„Habt ihr denn keine Augen, um zu sehen, und keine Ohren, um zu hören?“ Jesus von Nazareth Evangelium des Markus 8,18
1. Zwei Tabu-Worte gibt es im politischen Leben Luxemburgs: „CSV-Staat“ und „Republik“. In der Abgeordneten1-Kammer und in der Presse geht manchmal die Rede vom „CSV-Staat“, jedoch ohne tiefer gehenden Wellenschlag. Die „Republik“ ihrerseits ist eine Kuriosität, die seit jeher an den Grenzen unseres Landes so Halt macht, dass seit rund hundert[!] Jahren keine luxemburgische republikanische Partei besteht. Jedoch sind dies zentrale, eng miteinander verknüpfte Begriffe, die das Leben in Luxemburg in die Tiefe hinein organisieren, sich zugleich aber einer „klassisch“-isoliert oder „modern“-interdisziplinär vorgehenden Wissenschaftlichkeit entziehen – handelt es sich doch um vor allem weltanschauliche, ja theologisch-philosophische Begriffe, die als solche gerade einer beschreibend-verstehend vorgehenden phänomenologisch-hermeneutischen Philosophie zugänglich sind. Um ein Begehren zu erfüllen: „Insgesamt wünschte sich der Premier2 mehr Tiefgang in der aktuellen Berichterstattung3“, sei hiermit sine ira et studio ein erster Aufriss des CSV-Staates versucht, um unter Umständen dazu beizutragen „de ‚démythifier’ certains pans de notre historiographie4“, wobei das mit diesem „Bericht“ Angestoßene an der Université du Luxembourg weiter vertieft werden könnte. 2. Allein aus der christlichen Theologie und der augustinischen Philosophie heraus lässt sich das Rüstzeug rekonstruieren, das dem CSV-Staat die innere Antriebskraft liefert, um als äußerlich greifbares Gebilde seit 1848 in einem Lande zu gedeihen, dessen Bürger aus oft in Geschichtlichem wurzelnden Gründen die materielle Sicherheit der unternehmerischen Freiheit vorziehen. Klar wird bei diesem Unternehmen vor allem, dass für diesen „Bericht“ mehrere Thesen aufzustellen waren. Erste These: „Den CSV-Staat gibt es wirklich.“ Zweite These: „Der CSV-Staat geht zurück auf die Civitas Dei-Philosophie des Aurelius Augustinus.“ Dritte These: „Die Organisationsform des CSV-Staates ist ein Abbild der theologischen ‚Gerechtigkeits’-Philosophie des Augustinus.“ Vierte These: „Hauptziel des CSV-Staats ist das Verhindern der Republik in saecula saeculorum.“ Eine weitestgehende Kenntnis Luxemburgs ist stillschweigend vorausgesetzt, was erlaubt, die Anzahl der Quellen auf das Nötigste zu beschränken. Erste These 3. Erste These: „Den CSV-Staat gibt es wirklich.“ Nicht erst seit 1848 befindet sich die Kirche Luxemburgs voll im politisch-sozialen Kultur-Bürgerkrieg mit nicht-religiösen Kräften – Erzbischof Jean-Claude Hollerich „wies auf ‚zwei Stürme über Europa’ hin, in denen der Glaube offen bekämpft wurde, nämlich auf die Französische Revolution sowie auf den Naziterror.5“ Die Gründung einer Rechtspartei nimmt die Kirche aus der direkten Schusslinie dieser Kräfte. Sie kann sich dem Aufbau einer politisch-sozialen Struktur widmen, die vom Land auf die Städte, von Arm auf Reich zielt. Ab – grob gerechnet – 1900 bis ins dritte Jahrtausend hinein ist die Rechtspartei – seit 1945 CSV – zusammen mit der Kirche politisch-sozial tonangebend – mit drei Hauptunterbrechungen: 1919 eine eintägige Republik; 1940-1944 die Nazis; 1974-79 eine DP-LSAP Koalition. Die Politik der CSV-Partei und der Kirche ist darauf ausgerichtet, eine Republik und/oder eine Koalition ohne die CSV ad aeternum zu verhindern. Darum beansprucht die CSV in den Koalitionsverhandlungen ab initio stets die zentralen Posten, um so