Laut Artikel eins der Luxemburger Verfassung befinden wir uns in einem demokratischen Staat. Das ist erfreulich. Allerdings lässt die Fähigkeit der Bürger und ihrer Volksvertreter dieses Landes nach, die darin besteht, undemokratische, also der Verfassung widersprechende politische Entscheidungen zu erkennen. Nach dem Motto Albert Einsteins „Those who have the privilege to know, have the duty to act“ möchten wir als Beispiel die Buchpolitik eines ziemlich undemokratischen, nämlich totalitären Regimes in Luxemburg von 1940 bis 1944 vorstellen.
Die Außenstelle des Reichspropagandaamtes (RPA) beim Chef der Zivilverwaltung (CdZ) erhielt per Verordnung vom 10.02.1941 einen ersten Schrifttumsbeauftragten (SchBeauftr.). Es handelte sich um den Hitlerjugend-Dichter Wolfram Brockmeier (Aktenzeichen „Br“, *1903-†1945). Zu den Aufgaben Brockmeiers gehörten zum Beispiel anfangs die Neuordnung des „Büchereiwesens“, Beschlagnahmen, die Zusammenstellung von Titellisten zur Luxemburger Geschichte vor dem 10.05.1940 oder die Literaturversorgung lungenkranker italienischer Arbeiter im Viandener Sanatorium.
Der gewaltige Sichtungsaufwand der beschlagnahmten Bibliotheken musste 1941 schneller vorangetrieben werden. Der aufgewandte Zuordnungszeitverbrauch der Commission du Livre (d’Land 18/2006) ab 1944 war nicht geringer. Gute Französisch-Kenntnisse waren gefragt. Am 24.10.1941 entsandte der Chef der Zivilverwaltung Lothringen Verstärkung: die aus Berlin stammende Bibliothekarin Elisabeth Raddatz (Aktenzeichen „Ra“) wurde in Luxemburg vorstellig und begann, vor allem die konfiszierten französischen Bücher zu sichten. Nach dem Wechsel Brockmeiers zum Reichspropagandaamt, Generalreferat Ostraum, wurde Raddatz (Ernennung am 15.01.) ab dem 01.02.1942 als dessen Nachfolgerin aktiv. Insbesondere „Frl. Raddatz“, laut Aktenlage eine sehr eifrige „SchBeauftr.“, wurde zum Schrecken des Luxemburger Buchwesens. In einem Klima der Rechtsunsicherheit und des Terrors konnte sie ihre Macht frei ausüben. Und sie tat es.
Brockmeier und Raddatz konnten ihre Überwachungen, Einschüchterungen und Einschränkungsmaßnahmen auf einen Normenstaat, beziehimgsweise einen „Hagel“ (Weber, P., 1946) an Verordnungen aufbauen. Auf das Buchwesen beschränkt und im nationalsozialistischen (NS) Instanzendschungel keineswegs als komplett anzusehende Liste hier folgend die bedeutendsten Verordnungen: Gebrauch der deutschen Sprache im Lande Luxemburg (06.08.1940, §3), Lehrer- und Schülerbüchereien (25.10. und 04.11.1940), Verbrauchsregelung von Schreibmaschinen (04.12.1940), Herstellung und Herausgabe von Druckerzeugnissen (10.01.1941), Verbot der Anwendung nichtdeutscher Schriftzeichen (18.12.1941), kartographische Veröffentlichungen (23.03.1942) und Abgabe der Freistücke von Druckwerken an die Landesbibliothek Luxemburg (06.07.1943).
Neben diesen Verordnung existierte ein Arsenal an Bestimmungen der Reichsschrifttumskammer (RSK), unter anderem die berüchtigte „Anordnung betreffend [die] Listen des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ (erste Fassung: 25.04.1935). Die von der Reichsschrifttumskammer geführte Liste nahm laut §1 die Werke auf, „die den kulturellen und politischen Zielen des nationalsozialistischen Reiches widersprechen“. Ein Paragraph mit viel Interpretationsspielraum.
