Burnout ist zwar längst zum Modebegriff und zum euphemistischen Deckmantel für verschiedene Formen von Liederlichkeit geworden, aber als Spielart der Depression eine ernste Angelegenheit. Obwohl der Name durchaus ähnlich klingt, ist „Bern Aut“ dagegen keine Spielart der Depression, sondern das Pseudonym eines Betroffenen, der, wie er angibt, anderen Betroffenen seine Hilfe anbieten will. Mit seinem Buch Weg von der Brücke beschert „Bern Aut“ der luxemburgischen Buchproduktion einen Beitrag auf dem zurzeit sehr beliebten Gebiet der „Ratgeberliteratur“, unter dem nicht wenig ambitionierten Vorsatz, eine „Anleitung zum Überleben eines Burnout“ zu liefern.
Ein derart hochgestochenes Ziel weckt natürlich das Interesse des Lesers. Um der erwartbaren Einsichten willen wird dieser bestimmt gern bereit sein, über die Tippfehler in der Pressemitteilung, auf dem Buchcover und im Hinweis auf das Urheberrecht hinwegzulesen sowie in gleichermaßen großzügiger Manier das sprachlich wie inhaltlich äußerst wirre Vorwort eines gewissen Herrn Mieschendahl links liegen zu lassen, der eine gewisse „Human Flow-Methode“ entwickelt haben soll.
Nun gut. Mit dem eigentlichen Text hat das alles vielleicht nichts zu tun. Das mag ebenso für die Flut von Zitaten gelten, mit denen der Autor seine Kapitel einleitet, beschließt und mittels Fußnoten anreichert. Dass die Quellenangaben dabei nahezu restlos auf nur bedingt verlässliche Textausgaben von Billigverlagen oder auf Wikipedia verweisen, kann man in Zeiten der wild um sich greifenden Wirtschaftskrise verstehen. Groß- und Kleinschreibung? Ist doch wurst. Schließlich geht es nicht um die Details der Herausgabe, sondern um die Erfahrungen und Tipps des Autors!
Bis zu diesen vorzustoßen erweist sich allerdings als nicht ganz leicht. Über weite Teile ist Weg von der Brücke weniger ein Erfahrungsbericht als ein Konglomerat aus bildlichen Überformungen, Binsenweisheiten und aus aller Herren Länder zusammengewürfelten Zitaten1. Auf eine der Grundfragen der abendländischen Philosophie findet der Autor zum Beispiel folgende Antwort: „Glück ist sehr subjektiv. Für einen Verdurstenden ist ein Glas Wasser pures Glück, für einen Ertrinkenden eher nicht.“ (S. 30f.) Schnell wird deutlich, wohin das ominöse „Weg von der Brücke“ führt: nämlich schnurstracks in eine Esoterik, der jede Verkürzung recht ist, um große philosophische Entwürfe (Platon, Epikur, Schopenhauer, Nietzsche) zu mundgerechten Binsenweisheiten für alle Lebenslagen zu verwursten.
Die eigene intellektuelle Leistung des Kompilators besteht vor allem in Einsichten, die er aus einer eingehenden Selbstanalyse gewonnen haben will. Er identifiziert dabei drei Problemfelder, die zum Burnout geführt haben: das Streben (nach Anerkennung, Erfolg, materiellen Gütern), das Bedürfnis, alles unter Kontrolle zu halten, und ein zu starker Rationalismus. Das Loslassen und die Gelassenheit werden demgegenüber zu den wichtigsten Zielpunkten der Genesung erklärt. Das könnte ein, wenn schon nicht umwerfend originelles, so doch zumindest stimmiges Konzept sein. Doch an diesem Punkt geht das Projekt des Ratgeberbüchleins gründlich schief.
Davon abgesehen, dass nicht ersichtlich wird, warum ausgerechnet eine rationale Herangehensweise an das Leben zu einem Burnout führen soll – sind doch ständiges Mehr-haben-wollen und Selbstüberforderung gerade keine Anzeichen für eine vernunftgesteuerte Weltsicht –, wirkt es seltsam, dass jemand, der ausdrücklich kein „Kontrollfreak“ (S. 55) mehr sein will, seinen Leser auf Schritt und Tritt herumkommandiert2. Ständig schreibt der Autor dem Leser vor, wie er denken und werten, was er vorstellen und was er verwerfen soll. Als Weg zur wahren Selbstbestimmung taugt das womöglich eher mittelgut.
Am allerseltsamsten aber erscheint, dass der Autor, der sich doch von schnöden Strebenszielen wie Anerkennung und Erfolg freimachen wollte, keine Gelegenheit auslässt, dem Leser seine sämtlichen Errungenschaften tunlichst unter die Nase zu reiben, denn „mit Erfolg im Beruf, Sportwagen, Haus und Grundstücken, Reisen und Familie“ (S. 30) habe er, wie er sagt, ehedem „ohne Zweifel“ protzen können. Nicht genug damit, dass er ein Pseudonym gewählt hat, das so lächerlich ist, dass es unweigerlich die Frage nach der wahren Identität des Schreibers nach sich ziehen muss. Der Autor kann offenbar nicht umhin, kundzutun, bei „Bern Aut“ handele es sich „um eine bekannte Persönlichkeit aus der luxemburgischen Politik und Wirtschaft“, die „unerkannt bleiben“ möchte3. Muss man dann wirklich betonen, man habe „früher auf einem ziemlich hohen Niveau aktiv Politik betrieben“ (S. 59) und eine Fülle präziser autobiografischer Details in den Text einstreuen, die eher zum Ratespiel über den Autor und seine Eitelkeiten als zum Nachdenken über das Thema einladen?
Lore Bacon
Catégories: Luxemburgensia
Édition: 30.11.2012