Zwischen 1958 und 1962 befindet sich der Kalte Krieg in seiner „heißen Phase“, eingeläutet durch das 1957 etablierte „Gleichgewicht des Schreckens“. Die USA und die UdSSR waren durch die erfolgreiche sowjetische Sputnik-Mission zu ebenbürtigen Gegnern geworden, die einander jederzeit mit einem Atomschlag ausschalten konnten.
In diesen vier Jahren wurde die Politik der „friedlichen Koexistenz“ immer wieder auf harte Proben gestellt – beginnend mit Nikita Chruschtschows Berlin-Ultimatum im November 1958, in dem er die westlichen Besatzungsmächte Berlins aufforderte, die Stadt binnen sechs Monaten zu verlassen, über den U2-Vorfall im Mai 1960, John F. Kennedys gescheiterte Invasion in der Schweinebucht an der Küste Kubas im April 1961, den Berliner Mauerbau im August desselben Jahres, bis hin zur Kuba-Krise 1962.
Während diese bewegte Zeitspan-ne weltweit Wissenschaftlerinteresse weckte, stellt sie für Luxemburg ein weitgehend brachliegendes Forschungsfeld dar. Eine Untersuchung der durch die wachsende Drohung eines Atomkrieges hervorgerufenen Ängste und Reaktionen im Groß-herzogtum scheint jedoch durchaus lohnend. Welche Stellung nahm die Regierung eines europäischen Kleinstaats wie Luxemburg, als Mitglied der 1957 zur friedlichen Nutzung der Atomkraft gegründeten Euratom, in der Debatte um das internationale nukleare Wettrüsten ein? Gelang ihr der Balanceakt zwischen Osten und Westen, um die Neutralität des Großherzogtums weiter gewährleisten zu können? Traf sie ihre Entscheidungen vollkommen unabhängig, oder unterlagen diese größeren politischen Zusammenhängen?
In diesen vier Jahren der ständigen atomaren Bedrohung kristallisiert sich aus den Entscheidungen der Luxemburger Regierung ganz klar eine Tendenz zum Eigenschutz des Landes heraus. Diese Tendenz äußerte sich anfangs in einer Politik des Erhalts freundschaftlicher Beziehungen zu Washington und Moskau. In beiden Hauptstädten wurden die luxemburgischen Konsulate mit permanenten Botschaftern besetzt. Es wurde sich einer Wertung der sowjetischen Politik enthalten. Gleichzeitig beschloss die Regierung Frieden, einen ständigen Vertreter in die UN-Vollversammlung zur Unterstützung der Westmächte gegen den wachsenden Einfluss der stark von der UdSSR umworbenen afroasiatischen Länder zu entsenden.
Als Mitglied der Nato, die den Bündnispartnern militärische Unterstützung garantierte, bekundete die 1959 gebildete Regierung Werner dieser ihre Loyalität mit der Verschiebung der versprochenen Reform zur Kürzung der obligatorischen Wehrdienstzeit und der Anhebung des Militärhaushalts zur Mitfinanzierung des Nordatlantischen Pakts. Auf diese Weise sicherte sie sich die Verteidigung des Großherzogtums durch die Nato-Staaten im Falle eines sowjetischen Angriffs. In gleichem Sinn ist ihre Unterstützung De Gaulles in dessen Bestreben, Frankreich zur vierten Atommacht neben den USA, der UdSSR und Großbritannien, zu machen, zu verstehen.
Dieses Vorgehen erweckte das Misstrauen einiger Parlamentarier, allen voran das der Vertreter der Kommunistischen Partei in der Abgeordnetenkammer. Diese warfen der Regierung vor, die von Chruschtschow mit dem Anfang 1960 erneut ausgesprochenem Atommoratorium wiederaufgenommene Politik der „friedlichen Koexistenz“ zu gefährden und mit der Unterstützung der Nato und in Übereinstimmung mit Belgien und den Niederlanden die Aufrüstung des gefürchteten Westdeutschlands zu finanzieren.
Tatsächlich bewahrheitet sich in dieser Periode Gilbert Trauschs These, wonach die Benelux nicht auf dem Gebiet der ursprünglich vorgesehenen ökonomischen Integration, sondern vor allem auf politischer Ebene ein Erfolg war. Sind die Hinweise auf eine gemeinsam verfolgte politische Linie der Benelux in der Anfangsphase der untersuchten Periode noch spärlich, so verdichten sie sich ab 1960.
Als etwa im November 1961 in der UN-Vollversammlung eine Resolu[-]tion zur Aussetzung der nukle[-]-aren und thermonuklearen Experimente zur Abstimmung kam, votierte Luxem[-][-]burg in Absprache mit den beiden anderen Benelux-Regierungen dagegen. Während Letztere sich wegen möglicher Inter[-]essenkonflikte mit afroasiatischen Bündnispartnern enthielten, entsprach die luxemburgische Abstimmung dem Wunsch der USA und Großbritanniens: Zumindest einer der Benelux-Staaten sollte sich den Nato-Mächten einordnen.
Auch auf die von Fidel Castro und Osvaldo Dorticos Torrado an die europäischen Regierungen gerichtete Bitte um eine Stellungnahme zur US-amerikanischen Invasion in der Schweinebucht im April 1961 behielt sich der damalige Außenminister Eugène Schaus eine Antwort unter der Bedingung vor, sich erst mit der belgischen und der niederländischen Regierung beraten zu müssen. Die damals eingeschlagene politische Richtung der Luxemburger Regierung bestätigt in diesem Sinn auch Mario Hirschs Theorie, nach der „die internationale Existenz des Kleinstaates durch seinen Willen, sich in größere ökonomische und politische Räume einbinden zu lassen, bestimmt ist“.
Auch als John F. Kennedy 1961 zum Präsidenten der USA gewählt wurde und neue Hoffnung auf Frieden aufkeimte, befürwortete die Luxemburger Regierung weiterhin das atomare Aufrüsten der Westmächte. Erst die Kuba-Krise und die knappe Verhinderung eines Nuklearkriegs ließ sie ihre Meinung ändern. Als im Januar 1963 eine UN-Resolution zur Einstellung der nuklearen Experimente und zur kompletten Abrüstung zur Abstimmung kam, stimmten sowohl Luxemburg wie auch Belgien und die Niederlande, dem Beispiel der USA folgend, dafür.
Änderte sich die Einstellung der Regierung gegenüber Kernwaffen und Nuklearexperimenten im Laufe des untersuchten Zeitraums also eindeutig, so ließ sie sich in ihren Entscheidungen konsequent, trotz Teilverlust ihrer Souveränität und Neutralität, vom Bemühen um die natio-nale Sicherheit leiten.