Die jährlich vorgestellte Umsatzbilanz des Groupement pétrolier hatte in den letzten Jahren etwas Gewohntes an sich. Die Kerosin-Verkäufe gingen durch den gesteigerten Flugbetrieb am Findel kontinuierlich in die Höhe. Der Umsatz an den Tankstellen dagegen konnte, wenn auch nicht den Tankstellenbetreibern, so doch der mit Klimaschutzzielen geplagten Luxemburger Regierung Entlastung verschaffen. Seit 2012 gingen die Spritverkäufe gemächlich zurück, und man konnte gar hoffen, die EU-Vorgabe noch einzuhalten und die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 um 20 Prozent gegenüber 2005 zu senken.
Ob das nun noch möglich ist, ist höchst fraglich. Letztes Jahr gingen die Verkäufe an Benzin und Diesel nämlich wieder um 3,6 Prozent in die Höhe. Das Groupement pétrolier führt diese Trendwende nichtssagend auf eine „gute Konjunktur“ zurück. Die Ursachenforschung scheint eher in den Hintergrund zu treten. Dabei ist es offensichtlich, weshalb die Verkäufe von Diesel und Benzin zunehmen.
Der Zuwachs um 4,1 Prozent bei Benzin ist leicht zu begründen. Bedingt durch den Dieselskandal haben viele Autofahrer auf Benzinmodelle umgesattelt. Ihr Anteil an den PKW-Zulassungen stieg stark an, während der Dieselanteil letztes Jahr hierzulande auf 53,9 Prozent sank, in Frankreich und Belgien auf 47,3 beziehungsweise 46,3 Prozent und in Deutschland gar auf 38,8 Prozent. Umso schwerer einsichtig ist auf den ersten Blick der Zuwachs um 3,5 Prozent oder 57 500 Tonnen bei den Dieselspritverkäufen, was fast der fünffachen Menge des Zuwachses bei Benzin entspricht. Wohl ist es der Schwerlastverkehr, auf den der Löwenanteil des Dieselumsatzes entfällt, doch kann hier die Trendwende von einer fallenden hin zu einer gesteigerten Nachfrage nur an veränderten Marktbedingungen festgemacht werden.
Und die sind rasch ausgemacht. Unseren beiden frankophonen Nachbarländer, die wie Luxemburg mit einem hohen Dieselflottenanteil im Fuhrpark und den daraus resultierenden Luftverschmutzungsproblemen geplagt sind, haben den Akzisenbonus auf Dieselkraftstoff schrittweise herabgesetzt, um ihn schließlich ganz abzuschaffen. An belgischen Tankstellen ist der Liter Diesel schon derzeit zwei Cent teurer als Benzin. Erreicht wurde das mit einem dieses Jahr bereits sechs Mal angewandten „Ratschensystem“ (système cliquet): Es sieht eine Erhöhung der Akzisen vor, falls der Marktpreis sinkt. Dabei wird der Preisrückgang bei sich verbilligender Marktlage begrenzt, so dass der Steueraufschlag nicht unmittelbar beim Verbraucher ankommt. In Frankreich ist Benzin zwar noch bis zu zehn Cent pro Liter teurer als Diesel, doch soll auch dort bis zur gänzlichen Steuerneutralität unter den Kraftstoffen jeden ersten Januar die Steuerschraube auf Diesel um einen Cent angezogen und bei Benzin um einen Cent gelockert werden.
Diese veränderte Marktlage vergrößert augenfällig die Anziehungskraft des Luxemburger Treibstoffexportgeschäfts und erfreut die hiesigen Tankstellenbetreiber wie den Finanzminister, der sich über zusätzliche Akziseneinnahmen freuen darf. Dass die höheren Verkaufszahlen diametral den Aussagen der so genannten Tanktourismusstudie widersprechen, wird billigend in Kauf genommen, zumal die Regierung angekündigt hat, in der Angelegenheit bis zum Ende der Legislaturperiode nichts mehr zu unternehmen. Die Attraktivität des in Luxemburg um 15 Cents pro Liter staatlich verbilligen Dieseltreibstoffs wird künftig sogar noch durch weitere, der Luftqualität geschuldete Steueranpassungen im Ausland gesteigert.
Dabei gibt es durchaus andere Systemblockaden im hiesigen Transport- und Umweltbereich. Gerade in Luxemburg mit seinem hohen Verkehrs- und Stauaufkommen verschläft man es, das zu lasche, nicht selektive Eurovignetten-Mautsystem für Lastkraftwagen durch geeignetere Systeme zu ersetzen. In Belgien dagegen wurde ein nach der Abgasnorm gestaffeltes System eingeführt, wodurch binnen eines Jahres der Anteil der viel saubereren Euro-VI-Lastwagen auf belgischen Autobahnen um fast 50 Prozent wuchs. In Deutschland wurde gerade die Mautpflicht auf das Bundesstraßennetz ausgedehnt, was deutliche Anreize auf Verkehrsverlagerungen setzt. Doch auch wenn in Luxemburg zurzeit die Maxime des „ökologischen Wachstums“ in aller Munde ist, so wird sich dennoch aus Rücksicht auf Nischensektoren wie Treibstoffexport und Schwerlastgewerbe nicht an maßgebliche Stellschrauben herangewagt.
So dürfen sich denn weiterhin nicht nur die Autofahrer der Nachbarregionen freuen über die hiesigen Spritpreise, auch wenn man in weiter entfernten Hauptstädten sich mit Gewissheit seine Gedanken macht, wie man fortan der Luxemburger Nischenpolitik begegnen sollte. Man sollte also nicht zu lange abwarten.