die Belange der Kirche schützen zu können. So ist es zum Beispiel möglich, dass 2011 ein mit Weltstaat-Steuerzahlergeldern besoldeter Erzbischof seinen Amtseid nicht auf die Weltstaat-Verfassung ablegt, sondern auf die in ihrem Schlußkapitel „Die Offenbarung des Johannes“ den kommenden Gottesstaat verkündende Bibel – unter dem wohlwollenden Blick des CSV-Staat-Justizministers ... Jedoch fungiert die staatstragende CSV-Partei nicht einfach nur blind als ancilla ecclesiae. Eher verlaufen die Dinge nach dem Motto: „Getrennt marschieren, vereint schlagen.“ Oberstes Leitprinzip für CSV-Staatspartei und Kirche im Welt-„Friedensbürgerkrieg“ zwischen Bürgerlichen und Christlichen: „An der Spitze der Macht entscheiden ‚für Wahrheit und Recht’ auf unbegrenzte Dauer.“ Die untereinander verfeindeten Bürgerlichen machen der CSV das Durchhalten leicht6 ... Zweite These 4. Zweite These: „Der CSV-Staat geht zurück auf die Civitas Dei-Philosophie des Aurelius Augustinus.7“ Die Päpste8 wie auch die Kirche Luxemburgs beziehen sich auf Augustinus’ Sicht der Weltgeschichte als Kampf zweier Staaten - des himmlische Gerechtigkeit erstrebenden organischen das heißt „natürlichen“, vom Gottmenschen Jesus ,Christus’ verkündeten und deshalb mit allen Mitteln zu verwirklichenden Gottesstaates, und des auf positivem Recht gründenden heidnisch-materialistischen Weltstaates, dem gerade deswegen diese Gerechtigkeit fehlt. Die Kirche selbst ist nicht bereits der Gottesstaat, da in ihr noch Gerechte und Ungerechte zusammenleben. Organisierendes Prinzip des Gottesstaates ist der amor Dei, das des Weltstaates der amor sui9. Trotz allen Widerstrebens ist der Weltstaat das Mittel, dessen sich die auf Erden in der Zeit pilgernden Erbauer des Gottesstaates bedienen müssen, um am Ende der Zeiten bei Gott im irdisch-himmlischen Gottesstaat anzukommen. Da Augustinus kein Datum für dieses „siebente Weltalter“ angeben kann10, muss die Kirche dazu beitragen, den Gottesstaat bereits innerhalb des Weltstaates so realisieren zu helfen, dass das „uti“ („gebrauchen“) der Gaben der Schöpfung den Vorrang behält vor dem kurzsichtigen „frui“ („genießen“) dieser Gaben, weil nur so über alles Irdische hinaus das Göttliche als höchstes Ziel und Gut erstrebenswert bleibt: „In seiner Predigt unterstrich [Erzbischof] Jean-Claude Hollerich11: ‚... Geld allein mache nicht glücklich. Den Beweis dafür bringe eine internationale Studie, welche ergebe, dass gerade die Bewohner der ärmsten Länder auf der Welt am glücklichsten seien.’12“ Im Gottesstaat ist „Auferstehung des Fleisches zum ewigen Leben“ im gemeinsamen Frieden das Endziel jedes Einzellebens – dann wird „die Körpergröße so bemessen sein, wie es der dem Leben eines jeden eingepflanzten Idee vollendeter oder zu vollendender Jugendkraft entspricht, wobei die einzelnen Glieder in schicklichem Verhältnis zueinander stehen werden.13“ Dann besteht das vollkommene Glück für alle Lebenden und Toten in der ekstatischen Wiedervereinigung mit Gott, „den wir ohne Ende schauen, ohne Überdruss und Müdigkeit lieben werden und loben.14“ Dritte These 5. Dritte These: „Die Organisationsform des CSV-Staates ist ein Abbild der theologischen ‚Gerechtigkeits’-Philosophie des Augustinus.