Steuerpläne

Mehr Mindestlohn, mehr Akzisen, weniger Körperschaftsteuer

Kabinettsitzung der Luxemburger Regierung
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 07.12.2018

Haushalte Die vielleicht kühnste Ankündigung der Koalition ist die geplante Einkommenssteuerreform, durch die nach einer während der vorigen Legislaturperiode eingeführten eher symbolischen und optionalen Individualisierung nun sämtliche Steuerklassen abgeschafft werden sollen. Steuerklassen nach Familienstand mit Doppelveranlagung und Ehegattensplittung haftet heute der Ruch einer katholisch konservativen bis völkischen Familienpolitik an. Es gibt sie in dieser Form außer in Luxemburg europaweit nur noch in Deutschland, Irland und Portugal; in Frankreich wird ein Familienquotient angerechnet.

Insbesondere die Linksparteien oder zumindest ihre Frauenorganisationen hatten sich lange für die Individualbesteuerung stark gemacht, weil dadurch Frauen nicht mehr länger als „Zuverdienerinnen“ angesehen würden. Doch während es bisher auf der Linken recht still um die angekündigte Steuerreform ist, hat sich die DP zur Vorreiterin der Individualbesteuerung gemacht, die die Frauenerwerbstätigkeit fördern soll.

Nach der bereits 1990 erfolgten Abschaffung der Steuerklasse 3 soll die im DP-Wahlprogramm versprochene und nun im Koalitionsabkommen angekündigte Abschaffung der Steuerklasse 2 für Ehepaare folgen. Dadurch würde auch die 1990 eingeführte Klasse 1a abgeschafft, die Verwitwete, Alleinerziehende und Rentner immer wieder als ungerecht empfinden. Die Besteuerung soll unabhängig vom Familienstand werden, nur die Kinderzahl soll noch bei der Einkommensbesteuerung berücksichtigt werden, wie einst durch die Steuerklassen 3.1, 3.2, 3.3...

Allerdings bedeutete die Abschaffung der Steuerklasse 2 Einkommenseinbußen von Tausenden Euro jährlich für die von der DP hofierten Mittelschichtenfamilien, wenn der Ehemann Brot verdienen geht und die Ehefrau zu Hause die Kinder hütet. Deshalb sieht das Koalitionsabkommen vor, dass die Individualisierung nur schrittweise und mittelfristig eingeführt werden soll. Es verspricht zudem einen angemessenen Ausgleich und Übergangsphasen, schweigt sich aber über die Einzelheiten und den Kostenpunkt aus.

In den Koalitionsverhandlungen hatte es geheißen, dass die derzeit Steuerpflichtigen während der Übergangszeit wählen dürften, ob sie einzeln veranlagt oder ihr altes System beibehalten wollen. Dadurch soll eine Protestkampagne wie 1990 vermieden und rechten Familienpolitikern weniger Munition geliefert werden.

Das Koalitionsabkommen verspricht sogar, dass am Ende die Steuerlast der natürlichen Personen gesenkt werde (S. 118). DP-Präsidentin Corinne Cahen hatte vergangene Woche versichert: „Niemand wird etwas verlieren!“ Wirtschaftsminister Etienne Schneider meinte am Dienstag, dass das Finanzministerium und die EU-Kommission der Koalition bescheinigt hätten, dass „unsere Standardeinnahmen in den nächsten Jahren im Jahresdurchschnitt um rund 400 Millionen steigen“ werden, so dass der Koalition politischer „Spielraum“ bleibe.

Zu den Einzelheiten der Reform kündigte ­Corinne Cahen lediglich an, dass das Finanzministerium „in den nächsten Monaten“ einen entsprechenden Entwurf ausarbeiten soll. Premier Xavier Bettel betonte, dass die Regierung schließlich fünf Jahre Zeit für all ihre Reformen habe.

Das Koalitionsabkommen sieht auch vor, dass die Besteuerung von Sachleistungen vereinfacht werden soll, indem steuerfreie Pauschalen eingeführt würden. Insbesondere die erst vergangenes Jahr geänderte Besteuerung der Chèques-repas soll „modernisiert“ werden (S. 118).

Das Abkommen macht keine Angaben dazu, ob bei der Einführung des kostenlosen öffentlichen Transports die Kilometerpauschale im Jahr 2020 nur gesenkt oder bis auf Ausnahmen abgeschafft wird. Solche Ausnahmen werden jedenfalls Erwerbstätigen versprochen, die wegen ihrer Arbeitszeit oder ihrem Arbeitsort nicht auf den öffentlichen Transport zurückgreifen können (S. 42).

Um hochbezahlte Fachkräfte aus dem Ausland anzulocken, sollen ihre Gehälter verstärkt steuerlich begünstigt werden, womit die Einkommensschere nicht unbedingt geschlossen wird. Die viel kritisierten Stock options, mit denen das Führungspersonal von Unternehmen steuerbegünstigt in Wertpapieren entlohnt wird, sollen schrittweise abgeschafft und durch eine allgemeinere Begünstigung des alten christlichsozialen Traums von der „Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand“ ersetzt werden (S. 120). Die Besteuerung der Carried interest, der Gewinnbeteiligung für Verwalter von Investitionsfonds, soll gesenkt werden, um nicht nur das Fondskapital, sondern auch dessen Verwalter ins Land zu locken.

Zur Öffnung der Einkommensschere soll die Erbschaftssteuer in indirekter Linie angepasst werden, „um der Entwicklung der Immobilienpreise Rechnung zu tragen“ (S. 118). Das versprach das DP-Wahlprogramm, nämlich dass sie an die „Infla­tionsentwicklung in der Vergangenheit nach unten“ angepasst werden sollen (S. 16).

