Die Geschichte ist schnell erzählt. Eigentlich. Doch berührt sie in einer Weise die eigene Unwissenheit – von der „Great Famine“, der großen Hungersnot in Irland 1847. Damals war die Insel noch zur Gänze unter englischer Herrschaft. Die Briten führten ein grausames Okkupationsregime, das auf Ausbeutung der Insel setzte. Eine weitere Kolonie des Empire, mehr nicht. Ein Selbstbedienungsladen vor der westlichen Küste. Englische Großgrundbesitzer beuteten die Einwohner wie Leibherren aus und sahen dem Hungern wie Krepieren der einheimischen Menschen gleichgültig, wenn nicht gar wohlwollend zu. In dieser Zeit starben rund eine Million Iren an den Folgen der Hungersnot. Andere wanderten nach Nordamerika aus. Irland im Jahre 1847 ist die Heimat von Martin Feenay, einem irischen Söldner, der in englischen Diensten in Afghanistan und Indien stand, dann seinen Posten verlässt und in die Heimat zurückkehrt. Feenay ist der Held von Black 47, der irisch-luxemburgischen (Samsa) Koproduktion, die vergangenen Freitag auf den Internationalen Filmfestspielen in Berlin ihre Premiere feierte. Das Werk war ein Wettbewerbsbeitrag, jedoch außer Konkurrenz.
James Frecheville gibt diesen heimkehrenden Helden mit kantigem Kinn unter einem roten Bart, so viel Irland muss direkt erkennbar sein. Wenn schon ein Film auf der gälischen Insel spielt, dann möge das sofort an der Physiognomie des Protagonisten ablesbar sein. Er redet nicht viel, er handelt. Er hat seine Prinzipien und vor allen Dingen sein Gerechtigkeitsempfinden. Der Held kehrt heim in ein Memento Mori, einen Totenkopf im Straßenschlamm. In eine unheimliche Szenerie darbender, ausgemergelter, hoffnungsloser und verzweifelter Menschen, die ihre Steuern nicht mehr zahlen können, weshalb ihre Häuser unbewohnbar gemacht werden, während die Kornspeicher der englischen Landlords überquellen. Die Mutter des Helden ist verhungert, der Bruder wurde hingerichtet, sein Neffe wird bei einer Zwangsräumung erschossen, Schwägerin und Nichte erfrieren in der folgenden Nacht ohne Obdach, nachdem ihre Notbehausung unbewohnbar gemacht wurde. Das Zuhause der Familie wurde zum Schweinestall des Gutsverwalters,
Black 47 ist ein Film, der zwischen Western und Road Movie changiert, sich beider Genres bedient und sie um Robin-Hood-Motive anreichert. Das Setting ist die karge irische Landschaft, die in ausgeblichenen Bildern eingefangen wird. Hin und wieder sich in der Animation bricht, was den Film schnell in die Fantasy-Welt kippen lässt. Etwa dann, wenn die verlassenen, zerstörten Dörfer wie eine gemalte Szenerie wirken, in der nie und nimmer ein Western spielen wird und in der ein Road Movie in die Sackgasse gerät. Ohne Wendehammer. Selbstredend hat der Film – wie jeder Western- oder Action-Streifen – sein Shoot Out als Finale und Höhepunkt, in dem der Held sich in einer schier ausweglosen Situation befindet und sich dann doch noch gegen einen Gegner in erdrückender Überzahl durchsetzt. Mit Raffinesse und Tücke. Und einem Deus Ex Macchina. Was in diesem Fall die Stalltüre ist, die plötzlich zum beidseitigen Schwinger wird und beim Showdown im Tierheim zum Retter des Rächers.