“ Der organisch-evolutionäre CSV-Staat, innerhalb dessen und zusammen mit welchem die Kirche in der Zeit auf den Gottesstaat hin „pilgert“, ist als zwar noch unvollkommener irdischer Gerechtigkeits- und Friedensstaat in allen seinen Teilen dennoch besser als der materialistisch-revolutionäre rein diesseitige Welt- oder „Teufels“-Staat15. Die Organisationsform des CSV-Staates zeigt sich folglich als neoplatonisch-plotinisch perfekt-konzentrische Ringformation mit dem Staats- und Tresorminister16 als Zentrum – die Herrschaft über das Geld und dessen Verteilungsgewalt bildet den nervus rerum politicarum. Aus dieser zentralen Position heraus sind die Belange der Kirche am besten gesichert, da alle Fäden der im weitesten Sinne politisch-sozialen Macht direkt oder indirekt in den Händen des meist auf Jahrzehnte amtierenden Staatsministers zusammenlaufen und die Hauptposten der Staatsnomenklatura im erprobten Polit-Insider trading stets mit CSV-Treuesten und/oder deren Familienmitgliedern bevölkert sind. Zugleich ist der CSV-Staatsminister das Hauptglied einer den Großherzog und den Erzbischof mitumfassenden byzantinisch-mystischen Dreifaltigkeit. Die einzelnen Regierungsposten sind ihrerseits so um den Staatsminister herum aufgestellt, dass sie es der CSV aus einer Réduit national-Position heraus erlauben, eine in allen Belangen immer auch CSV-wichtige Politik zu betreiben, die sich im Endeffekt stimmenmäßig zugunsten der CSV auszahlen muss, während der momentane Koalitionspartner mit den politisch-sozial heikleren Ämtern beglückt wird, in welchen er aus dem jeweils parallel-geschalteten CSV-Ministerium nach dem Divide et impera-Prinzip beschossen, kurzgeschlossen oder gar ausgehebelt werden kann. So sind laut Editus 2012 zum Beispiel vier Minister zuständig für das Außenministerium – laut Mt 10,34 beinhaltet Jesu „Liebesgebot“ manchmal eben auch heißere „Liebes“-Bezeugungen: „Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ Vierte These 6. Vierte These: „Hauptziel des CSV-Staats ist das Verhindern der Teufelsstaat-Republik in saecula saeculorum.“ Der CSV-Staat hat Anerkennenswertes und sozial Bedeutendes vollbracht und vollbringt es weiter, jedoch zu einem oft hohen (versteckten) Preis und oft in untransparenter Dunkelster-Dunkelkammer-Politik. Um das alles Übrige überragende Gesamtziel in den Köpfen der CSV-Parteigenossen festzumachen, werden anläßlich der Rentrée parlementaire im Herbst jeden Jahres CSV-Minister und CSV-Parlamentarier von seiten der Kirche einer kollektiven „Firmung“ in Form einer gemeinsamen Messe unterzogen zum Aufweisen des politisch-sozialen Gerechtigkeits-„Weges“, auf dem die nicht nur ideologisch vorangehende Kirche seit 2000 Jahren „auf Erden pilgert17“. Alle Regierungsentscheidungen werden mittels des Koalitionszwangs getroffen sowohl sub specie quotidiani als auch sub specie aeterni. Damit die National-Wahlen der CSV keine Überraschungen, sprich: Sitzverluste, bescheren, besteht Wahlzwang in den vier Wahlbezirken18, mit ungleicher, die Wahlresultate verzerrender Stimmenverteilung: „Pour que les régions moins peuplées aient aussi une chance d'être représentées à la Chambre.19“ Das Entstehen weiterer Parteien erlaubt der CSV eine willkommene Schwächung der schon bestehenden Weltstaat-Parteien – die CSV darf nie auf die Sitzzahl der anderen Parteien herabsinken und so austauschbar werden. 7. Generell lässt die CSV-Staat-Politik sich beschreiben als „De sechere [Piljer]-Wee“: eng an Wählererwartungen orientiert, sie vorausahnend, ja zurechtbiegend. Die Luxemburger selbst bilden halt des CSV-Staates verlässlichsten Schutzschild – bis „Der Riese CSV wankt, ein bisschen nur, aber immerhin20“. Was tut einen „Riesen“ „wanken“?Jean-Luc Karleskind
Kategorien: Zeitgeschichte
Ausgabe: 17.08.2012