Wie konnte das „deutsche Buch im deutschen Luxemburg“ durch die Schrifttumsbeauftragten optimal gefördert werden? Es ging schließlich darum, die „totale“ Kommunikationskontrolle zu erlangen. Mit den gängigen Mitteln der Zeit: einer jährlichen „Woche des deutschen Buches“, beziehungsweise Kriegsbuchwochen zum Thema „Buch und Schwert“; der Aufnahme in die NS-Bibliographie (zum Beispiel: Luxemburg und das Reich); der Verteilung von Büchern an Bibliotheken (zum Beispiel das Karl-Roos-Gedenkbuch); der Förderung von öffentlichen Bibliotheken durch einen „Deutschtumspflegefonds“. Die häufigen kriegsbedingten finanziellen Engpässe erlaubten keine großzügige Subventionspolitik. Der NS-Staat setzte auf kostengünstigere Terrormaßnahmen.
Maßnahme Nummer eins: Was hatte der Autor oder sonstige Buchakteur vor 1940 in Luxemburg publiziert/produziert? Der „Bücherwart“ der Gesellschaft für deutsche Literatur und Kunst (Gedelit), [Jean-Pierre] Marius Wagner, hatte zum Beispiel als „M.W.“ einen abwertenden Mini-Artikel (Streiflichter) in der Luxemburger Lehrerzeitung (Nr.5/1934) über die deutschen Dichter der Gegenwart geschrieben. Verlage und Druckereien mussten ihre Inventare (23.04.1942) einreichen.
Maßnahme Nummer zwei: die Meldepflicht für Schriftsteller, Verleger und Buchhändler vor dem 23.01.1941 (Luxemburger Wort, 10.01.1941: „Meldepflicht für alle Kulturschaffenden und Kulturvermittelnden“).
Maßnahme Nummer drei: die Manuskript-Begutachtung der 54 bis 60 ermittelten Luxemburger Schriftsteller vor der Produktion. Es handelte sich um Vorzensur. Interessanterweise verwendeten die Nazis den Begriff „Zensur“ nur im Zusammenhang mit ihren Gegnern. Einzig das Vereinsblatt der luxemburgischen Buchdruckereien (Nr.8/1940) wagte es doch tatsächlich, von einer „Zensurstelle“ für Druckerzeugnisse beim Chef der Ziviliverwaltung zu sprechen. Diese Nummer vor dem Erscheinen abzuliefern, das hatte der Verband wohl vergessen. Nach Manuskript-Prüfung gab es bei J.P. Koltzs Baugeschichte der Stadt und Festung Luxemburg oder W. Goergens E Bucki Spackelro’sen keine Bedenken. Ausgerechnet die Propagandaschrift Kreisführer Esch wurde abgelehnt, da die Veröffentlichung unter anderem kriegswichtige Angaben enthielt: Im Stadtplan waren Hochöfen und Walzwerke zu leicht zu identifizieren.
Maßnahme Nummer vier: das Berufsausübungsverbot. Die Aufnahme in die per Verordnung vom 07.06.1941 eingerichtete Landeskulturkammer (LKK) wurde zum Beispiel den Schriftstellern Lily Unden und Eberhard (Evy) Friedrich, dem Journalisten Gust van Werveke und dem Rodinger Buchdrucker René Chansey von Landeskulturkammer-Geschäftsführer Josef Recker verweigert. Maßnahme Nummer fünf: der arische Abstammungsnachweis. Die Helingsche Verlagsanstalt aus Leipzig fragte beim SchBeauftr. (02.01.1941) nach, ob Dr. Th. Witry „rein arisch“ sei, betreffend ein Buchprojekt Die luxemburgischen Scharfrichter.
Maßnahme Nummer sechs: Luxemburgs erste Pflichtabgaberegelung, die Verordnung vom 06.07.1943, trägt vom Wesen her ganz eindeutig die Merkmale eines autoritären Regimes: die primäre Kontrolle der Luxemburgensia. Die heutige aus dem Vichy-Regime stammende luxemburgische Pflichtabgabe-Regelung beinhaltet übrigens noch dieselben Elemente (d’Land 2/2009). Die Deutsche Nationalbibliothek (Deutsche Bücherei, Leipzig) erhielt ebenfalls je ein kostenloses Exemplar.
