d’Lëtzebuerger Land veröffentlicht in unregelmäßiger Reihenfolge Dokumente aus dem Ersten Weltkrieg und hat Forscher eingeladen, diese Presseartikel, Verwaltungsschreiben, Briefe, Tagebucheintragungen und Fotos kritisch zu kommentieren. Gianna Thommes hat europäische Ethnologie und Geschichte studiert und arbeitet an der Universität Luxemburg zum Ersten Weltkrieg.
17. [November] Sonntag kalte[s] regnerisches Wetter. So beginnt François Henckes die Einträge in sein Tagebuch. Sonntage, Tage, an denen er meistens frei hat, werden besonders hervorgehoben. Dann geht er mit seiner Frau Catherine und den Kindern in der Stadt spazieren und besucht die Schwiegereltern. Ab und an spielt er mit bei der Bouneweger Musik, sei es für eine Kirmes oder die Begleitung eines Leichenzuges. Dieses Hobby bringt ihm ein paar zusätzliche Mark und den einen oder anderen Humpen oder Schnaps ein. Nach dem Datum vermerkt Henckes den Wetterbericht. Als Steinmetz bei der Bahn ist er den Witterungen tagein, tagaus ausgesetzt. Aber auch für die Lebensmittelversorgung beobachtet er das Wetter besorgt. So machen ihm lange Dürreperioden im Sommer 1916 Sorgen um die Ernte und die Ernährung der Bevölkerung.
Die Arbeit nimmt den größten Teil seiner Beschreibungen ein. Vor allem Streitigkeiten mit seinem Vorarbeiter Beweng, den er für unfähig hält, werden festgehalten. Aber auch den eigentlichen Inhalt seiner Arbeit notiert er akribisch. So arbeitet er Mitte November 1914 an der Rotunde Nord und haut Steine oder repariert ein Fenster an der Zwickau. Geht die Arbeit flott voran, ist er zufrieden.
Es ist der aufkommende Krieg im Juli 1914, der für Henckes zum Anlass wird, seinen Alltag niederzuschreiben. Er muss den Kriegsbeginn als etwas Besonderes empfinden, als den Beginn einer Periode, deren Aufzeichnung ihm lohnenswert erscheint. Er gibt ein Gespräch, wieder mit seinem Vorgesetzten, in dem er diesem wiederspricht, dass es sehr wohl wichtig sei, Tagebuch zu führen, und dass er es weiterhin tue. Das Tagebuch ist seine Art dem Krieg zu begegnen. Das Merkmal vieler Tagebücher ist es, dass die Verfasser versuchen das Erlebte möglichst unverfälscht festzuhalten. Auf den ersten Seiten beschreibt er, wie die Armeen durch die Stadt ziehen und die ersten Kanonenschüsse zu hören sind. Ebenfalls notiert er den Anstieg der Lebensmittelpreise und dass das Geld kaum zum Leben reichen wird.
Während der Jahre 1914 und 1915 wird der Krieg ab und an thematisiert, so wie im November 1914, als er ganz unruhig wird von dem schrecklichen Kanonendonner. Auch wenn der Krieg in den Zeilen der ersten Jahre nicht oft Erwähnung findet, scheint er allgegenwärtig zu sein, ohne im Alltag fortwährende Auswirkungen zu haben. Einmal vermerkt Henckes, nicht mehr derselbe wie vor dem Krieg zu sein. Auch das Verhalten seines Vorgesetzten Beweng erklärt er sich dadurch, dass der Krieg jeden verrückt mache. Dabei notiert Henckes des Öfteren, wie zufrieden er mit seinem Leben sein könnte, wenn bloß der Krieg nicht wäre. So fragt er sich auch ständig, wann er endlich zu Ende sein wird und wünscht sich dieses sehnlichst herbei.
„Wenn nur der hungrige Krieg zu Ende wäre“ [28. April 1917]. Ab dem Jahre 1916 erhält der Krieg in den Eintragungen einen größeren Stellenwert. Es sind der ständige Hunger und der Mangel an Lebensmitteln, die immer öfter beschrieben werden. Henckes ist von einem ständigen Hungergefühl geplagt und weiß nicht, wie er sich und seine Frau satt bekommen soll. Vom schlechten Brot bekommt er Magenkrämpfe. Die Zulage, die von den Deutschen freiwillig an die Arbeiter gezahlt wird, nimmt er gerne an. Er beschreibt seine Angst, in den Keller zu gehen, um sich den dahinschwindenden Vorrat an Kartoffeln anzusehen. Ohne die Unterstützung der Schwiegereltern, die ihn und seine Frau unter anderem mit Kartoffeln und Kohle versorgen, wäre beider Lage schon eher dramatisch gewesen.
An einem Sonntag im Winter 1917, bevor das Hamstern offiziell verboten wird, wandert Henckes von Leudelingen über Dippach, halbwegs nach Niederkerschen und zurück bis nach Reckingen auf der Suche nach Lebensmitteln. In einem Reckinger Wirtshaus ersteht er jeweils ein Sester Erbsen und Bohnen. Das wird in den nächsten Wochen die Haupternährungsquelle, die jedoch schneller als gedacht aufgebraucht ist und er bereut bald, nicht noch mehr davon gekauft zu haben. An anderer Stelle beschreibt Henckes wie seine mit dem vierten Kind schwangere Frau Catherine das Brot sofort wieder in den Schrank packt, nachdem sie eine dürre Scheibe abgeschnitten hat, um nicht in Versuchung zu geraten noch eine weitere Scheibe zu essen.
Das Buch endet an Heiligabend 1918, für Henckes die letzte Weihnacht im Krieg. Die Situation wird allmählich besser; er sieht ein Ende des Leidens, sie haben Fett und Fleisch bekommen. In den letzten Zeilen resümiert er seine Erfahrungen des Krieges: „Wir haben beide hart gekämpft, wir sind glücklich durchgekommen, wir werden das weitere schon packen.“