Luxemburgensia

Bulgaren haben kurze Beine

d'Lëtzebuerger Land du 07.12.2012

Ein schreckliches Buch! Eine fürchterliche Geschichte. Eine unsägliche Sprache. Von Stil keine Spur. Genauso wenig von Grammatik, Orthographie und Interpunktion. Von literarischem Niveau ganz zu schweigen.
Aber der Reihe nach. Erika Fohl, die Verfasserin, wurde laut Vorwort 1938 in „Holzheim“ (sic!) geboren, „einem kleinen Dorf nicht sehr weit von Luxemburg entfernt“. Sie wuchs in ärmlichen, um nicht zu sagen: prekären Verhältnissen auf. Ihr „Papp“, der im Zweiten Weltkrieg „den einzigen Schwarzradiosender (sic!) in Luxemburg gebastelt hatte“, war Alkoholiker, zudem streitsüchtig und von ungemeiner Brutalität, sowohl seiner Frau als auch seinem Töchterchen gegenüber. Als die Kleine in die erste Klasse ging, „schlug er mir einmal meinen kleinen Stuhl auf den Kopf. Er zerbrach in Stücke“. Später versuchte er, die Pubertierende zu missbrauchen, und als diese sich wehrte, schleuderte er ihr vorwurfsvoll entgegen: „Du bist genau so kalt wie deine Mamm.“
Von besagter „Mamm“ heißt es rückblickend, sie sei „geistig auf dem Entwicklungsniveau eines Kindes zurückgeblieben“. Und „da wir nur ein Bett im Haus hatten“, kam es durchaus vor, dass zu dritt in diesem geschlafen wurde: die Mutter, die Tochter und der Liebhaber der Frau, der sich nebenher auch noch am Kind vergriff, ohne dass deswegen jemand zur Rechenschaft gezogen wurde. Kein Wunder, dass die kleine Erika die meiste Zeit bei ihrer geliebten „Boma“ verbrachte. Allerdings scheint auch diese Dame eher grob gestrickt gewesen zu sein, denn ... – ach, man will das alles eigentlich gar nicht wissen!
Also fassen wir uns kurz: Kaum hat die Erzählerin einen Nichtsnutz von Italiener geheiratet, ihr erstes Kind in die Welt gesetzt und sich einmal mehr nach Strich und Faden betrügen lassen, macht sie sich aus dem Staub. Es folgt eine Odyssee sondergleichen, zunächst über Zürich und „Pyrreus“ (sic!) nach Tunesien, wo sie sich mit 24 Jahren ihre erste Zahnbürste kauft! Mit einem neuen Mann landet sie in Indien und Sri Lanka. Im Sudan lernt sie Arabisch, konvertiert zum Islam und bricht zu einer Pilgerreise nach Mekka auf. Unweit der Kaaba trinkt sie aus jenem Brunnen, der ihrer Lebensgeschichte den Titel gibt. Über Saudi-Arabien, nochmals die Schweiz und England gelangt sie schließlich nach Pakistan, nimmt die dortige Staatsbürgerschaft an und heiratet erneut.
Doch wieder einmal währt das Glück nur kurz. 1971, mit 33 Jahren, zieht die Getriebene mit ihrer Familie zurück nach Luxemburg. Mohammed, der Mann, wird Bankangestellter und hilft in seiner Freizeit „vielen Menschen hier mit Horoskopen und Charakteranalysen“, während die Gattin erneut Luxemburgerin wird und „bei den Europäischen Gemeinschaften“ Arbeit findet.
Nach all den erstaunlichen Erfahrungen, die Erika Fohl auf ihrem ungewöhnlichen Lebensparcours machte, müsste sie eigentlich genug für weit mehr als 1001 Nacht zu erzählen haben. Was leider nicht der Fall ist. Statt von der kritischen Auseinandersetzung mit fremden Kulturen, Sitten, Bräuchen und Religionen zu berichten, strotzt das Buch nur so von sexistischen, rassistischen und anderen zweifelhaften Aussagen: Bulgaren haben kurze Beine, Araber mögen keine Locken, die Sudanesen sind sehr gutmütig und alle Tunesier träumen davon, eine blonde Ausländerin zu heiraten.
Gepaart mit einer gewissen Neigung zu Größenwahn und Koprophilie, einem ungesunden Hang zu Esoterik und dem Problem der Autorin, sich aus dem fatalen Kreislauf von Gewalt, Selbsttäuschung, Verklärung und Sublimierung zu befreien, rufen solche Schilderungen und Erkenntnisse beim Leser peinliche Betroffenheit hervor. Und wenn man zudem bedenkt, dass die Autorin einem der berüchtigtsten deutschen Abzockerverlagen auf den Leim gegangen ist und für die Publikation ihrer Memoiren sicherlich etliche tausend Euro hinblättern musste, ohne im Gegenzug auch nur die geringste verlegerische Hilfestellung zu erfahren...

Erika Fohl: Der Brunnen des Zamzam. Asyl im Orient, Autobiographie, August von Goethe Literaturverlag, Frankfurt/Main o. J., 268 Seiten, Euro 19,80.
Georges Hausemer
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