Zwei Wochen stand Lady Rosa of Luxembourg, die verfremdete Replik des Legionärsdenkmals und seiner Gëlle Fra genannten goldenen Siegesgöttin, hoch über dem malerischen Petrus-Tal. Da veröffentlichte Lex Roth einen langen offenen Brief an die „Autoritäten von Staat und Stadt“. Darin beschimpfte er die Künstlerin Sanja Ivekovic und ihr Werk in den schillerndsten und deftigsten Ausdrücken der in dieser Hinsicht alles andere denn armen Luxemburger Sprache.
Der damals 68-jährige ehemalige Lehrer Roth war schließlich der bekannteste Sprachreiniger des Großherzogtums. Seit mehr als 30 Jahren hatte er für die Anerkennung des Luxemburgischen als Nationalsprache und gegen die Überfremdung des luxemburgischen Wortschatzes gekämpft. Mit einer nationalistischen, nach einer Widerstandsbewegung des Zweiten Weltkriegs benannten Splitterliste hatte er einige Jahre zuvor erfolglos bei den Parlamentswahlen kandidiert. Seinen Brief hatte er aber als Vorsitzender des Ausschusses unterzeichnet, der 15 Jahre zuvor mit einer nationalen Spendensammlung den Wiederaufbau der Gëlle Fra finanziert hatte.
Denn wenige Monate nachdem sie das neutrale Luxemburg 1940 überfallen hatten, um eine faschistische Diktatur zu errichten und den Kleinstaat an ihrer Westgrenze zu annektieren, hatten die deutschen Besatzer die goldene Siegesgöttin mit einer Dampfwalze von ihrem Sockel gestürzt. Sie war 1923 zu Ehren der Luxemburger Freiwilligen errichtet worden, die während des Ersten Weltkriegs in den französischen Reihen gegen Deutschland gekämpft hatten. Jahrzehntelang stand bloß der Sockel des Monuments, und erst im Zuge des europaweit aufflammenden Na-tionalismus in den Achtzigerjahren sollte die Skulptur in ihrer ursprünglichen Form wieder aufgebaut werden. So sollte sie irgendwie zu einem weiteren Denkmal aller Widerstandskämpfer, Kriegsopfer und Patrioten werden, die an Feiertagen mit Fahnen, Baskenmützen und Orden zu ihren Füßen paradierten.
Anderthalb Wochen nach Lex Roths und einigen anderen Leserbriefen befahl André Heiderscheid gleich in der Überschrift seines Leitartikels im Luxemburger Wort: „Schafft den Unfug weg!“ Denn „die Verhohnepipelung des ‚Monuments du Souvenir‘“ durch eine schwangere Replik der goldenen Siegesgöttin, Sanja Ivekovics Lady Rosa of Luxembourg, „grenzt an ein Sakrileg“.
Der damals 75-jährige Domprobst Heiderscheid war jahrzehntelang Chefredakteur und Direktor des Luxemburger Worts, der auflagenstärksten, sich im Besitz des Erzbistums befindlichen Tageszeitung Luxemburgs. In den eigenen Reihen war der politisch einflussreiche und als autoritär geltende Geistliche gefürchtet. Liberale und linke Kreise sahen in ihm den Fortschritt und Aufklärung gnadenlos bekämpfenden Kleriker.
Dabei war auch André Heiderscheids Leben voller Widersprüche. Anders als Roth, der während des Kriegs ein Kind war, war Heiderscheid 18 Jahre alt, als die Besatzer ihn zwangen, in den Reihen der deutschen Wehrmacht zu kämpfen. Eine Woche, nachdem die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz befreit hatte, musste er in der Nazi-Uniform gegen die Befreier kämpfen. Er wurde schließlich von Widerstandskämpfern festgenommen und als einer von Hitlers Soldaten der Roten Armee übergeben. Den Rest seines Lebens kämpfe der Priester weiter gegen die Rote Armee und die Rote Gefahr und für die öffentliche Anerkennung der Zwangsrekrutierten als Kriegsopfer.