Genauso ist es ein Naturgesetz des Shoot Outs, dass der Gegenspieler nicht die Gunst der Stunde nutzt, um den Helden zu erschießen, sondern ganz Gentleman-like auf den heroischen Moment wartet, um aufrecht, schwerverletzt und geläutert den letzten Schuss in seinem Lauf – danebenzusetzen. All diesen Klischees, diesen Stilmitteln, diesen gelernten Bildern und Szenen verweigert sich auch Black 47 nicht. Warum kann ein Held nicht einfach die Übermacht des Gegners anerkennen und sich aus der Szene stehlen, feige und unmännlich, schlichtweg um sein eigenes Leben zu retten? Und warum knallt der Antipode nicht den Helden ab, wenn er – bevor der Auftritt der Stalltüre kommt – die freie Schussbahn nutzt, um den Freiheitskämpfer zu erschießen? Immerhin bleibt der Film aber selbst in dieser Szene seiner gezeigten Zeit treu, in der Gewehre umständlich nachgestopft werden mussten und es nicht mit einem simplen Magazinwechsel getan war, um die nächste Reihe an Gegnern niederzumetzeln. Und auch Black 47 löst sich nach dem Shoot Out in einem neuen Morgen auf, der Veränderungen und Entwicklung bringt, sie jedoch nicht auflöst: Echte Helden müssen immer kämpfen, denn auch wenn die Schlacht gewonnen ist, ist der Krieg noch lange nicht vorüber, wartet vielleicht hinter der nächsten Wegkreuzung ein anderer Halunke oder ein noch schlimmeres Unheil, das gerichtet werden muss. So oder so.
Filme wie Black 47 zählen bei der versammelten internationalen Presse auf der Berlinale zu den so genannten „No-Brainern“. Früher sagte man dazu: Unterhaltungsfilm. „No-Brainer“ aber ist ein unsinniges Prädikat der Filmkritiker, die immer nur nach den gesellschaftskritischen Arthouse-Filmen lechzen und sich nicht eingestehen wollen, dass es auch unterhaltende Filme geben darf, die dennoch eine Botschaft vermitteln und „Brain“ haben. Dazu braucht es nicht immer minutenlanges Schweigen mit nichtssagenden Blicken oder überbordende Symbolik in schlecht ausgeleuchteten, verwackelten Lars-von-Trier-Gedächtnisszenen. Zwar mag die Symbolik in Black 47 sehr subtil in Szene gesetzt sein, aber dennoch stellt der Film eine sehr wichtige Frage: Was wissen wir eigentlich über die Geschichte, die unseres eigenen Landes wie die unserer Nachbarländer? Was wissen wir über das britisch-irische Verhältnis und über die Geschichte Irlands? Wie war das mit Irland zu einer Zeit, als der selbstherrliche englische Großgrundbesitzer sich, so ein Filmzitat, auf eine Zukunft freute, in der „ein gälischer Ire so selten sein wird wie eine Rothaut in Manhattan?“
Man kann an der irisch-luxemburgischen Koproduktion einiges bemängeln. Etwa, dass die Ausstattung sich manch schweren Lapsus leistet, der durch die Reduziertheit der Farben augenfällig wird. Dennoch ist Black 47 ein solider Film, der seinen Genrevorgaben folgt und sie beherzigt, der ein wenig vorhersehbar ist, aber welcher Western ist das nicht? Black 47 wurde auch in Luxemburg gedreht und zeigt, dass die Filmszene in Luxemburg Fuß gefasst hat. Tausend Arbeitsplätze hat die schillernde Welt der Leinwand im Großherzogtum generiert, wie Film-Fund-Chef Guy Daleiden beim alljährlichen Berlinale-Empfang der luxemburgischen Botschaft in Berlin sagte. Es ist dazu auch eine gute Entscheidung des Film Fund, nicht nur Das kleine Fernsehspiel im ZDF zu unterstützen, sondern sich auch an Werke wie Black 47 zu wagen. Die Frage, welche Rolle Luxemburg im damaligen britisch-irischen Verhältnis spielte, ist obsolet. Die Produktion eines solchen Films ist immer auch eine Visitenkarte des Leistungsstands und Leistungsvermögens im jeweiligen Produktionsland. Der Berlinale-Wettbewerb gibt dazu die richtige Aufmerksamkeit, auch wenn der Film außer Konkurrenz läuft.