Die Listen der Buchhandlungen, gewerblichen Leihbibliotheken und Antiquariate erhielten Brockmeier und Raddatz von der Industrie- und Handelskammer. Maßnahme Nummer ein: Um überhaupt als Buchhandlung weiterexistieren zu dürfen, musste das betreffende Geschäft ab 1940 ins Adressbuch des deutschen Buchhandels aufgenommen werden. Ab dem 07.06.1941 kam die Kammerpflichtigkeit (Landeskulturkammer, Aufruf: Luxemburger Wort 21.08.1941) hinzu. Rückfragen des deutschen Börsenvereins erfolgten bei Brockmeier und Raddatz.
Maßnahme Nummer zwei: Im April-Mai 1942 regnete es Raddatz-Rundschreiben an die Buchakteure. Für den Buchhandel und die Leihbibliotheken waren dies: der Hinweis auf die Liste ungeeigneten Schrifttums (21.04.) und das Verkaufsverbot sämtlicher vor dem 01.09.1940 erschienenen „Luxemburger Druckschriften“ (09.05.). Nicht-arischen Unternehmen, wie dem Buchantiquariat von Richard Hellmann, katholisch jüdischer Abstammung (†30.09.1944 in Ausschwitz), und seiner Frau The[odor]a Sauter wurde der Handel mit Büchern untersagt. Die anerkannte „Vollbuchhandlung“ Hausemer versuchte 1944 ein Antiquariat mit Bücheraufkäufen aus Privatbesitz einzurichten. Die Zulassung der Landeskulturkammer bekam Hausemer dafür jedoch nicht. 1942 war die Echternacher Buchhandlung Burg bereits mit diesem Trick gescheitert.
Dies vor allem, weil – Maßnahme Nummer drei – häufige Inspektionen von Brockmeier und Raddatz in Begleitung der Gestapo für Verwarnungen, Verkaufssperren oder gar Schließungen (E. Hoffman, April 1943) sorgten. Der im Lagerraum der Buchhandlung Ernster gefundene französische Buchbestand musste ebenso herausgegeben werden wie die bei Josef Schummer entdeckten alten und französischen Bücher und eine in zwei Schränken versteckte Lehrerbibliothek (05.05.1942). Bei der Besichtigung am 12.05.1942 war bei Schummer Mein Kampf doch tatsächlich nur einmal vorrätig. Schummer, der nebenbei religiöses Begleitmaterial wie Rosenkränze verkaufte, wurde nach einer weiteren Kontrolle am 03.06.1942 von Raddatz vorgeworfen, dass ein Viertel des gesamten Buchbestandes „rein klerikal“ sei. Der Peinigungsrhythmus war beeindruckend.
Maßnahme Nummer vier: Einhergehend mit der Schrifttumsbeauftragtenernennung vom 10.12.1941 wurde folgende Vollmacht geregelt: alle Buchbestellungen mussten über die Reichspropagandaamtsaußenstelle, Abteilung Schrifttum, laufen. Die Gestapo half mit: eine Lieferung von Hachette an die Buchhandlung Putty Schneider zum Beispiel wurde bereits im Juni 1940 abgefangen. Einfacher wurde es mit dem Zollabkommen vom 12.07.1942, da jede Bucheinfuhr über die Devisenstelle laufen musste. Raddatz konnte dann „Unbedenklichkeitsbescheinigungen“ zur Einfuhrgenehmigung erstatten – oder auch nicht. Bestellten etwa Körperschaften (Hüttenwerke, Verwaltungen) ausländische Fachliteratur, so war dies im Sinne der Forschung kein Problem. Waren aber Privatpersonen betroffen, war der Bescheid meist negativ. Somit wurde der Einkauf eines Dictionnaire de théologie für das Priesterseminar genehmigt, jedoch der Traité de philosophie für Professor Albert Kasel verweigert, mit dem Hinweis, das Werk sei in der Landesbibliothek zu finden. Manche Einfuhr wurde auch nur einmalig genehmigt.
Einige vormals erteilte Einfuhrgenehmigungen, wie zum Beispiel für die Firma Paul Brück betreffend medizinische Fachbücher, wurde nicht mehr verlängert. Es wurde auf „gleichwertige“ deutsche Fachliteratur und Entleihungsmöglichkeiten in der Landesbibliothek hingewiesen. Weisen wir darauf hin, dass sich auf jedem Bestellzettel einer Luxemburger Buchhandlung der Prüfungsvermerk des Schrifttumsbeauftragen zu befinden hatte. Auch die Ausfuhr zum Verkauf wurde ebenfalls kontrolliert. So drohte Raddatz der Papiergroßhandlung Steinhäuser mit einer Beschlagnahmewarnung. Steinhäuser hatte die Ausgabe eines zweiseitigen Kalenders 1943 im Angebot, welche ohne Genehmigung erfolgt war. Der Kalender bestand aus einer Seite Jahreskalender und einer Rückseite mit den Postgebühren. Sogar Taschenfahrpläne mussten genehmigt werden.
