Dass der christlich-soziale Parlamentspräsident Lucien Weilerscheinbar aus heiterem Himmel wieder einer Diskussion über dieKandidatenlisten für das Europaparlament lostrat, überrascht nurauf den ersten Blick. Denn vielleicht hat sein Vorstoß auch etwasmit dem Unbehagen zu tun, das die CSV mit dem Gesetzesvorschlagüber die Parteienfinanzierung verspürt – obwohl es von allen im Parlament vertretenen Parteien getragen wird.
Damit das Gesetz über die staatliche Bezuschussung der Parteiennämlich, wie gewünscht, am 1. Januar in Kraft treten kann,müsste esin den nächsten drei Monaten gestimmt werden. Zu einem Zeitpunktaber, wenn gerade der Staatshaushalt debattiert wird und dabei dievon der Tripartite beschlossenen Sparmaßnahmen weiter beherzigtwerden sollen, sind neue Ausgaben zugunsten der Parteien bei denWählern denkbar unpopulär. Die CSV, die sonst so gerne den anderen Parteien Morallektionen erteilt, fürchtet deshalb den Vorwurf, sie sei nicht besser als all die anderen, wenn es heiße, sich aus dem Staatstopf zu bedienen. Weshalb Jean-Claude Juncker bereits auf Distanz gegangen war und vorgeschlagen hatte, im Gegenzug die Zuschüsse an die Fraktionen zu bremsen.
Weilers Vorschlag, endlich Doppelkandidaturen zu den nationalenund den Europawahlen zu unterbinden, soll deshalb den Eindruck vermitteln, als ob es der CSV besonders wichtig wäre, den Wählerwillen ernst zu nehmen. Doch in Wirklichkeit ist die CSV jene Partei, die das System der Doppelkandidaturen am meisten missbraucht. Um drei Europaabgeordnete nach Straßburg zuschicken, hat sie bereits zehn ihrer zwölf Gewählten „aufgebraucht“,und der nächste Ersatzkandidat heißt ausgerechnet Lucien Weiler.Ob der Kammerpräsident wohl den Posten des Ersten Bürgers desLandes aufgeben wird, um bei Bedarf einen der nicht mehr ganz jungen CSV-Europaparlamentarier zu ersetzen?
Gleichzeitig hat die CSV am wenigsten zu befürchten, wenn die Doppelkandidaturen einmal tatsächlich abgeschafft würden. Denn als größte Partei hat sie die meisten landesweit bekannten Prominenten, um getrennte Listen zu füllen. Andere Parteien haben dagegen größere Schwierigkeiten, landesweit auch nur dem Namen nach bekannte Kandidaten für das Europaparlament aufzubieten, wenn ihre bekanntesten Politiker zu den Landeswahlen kandidieren. Kein Wunder, dass die anderen Parteien Weilers Vorschlag unfair finden, auch wenn sie sich nicht trauen, es in der Öffentlichkeit so zu nennen. Doch auch die anderen Parteien sind schlecht platziert, um sich alsedle Hüter des Wählerwillens aufzuspielen. Denn nach dem ziemlichknapp ausgegangenen Referendum über den europäischen Verfassungsvertrag 2005 hatten sämtliche Parteien einen kurzen Sommer lang versprochen, Kammer- und Europawahlen an unterschiedlichen Daten abzuhalten und auch sonst die Botschaftder Volksbefragung ganz, ganz ernst zunehmen. Von einer Verschiebung der Landes- gegenüber den Europawahlen gehtlängst keine Rede mehr, wie sinnvoll sie auch immer gewesen wäre. Und was die politischen Schlussfolgerungen aus dem Referendum anbelangt, dürfte das Gros der Wähler, ganz gleich, ob sie mit Ja oder mit Nein gestimmt hatten, den Eindruck haben, dass bis auf einen Internetblog und einige Wahlversammlungen bis heute nichts geschehen ist.