„Auch er teilte das Schicksal aller künstlerisch produktiven Luxemburger: immer ein wenig zu spät einzusetzen im europäischen Konzert und, von Haus aus mit dem Makel des Epigonentums behaftet, nicht das Letzte ihrer Befähigung zur Geltung bringen zu können.“
Auch wenn Emil Marx einen Nachruf schrieb, wie im Juli 1951 im Lëtzebuerger Journal auf Nik. Welter, scherte er sich weniger um die gesellschaftliche Konvention, Toten nicht schlecht nachzureden, als um die Wahrheit. So musste seine wichtigste Schaffenszeit der Augenblick der äußersten Gefahr werden, in den Dreißigerjahren, als er gegen den Faschismus, die fünfte Kolonne Hitler-Deutschlands, den militanten Klerikalismus und das Maulkorbgesetz mobilisierte, in Zeitungsartikeln, auf Versammlungen, durch die Unterstützung von politischen Flüchtlingen.
Emil Marx gehörte zu den Ersten hierzulande, welche die nahende Katastrophe erkannten und aufriefen, die Kultur zu retten. Schon 1935 warnte er in der Tribüne: „Der nächste Krieg wird nicht nur (wie jeder Krieg) eine blutige Auseinandersetzung zwischen kapitalistischen Fronten sein, er wird auch ein Entscheidungskampf zwischen Licht und Dunkel, zwischen (relativer) Freiheit und (absoluter) Barbarei.“
Emil Marx wurde 1899 in eine sozialistische Bauernfamilie in Sprinkingen nahe der Arbeiterstadt Differdingen geboren. In Zeiten des Expressionismus galt sein Interesse der Literatur. Er versuchte sich erfolglos als Schauspieler, arbeitete zuerst in einer Escher Apotheke und eröffnete dann zusammen mit seiner Frau Juli „Lili“ Kaufmann in der Hauptstadt eine Buchhandlung mit Leihbibliothek. Die Buchhandlung L. Marx wurde nicht nur ein Umschlagplatz für Bücher großer zeitgenössischer Autoren, wie Thomas Mann, Arthur Schnitzler und Bertolt Brecht, sondern bald auch eine Anlaufstelle für politische Flüchtlinge und Widerstandskämpfer, die unter Lebensgefahr Propagandamaterial herstellten und in Nazi-Deutschland einschleusten.
Dazwischen diskutierte Emil Marx in allerlei literarischen Zirkeln mit liberalen und linken Schriftstellern, von Batty Weber und Joseph-Emile Muller über Franz Clement und Henri Koch bis zu Pierre Biermann und Evy Friedrich, wurde Freimaurer und Freidenker, gab die kurzlebige Filmzeitschrift Hollywood heraus und füllte die Junge Welt mit kulturkritischen Betrachtungen. Dort brach er mit seinem Jugendfreund Albert Hoefler, dem er vorwarf, ein egozentrischer, weltfremder Ästhet in einer Zeit zu sein, da Literatur sich mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit auseinanderzusetzen habe.
Weil er eine Tribüne zum Schreiben brauchte und die Einnahmen der Buchhandlung zum Leben nicht ausreichten, wurde Emil Marx 1932 unter Hubert Clement Redakteur des Tageblatt und bald „zur unentbehrlichen Schlüsselfigur“ (S. 33), die auch für die Wochenillustrierte A-Z schrieb. Aber als er gemeinsam mit Sozialisten und Kommunisten das Maulkorbgesetz zu bekämpfen begann, warf ihm der Generalsekretär des Luxemburger Berg- und Metallindustriearbeiter-Verbands, Pierre Krier, im Proletarier „die Sabotage der gewerkschaftlichen Lohnaktion“ vor, was einem Todesurteil im Tageblatt gleichkam. In der Neuen Zeit, die ab 1936 für eine antifaschistische Einheitsfront warb, teite Emil Marx sich die Leitung mit Pierre Biermann (S. 43).
Obwohl die Gestapo die Buchhandlung Marx schon 1937 überwachte, blieb das Ehepaar nach dem deutschen Überfall bis 1941 in Luxemburg versteckt, ehe es sich ins freie Frankreich absetzen konnte. Nach dem Krieg fand Emil Marx zum Journalismus zurück, erst in den Cahiers luxembourgeois dann im satirischen Péckvillchen, schließlich, nicht ohne „Selbstzensur“ (S. 81), während des Kalten Kriegs, im Feuilleton des liberalen Lëtzebuerger Journal. Einige Beiträge erschienen im neu gegründeten Lëtzebuerger Land. Seinen Lebensunterhalt verdiente er ab 1952 endlich auskömmlich beim Schumanplang. Er starb 1963, einige Jahre zu früh, so Henri Wehenkel, um den gesellschaftlichen und kulturellen Aufbruch nach 1968 in Luxemburg noch zu erleben.
Der Historiker Henri Wehenkel bekam von Lili Marx den Nachlass von Emil Marx anvertraut, und diese Bücher, Artikel, Briefe und Fotos dienen als Grundlage des Buches, mit dem er Emil Marx dem Vergessen zu entreißen versucht. In seiner Serie von „Biographies luxembourgeoises“ im Lëtzebuerger Land zeigt er, dass Helden ihn misstrauisch machen, sein Interesse den widersprüchlichen Figuren gilt, die unter dem Druck der Verhältnisse manchmal über sich hinauswachsen, aber oft auch scheitern. Auf den ersten Blick tut er sich schwer, Emil Marx politisch einzuordnen, aber in Wirklichkeit soll es wohl eine Reverenz sein: „ein Liberaler, der nichts mit Kapitalismus und Wirtschaftsliberalismus zu tun haben wollte, und der einen radikalen Bruch mit der bestehenden Gesellschaft anstrebte, ein kommunistischer Liberaler also oder ein liberaler Kommunist, in anderen Worten ein Sozialist, aber ein wahrer Sozialist“ (S. 26).
Emil Marx war ein linksliberaler Literat, der sich unter dem Druck der Zwischenkriegszeit und vielleicht unter dem Einfluss seiner Frau nach links bewegte. Emil Marx war kein Marxist, die Weltwirtschaftskrise, die soziale Lage der Arbeiter scheinen ihn wenig interessiert zu haben. Henri Wehenkel nutzt Marx’ Lebensweg, um ein politisches Porträt der Zwischenkriegszeit in Luxemburg zu skizzieren. Er beschreibt fast nostalgisch die liberalen, sozialistischen, kommunistischen und freischwebenden Lehrer, Schriftsteller, Anwälte, Journalisten und Politiker, die in Vereinen, auf Kundgebungen, in der Presse und am Stammtisch gemeinsam gegen das Maulkorbgesetz und das Hitlertum kämpften. So kann sein Buch angesichts der Bedrohungen der Gegenwart auch als Appell zu einer neuen Linksfront gelesen werden, und Emil Marx erscheint doch noch als ihr Held.
Die Hälfte des Buchs nimmt der fotomechanische Abdruck von Artikeln aus Emil Marx’ Nachlass ein. Zu den besten Texten gehören die Porträts von Politikern und Intellektuellen aus dem Péckvillchen. Sie zeigen das wahre Talent des Schriftstellers Emil Marx, sie allein machen die Geschichte des Buchhändlers, Journalisten und Schriftstellers schon lesenswert.