Maßnahme Nummer fünf: Die privaten Leihbibliotheken, welche wegen des Angebots sogenannter „Asphaltliteratur“ von den Nazis besonders ins Visier gerieten, sollten am besten komplett verschwinden. Die Argumente zur Schließung unterlagen der persönlichen Bewertung von Raddatz. Hier einige Beispiele aus seinen Aktenvermerken nach Inspektionen vor Ort: schlechter Zustand, zu leichte Literatur (Probst, Esch/Alzette), in unmöglichem Zustand (Feltes-Steffen, Düdelingen), schmutzig, mit Schund- und Schmutzliteratur durchsetzt (Scholer, Düdelingen / Gottfrind, Luxemburg), keine Ausbildung und Erfahrung, nur 50 bis 60 Bücher, Notwendigkeit besteht dort nicht (Zahlen, Luxemburg), geringer Bestand, Mangel an Neuzugängen (Raele, Differdingen), nur antiquarische Bücher vorrätig (Gerbes-Müller, Luxemburg), wildes Durcheinander (Hausemer, Luxemburg).
Maßnahme Nummer sechs: Selbst die Präsentation der Buchhandlungsangebote erregte die Aufmerksamkeit der Behörden: keine öffentliche Auslegung in Schaufenstern oder Bücherständern von unerwünschtem Schrifttum. Frau Ernster durfte nach schriftlichem Protest immerhin noch die Restbestände ihrer nicht geduldeten Edgar-Wallace-Bücher verkaufen. Während der jährlichen „Buch und Schwert“-Wochen mussten alle Buchhandlungen und Leihbibliotheken ihre Hauptschaufenster „nur mit Schriften und Illustrationen aus dem Kriegsgeschehen“ ausstatten, um das Heldentum des Krieges hervorzuheben. Interpretationsdivergenzen zwischen Brockmeier/Raddatz und Vertrieb gab es bei „Unklarheiten in der Behandlung des Übersetzungsschrifttums der Feindländer“. Die Zahl der Feindländer wuchs beständig und machte eine auf Konformismus ausgerichtete Buchpolitik nicht einfacher.
Leichter zu steuern und auszubauen als der Buchhandel (Privatwirtschaft) war das als zu frei und nachlässig empfundenes Bibliothekswesen. Maßnahme Nummer eins: Ermitteln und Ausschalten der Konkurrenz durch Aneignung ihrer Bibliotheken. Laut dem Stand vom 13.01.1942 waren 36 überwiegend katholische Bibliotheken vom Schrifttumsbeauftragten beschlagnahmt worden. Je nachdem samt dem Mobiliar. Privatbibliotheken befanden sich ebenfalls darunter, unter anderem die größte des Landes, die der Großherzogin (circa 35 000 Bände). Versteckte Bibliotheken, wie die des früheren Hollericher Volksbildungsvereins im April 1942, konnten aufgespürt werden.
Maßnahme Nummer zwei: Durch gesetzliche Änderungen im Bereich des Berufsbeamtentums seit Mitte der 1930-er Jahre konnten missliebige Bibliothekare schneller ersetzt werden. Dank einer Vielzahl an Richtlinien besaß das Personal der staatlichen Bibliotheken so wenig Freiraum wie möglich. Mit staatlichen Bibliotheken waren nicht nur die großen wissenschaftlichen oder die Lehrer- und Schülerbibliotheken gemeint, sondern auch die zahlreichen „Volksbüchereien“. Angesichts der Aufhebung der kommunalen Selbstverwaltung in totalitären Systemen sprach Gaukulturwart Dr. Albert Perizonius in der Zeitschrift Moselland (Juli-September. 1942) von „staatliche[n] Volksbüchereien“. Das waren sie auch. Von der Gedelit zwischen April und Mai 1941 gegründet, ab März 1942 an die Staatliche Volksbüchereistelle in Trier verkauft, wurden sie fast ausschließlich von dazu zwangsverpflichteten Lehrkräften verwaltet.