Zur Eindämmung der Spekulation soll die Grundsteuer im Rahmen einer Vereinfachung der Gemeindesteuern und einer Reform der Allgemeinen Bebauungspläne reformiert beziehungsweise erhöht werden. Wobei Freibeträge für den zu eigenen Wohnzwecken genutzten Grund und Boden vorgesehen sind.

Firmen Entgegen den Wahlkampfankündigungen der LSAP und der Grünen setzte die DP eine weitere Senkung der Betriebsbesteuerung durch, um im internationalen Steuerwettbewerb die von der Europäischen Union und der OECD verlangte Erweiterung der Bemessungsgrundlage auszugleichen (d’Land, 30.11.2018). Nach einer Senkung des Körperschaftsteuersatzes im Januar 2017 und im Januar 2018 sollen im Januar 2019 die Körperschaftsteuer und die kommunale Gewerbesteuer insgesamt um einen weiteren Prozentunkt gesenkt werden. Der reduzierte Körperschaftsteuersatz von 15 Prozent soll nicht mehr bloß Unternehmen bis zu einem besteuerbaren Jahreseinkommen von 25 000 Euro, sondern von 175 000 Euro zugutekommen. Weitere Steuersenkungen schließt das Abkommen nicht aus, je nachdem, wie sich der internationale Steuerwettbewerb entwickelt (S. 120).

Die Regierung will auch den „Missbrauch“ mittels der 2007 für ausländische Spekulanten geschaffenen Fonds d’investissement spécialisés (Sicav-Fis) eindämmen (S. 120), in die heimische Promotoren Hunderte Millionen an Immobilienvermögen einbringen können, dann bloß einige Tausend Euro Abonnementtaxe und am Ende gar keine Steuern auf dem Mehrwert zahlen müssen, wenn ihre Beteiligung zehn Prozent nicht übersteigt (d’Land, 20.4.2018). Wie der Unterschied zwischen gutem ausländischen und bösem inländischen Kapital rechtlich gemacht wird, bleibt aber ungeklärt.

LSAP und Grüne bescheinigten auch der DP schriftlich, dass sie aus Rücksicht auf die Finanzbranche gegen die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Einführung einer Finanztransaktionssteuer sind, die sie im Elan von Occupy Wallstreet wiederholt befürwortet hatten.

Ab nächstem Jahr sollen die Akzisen auf Treibstoffe und Heizöl verteuert werden, um den bei der Klimakonferenz in Paris abgemachten Anteil der Umweltsteuern zu erhöhen (S. 121). Ein Betrag wird aber noch nicht genannt. Ein Ausschuss von vier Ministern soll dann die weitere Entwicklung des Tanktourismus „überwachen“. Die eben erst eingeführten Zuschüsse für Elektroautos und -fahrräder sollen wieder abgeschafft und durch „gezieltere“ ersetzt werden.

Mindestlohn Der gesetzliche Mindestlohn soll ab 1. Januar um 100 Euro netto erhöht werden. Die Idee der LSAP, die dieses Versprechen zu einer „roten Linie“ erklärt hatte, war von Anfang an, dass die Mindestlohnerhöhung die Unternehmen nicht oder nicht vollständig belasten soll. Deshalb geht von einer Netto-Erhöhung, das heißt nach Steuern, die Rede. Bezeichnenderweise listet das Koalitionsabkommen die Mindestlohnerhöhung auch nicht unter dem Arbeitsrecht, sondern unter dem Kapital „Fiscalité des personnes physiques“ auf (S. 117).

Entgegen den ursprünglichen Behauptungen soll die am 1. Januar fällige gesetzliche Anpassung des Mindestlohns an die allgemeine Lohnentwicklung Teil der versprochenen 100 Euro sein. Zu dieser Erhöhung um 1,1 Prozent oder 22,53 Euro monatlich, die noch vor dem Jahresende durch das Parlament gehen soll, soll laut Koalitionsabkommen noch eine Erhöhung um 0,9 Prozent kommen, was noch einmal 18,64 Euro ausmachte und möglicherweise auf Kosten der Unternehmen gehen soll. Dadurch würde der Bruttomindestlohn insgesamt um 40,97 oder 41,17 Euro brutto steigen, der Rest müsste dann netto aus der Staatskasse zugeschossen werden.

Derzeit erhalten rund 60 000 Beschäftigte den sozialen Mindestlohn, etwa 10 000 von ihnen arbeiten Teilzeit. Die meisten von ihnen sind im Handel, im Hotel- und Gaststättengewerbe beschäftigt und wohnen im Kanton Esch-Alzette. Um eine Netto-Erhöhung auf 100 Euro zu erreichen, müsste der Eingangssteuersatz heraufgesetzt und die Steuertabelle entsprechend geändert werden. Wobei viele Mindestlohnbezieher, insbesondere mit Familien, keine oder kaum Steuern bezahlen, so dass sie die entsprechende Differenz als Negativsteuer erhalten müssten.

Weil das Finanzministerium nicht in der Lage ist, eine entsprechende Gesetzesänderung noch dieses Monat durch das Parlament zu bringen, soll sie so schnell wie möglich Anfang nächsten Jahres vorgenommen und rückwirkend auf den 1. Januar ausgezahlt werden. Daneben sollen auch die an die Einkommenshöhe gebundenen Sozialleistungen angepasst werden.

Romain Hilgert
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