Neben dem Publikumsliebling Gutland (d’Land 08/18) stand das Luxembourg City Film Festival in diesem Jahr im Zeichen der luxemburgischen (Ko-)Produktionen. Ein Highlight mit Prominenz (sogar der Großherzog mit Gattin wohnte der Filmvorführung bei) war Willy Perelyztejns Dokumentarfilm Ashcan. Die luxemburgisch-belgisch-französische Produktion, die auf dem gleichnamigen Theaterstück Anne Simons beruht, entstand in Zusammenarbeit mit dem CNA. Die provisorische Funktion des Bad Mondorfer Luxushotels „Palast“ unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg als Verhörzentrum von Nazi-Größen durch die US-Armee war noch bis in die 90-er Jahre wenig bekannt. Der Film ist besonders an den Stellen gelungen, in denen durch die geschnittenen Probenaufnahmen der Versuch Anne Simons deutlich wird, die Psychologie der NS-Funktionäre zu verstehen. Die stetige Reflexion über die Figuren will das einfangen, was Hannah Arendt einst in ihrer Aufzeichnung des Eichmann-Prozesses die „Banalität des Bösen“ genannt hat. Arendts Charakterisierung eines der Hauptverantwortlichen der Deportationen von Millionen von Juden als „gewöhnlicher Schreibtischtäter“ und „Nobody“ hatte nach der Veröffentlichung (1963) Wellen geschlagen.
Der Ansatz des belgischen Filmemachers Perelyztejn, der den Zweiten Weltkrieg selbst versteckt überlebte, Theaterproben mit historischen Aufnahmen zu verknüpfen, funktioniert jedoch nicht immer. Die in dem Dokumentarfilm verarbeiteten Originalaufnahmen von der Befreiung des KZ Dachau durch die Alliierten wirken wie Fremdkörper und stellen den Zuschauer vor die alte, grundsätzliche Frage des Umgangs mit der Schoah im Film.
Als Emanzipationsgeschichte präsentierte sich das Biopic (Szenario: Emma Jensen) über die Liebesbeziehung der jungen Schriftstellerin und Frankenstein-Autorin Mary Shelley im 19. Jahrhundert – ebenfalls historisches Ausgangsmaterial, das aber in der Bearbeitung nicht zu allzu vielen Fragen anregt. Eindeutigkeit bestimmt diesen Film. Elle Fanning als junge Mary Shelley schaut anfangs meist scheu wie ein Reh verträumt aus der Wäsche. Zum Glück entwickelt sich die Hauptfigur. Die Evolution der schüchternen Schriftstellerin hin zu einer selbstbewussten, emanzipierten Frau, die sich in einem männlich dominierten Umfeld behauptete, diese Erzählung ist das Anliegen der saudischen Filmemacherin Haifaa Al-Mansour. Dieser Entwicklung folgt man gern, wenngleich der Film Längen hat. Ihre männlichen Schriftstellerkollegen (Lord Byron und Percy Shelley) wirken wie blasierte Jungens, die sich für verkannte Genies halten, in ihrer Selbstüberschätzung und ihrem übertrieben abgehobenen Habitus mitunter grotesk sind. Auch das Happy End der amerikanisch-britisch-luxemburgischen Koproduktion, die 2016 nach Dublin auch in Luxemburg gedreht wurde, ist zu pathetisch.
Sechs Kurzfilme, die in der traditionellen Showcase-Nacht gezeigt wurden, zeugten von der Bandbreite luxemburgischer Produktionen mit zum Teil beeindruckenden Schauspielleistungen bekannter Gesichter. Auffällig: Thematisiert wurden meist persönliche Schicksale, nur ein Streifen widmete sich unmittelbar gesellschaftlichen Diskussionen. Dem Mich seng Kitchen von Diana Nilles ist ein etwas zu dick aufgetragenes Plädoyer gegen Fremdenhass. In dem Film, der zum Teil in den Räumlichkeiten der Stëmm vun der Stroos gedreht wurde, spielt Jules Werner in einer starken Performance einen Koch, der als Obdachloser durch die Straßen Luxemburgs streift und einen syrischen Flüchtling beschuldigt, seine Tasche geklaut zu haben. Acheron von Thoma Forgiarini hingegen ist ein stiller Film, in dem Fabienne Elaine Hollwege die Rolle der Marie nuanciert verkörpert, die den schmerzlichen Verlust ihres Mannes zu verarbeiten versucht. Schon die Anfangseinstellung einer im See treibenden Frau erzeugt wie der gesamte Kurzfilm einen anhaltenden Gänsehauteffekt. Iridescence von Eileen Byrne ist ein sechsminütiger Tanzfilm, in dem eine junge Frau ihren Brustkrebs in einer hoffnungsfrohen Tanzperformance bekämpft. Störend an der insgesamt beeindruckenden Choreografie ist lediglich der lange Abspann, der dem Kurzfilm einen zu starken Charity-Touch gibt.
In Traces von Cecilia Guichart glänzt Larisa Faber in der Hauptrolle einer jungen Frau, die – ihrer Vergangenheit auf der Spur – herausfindet, dass sie adoptiert ist. Das 15-minütige Drama fragt danach, wie wichtig die Blutsbande sind. Kim Schneider präsentierte mit And then you eine Liebesgeschichte, die ästhetisch sehr an Amélie Poulain erinnert: verzaubernd und doch hoffnungslos verkitscht. Die luxemburgische Koproduktion Ice (Jää) von Anna Hints ist der am meisten beeindruckende Beitrag in der Kurzfilmreihe. Das in Estland gedrehte Drama ist genial gedreht und bis zuletzt nervenaufreibend.Es erzählt eine Geschichte, die anknüpfend an das Kinderbuch Die Brüder Löwenherz von Astrid Lindgren ein tragisches, aber poetisches Ende nimmt. Die luxemburgischen Produktionen beim diesjährigen Luxfilmfestival waren vielschichtig, stark und können sich auch international sehen lassen, wäre da nicht bei manchen, auch der kleineren Produktionen ein Hang zur Eindeutigkeit der Bilder oder gar zum Kitsch, was Nuancen wenig Raum lässt.