Maßnahme Nummer drei: Die Pflicht-Schulung im NS-Sinn, wie sie durch „Büchereileitertagungen“ im Ex-Parlament (RPA/Landeskulturkammer) auf dem Krautmarkt ab 1941 jährlich stattfanden.
Maßnahme Nummer vier: Die Zusammensetzung der Bestände wurde durch Verordnung und Titellisten festgelegt. „Englandhörige Wildwest- und Kriminalromane“ zum Beispiel hatten nichts in Volksbüchereien zu suchen, ebenso wie jüdische, pazifistische, deutschfeindliche und französische Bücher in Schul- und Lehrerbibliotheken (Schulbote Nr. 6/1940). So wurde zum Beispiel im November 1940 daraufhin Batty Webers Aus dem Wartezimmer des Kriegs aus der Grundschulbibliothek in Godbringen entfernt. Es ist historisch erwiesen, dass flächendeckend eingesetzte identische Buch-Kernbestände mit der Heterogenität der Leserschaft unvereinbar waren und sind. Hinzu kam, dass die oftmals penetrant hervortretende Volkspädagogik in den Beständen auf kein großes Interesse der Nutzer stieß.
Maßnahme Nummer fünf: Insbesondere in wissenschaftlichen Bibliotheken wurden Kataloge gereinigt und umgearbeitet. Unerwünschtes wurde sekretiert. Maßnahme Nummer sechs: Wie beim Buchhandel wurden, wenn auch weniger häufig, Inspektionen durchgeführt. Allerdings waren im Bibliothekswesen nur selten die Schrifttumsbeauftragten, sondern andere Kontrollinstanzen am Werk: bei Schulbibliotheken reichsdeutsche Lehrer, bei Volksbüchereien Personal der Trierer staatlichen Volksbüchereistelle (Leiter: Dr. Ludwin Langenfeld; ab 1941 Wilhelm Neuhaus). So berichtet N. Pletschette im De Biergmann (Nr. 9/1954), wie am 12.04.1943 „Fräulein Knab“ zu einer mehrtägigen Bestandsüberprüfung vorbeikam und eine gewisse Anzahl katholischer Autoren ausschied. Ab 1943 ging das NS-Regime verstärkt gegen konfessionelle Literatur im ganzen Reich vor.
Die „totale“ Bewachung der Privatlektüre war schwierig. Eine Leserverhaltenskontrolle war über das Konsultieren der Ausleihregister von Bibliotheken möglich. Datenschutz? Ein Fremdwort. Durch die Auflösung bibliophiler Gesellschaften fiel diese mögliche Mitglieder-Überwachungsoption weg. Allerdings konnten die Nazis laut Aktenlage auf die Archive der Buchgemeinschaften der 1930-er Jahre zurückgreifen, wie die der Deutschen Buch-Gemeinschaft (DBG). Was hatte DBG-Mitglied 829 401, Professor Willy Goergen, sich vor 1940 an Büchern liefern lassen? Die DBG konnte es Brockmeier und Raddatz mitteilen.
Die NS-Buchpolitik war im Alt-Reich wesentlich gemäßigter, so die Fachliteratur. Das Beispiel des Gebiets des Chefs der Ziviliverwaltung Luxemburg gehört zu den extremsten Varianten. Wir merken uns: Pluralismus, Presse- und Meinungsfreiheit, kommunale Autonomie, freie Marktwirtschaft, gemäßigte Regulierung, Datenschutz, Rechtssicherheit, freie Büchererwerbungsauswahl, und vieles andere mehr, und, ja, sogar das Recht auf die Produktion und den Vertrieb von „Schundliteratur“ gehören zu einer modernen Demokratie. Deshalb ist zum Beispiel ein luxemburgisches Bibliotheksgesetz von 2010, welches vorschreiben darf, welche Bücher in den Beständen zu stehen haben, zutiefst undemokratisch (d'Land 13/2013). Wir bitten deshalb mit Nachdruck, im Sinne von Verfassungsartikel eins, auf jegliche Nachahmung einer NS-Buchpolitik zu verzichten. Danke im Voraus.