum ging sie nach Hongkong, wo sie bei einer Bank arbeitete. So sehr sie die Zeit in der Finanzmetropole mochte, ihr Herz berührte der Bürojob nicht. „Dann kam das Angebot aus Luxemburg.“
Für die 25-Jährige war es ein Sprung ins kalte Wasser. Gäbe es die Trau Dech-Kampagne für Gründertum vom Wirtschaftsministerium noch, Kahn wäre ein ideales Aushängeschild: Die Finanzexpertin hat Vorkenntnisse in Buchführung und Bilanzen, jedoch noch nie eine Produktion geführt. Als sie in Steinfort anfing, stand die Weihnachtssaison 2017 unmittelbar vor der Tür: „Das waren stressige Startbedingungen“, erinnert sie sich. „Es war nicht einmal Zeit, das Team richtig kennenzulernen.“ Die fünf Mitarbeiter, die seit einigen Jahren für Genaveh arbeiten, hat Kahn übernommen. Sie sind zwischen 20 und 30 Jahre alt. Das Betriebsklima beschreibt die Chefin als sehr gut. Wird ein neues Produkt entworfen, kosten die Chocolatiers und sie zunächst. Danach müssen Freunde und Familie probieren. „So testen wir, ob eine Kreation ankommt“, lacht sie. Ab diesem Winter gibt es Schokofinger mit Nussfüllung neu im Programm. Die schwarze Schokolade schmeckt klassisch-herb, die Nüsse bilden einen fein-knackigen Kontrast auf der Zunge.
„Wir benutzen dieselben Rezepte und Zutaten wie Geula Naveh“, bestätigt Kahn, als sie die an den Verkaufsraum angegliederte Produktionshalle betritt: Überall stehen Rollträger mit Blechen auf denen runde Schokodrops mit persischen Mustern auf ihre Abfertigung warten. Aus dem Iran, Herkunftsland der Firmengründerin, stammen die leckeren Pistazien, Kahn bezieht sie über einen Großhändler aus Italien. Die Schokolade kommt von renommierten Händlern in Frankreich und Belgien, Noisette aus Italien, Honig von lokalen Betrieben in Luxemburg, weitere Zutaten aus Marokko und Israel. Eine Mitarbeiterin füllt gerade Karamellcreme in Pralinen ab.
Als erstes überarbeitete die neue Besitzerin das Logo. „Wir wollten moderner sein“, sagt Kahn und zeigt auf sauber drapierte Schächtelchen: Auf hellblauem Untergrund steht dort in verschnörkelter Handschrift Chocolatier Artisanal Luxembourgeois geschrieben. Jung und verspielt, und doch elegant sieht das aus.
Kahn hat ein ehrgeiziges Ziel: Die Referenzadresse in Luxemburg für handgemachte Schokowaren soll ihr Unternehmen werden. Produkte von Genaveh gewannen 2006 eine Auszeichnung beim renommierten Salon au chocolat in Paris. Außer Namur, Oberweis und Schumacher, die ebenfalls edle Schokowaren entwerfen, ist Genaveh die einzige Firma weit und breit, die sich ganz der Schokolade verschrieben hat. Vertriebspartner der ersten Stunde war die Épicerie Paul in der Rue Phillippe II in der Hauptstadt und das Pall-Center-Netzwerk der Unternehmerin Christiane Wickler. Auch der Feinkostladen Thym Citron oder das Café Bloom in der Rue de Strasbourg, Amuse Bouche in Zolwer, 100% Luxembourg in Grevenmacher und die Knopes Kaffeehäuser und neuerdings die Alinéa Librairie haben Genaveh-Trüffel und Pralinen im Angebot, die Preise liegen zwischen 5,60 Euro Probierpreis und 32 Euro. Das Netz, das die hellblauen Schachteln vertreibt, wächst stetig. Inzwischen sind es 15 bis 20 Verkaufsstellen landesweit. „Viele Bestellungen bekommen wir auch online“, sagt Kahn. Die Webseite www.genaveh.lu wurde ebenfalls generalüberholt.
Das neue Outfit mitsamt Logo hat eine befreundete Designerin in Paris entworfen. Freunde haben auch Hand angelegt, als es galt, die vielen Weihnachtsbestellungen jetzt zu packen und für den Transport fertigzumachen. „Weihnachten und Ostern sind naturgemäß die Hauptsaison für das Schokoladengeschäft. Im August läuft fast nichts, da können wir uns auf das Kreieren neuer Produkte und auf neue Kunden konzentrieren“, erzählt Kahn. Rund zehn Tonnen Schokolade verarbeitete das Unternehmen dieses Jahr bereits, eine Verdopplung seit der Übernahme im vergangenen Jahr. Alles mit der Hand und mit Hilfe einfacher Maschinen.
Derzeit verhandelt die energische Unternehmerin mit verschiedenen Luxemburger Hotels, damit sie Genaveh-Schokolade ins Programm aufnehmen. Ab 2019 wird Genaveh im Restaurantführer Gault-Millau mit einer eigenen Seite geführt. Vor kurzem hat Kahn zudem einen wichtigen Großkunden hinzugewonnen: Die heimische Fluggesellschaft Luxair verteilt demnächst an seine Passagiere auch Schokoladenpralinen made in Steinfort, quasi als Weihnachtsleckerei. So dass einem Durchstarten nichts mehr im Wege steht.