Der Zweite Weltkrieg hatte der Luxemburger Gesellschaft eine Wunde versetzt, die Generationen brauchte, um zu verheilen. Denn 791 Widerstandskämpfer waren hingerichtet worden oder in Konzentra-tionslagern gestorben. 71 Prozent der Juden in Luxemburg waren ermordet worden. 2 848 der in die Wehrmacht zwangsrekrutierten Männer kamen ums Leben. Im Norden des Landes war jedes dritte Gebäude zerstört worden, rund 600 Zivilisten waren durch Kriegshandlungen umgekommen. Folglich spielten die Widerstandskämpfer, Kriegsversehrten, ehemaligen KZ-Gefangenen, Wehrmacht-Deserteure, Umgesiedelten, Zwangsrekrutierten und Kriegswaisen sowie ihre Vereine und Verbände eine wichtige Rolle nach der Befreiung.
Im Zuge der politischen Restaura-tion hatten die Regierungen von Anfang an jene Verbände, die für einen konservativen Patriotismus, treu zu Thorn und Altar, standen, auf Kosten jener gefördert, die für die demokratische und soziale Befreiung gekämpft hatten. Die meisten der Dutzenden von Vereinigungen beschränkten sich rasch auf Forderungen nach nationaler Anerkennung und materieller Entschädigung durch den Luxemburger Staat und die Bundesrepublik Deutschland, um die sie oft jahrzehntlang stritten.
Bemächtigung
Als im Frühjahr 2001 in Sichtweite des patriotischen Denkmals Gëlle Fra schließlich die Replik Lady Rosa of Luxembourg auf ihr Denkmal gehievt wurde, steckten die Veteranenverbände längst in der Krise. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende war die Mehrheit ihrer Mitglieder gestorben, die verbliebenen Aktiven waren Greise, manche Vereinigungen wurden bereits von den Nachfahren und Erben geleitet. Sie hatten wiederholt mit jüngeren Historikern und deutschen Revisionisten um die Deutungshoheit über die Zeit des Zweiten Weltkriegs gekämpft.
Doch nun schien erstmals mit dem Segen von Staat und Stadtverwaltung, mit Steuergeldern finanziert und im Herzen der Hauptstadt, also ganz offiziell und von Amtswegen, ihnen die Kontrolle über alles Gedenken von Opfer, Leiden, Heldentum und Patriotismus sowie seine Rituale und Symbole entrissen zu werden. Ihre Gegner warfen den Kriegsveteranen vor, dass sie die Formensprache der zeitgenössischen Kunst nicht beherrschten. Aber nicht was die Künstlerin mit ihrer Verfremdung ausdrücken wollte, dass im Krieg auch die Körper der Frauen ein Schlachtfeld der Männer sind, war ihnen wichtig, sondern dass sich jemand ihres Erinnern und Gedenken bemächtigte, um es zu verfremden.
Als Reaktion auf die ersten Proteste gegen Lady Rosa bemühte sich einer der Kuratoren, der künstlerische Direktor des Casino Luxembourg – Forum für zeitgenössische Kunst, Enrico Lunghi, am 9. April in einem an die gesamte Presse verschickten Kommentar, gegenzusteuern. Er erklärte die für ihn offensichtliche Symbolik des Werks: Der Siegesallegorie des Originaldenkmals habe die Künstlerin eine Frau entgegengesetzt, die bereit sei, Leben zu spenden und dafür zu leiden. Menschlichkeit erlange sie zudem dadurch, dass die Künstlerin ihr einen Namen gegeben habe, in Anlehnung an die ermordete Revolu-tionärin Rosa Luxemburg.
Enrico Lunghi, Sohn italienischer Einwanderer, war nach seinem Stu-dium der Kunstgeschichte Mitarbeiter des damals stellenweise noch an ein Kuriositätenkabinett erinnernden Nationalmuseums für Kunst und Geschichte, eher er beauftragt wurde, in einem ehemaligen Bürgerkasino Ausstellungsräume für zeitgenössische Kunst zu schaffen. Anfangs war das Casino als Provisorium gedacht, um 1995, als Luxemburg europäische Kulturhauptstadt war, das einheimische Publikum vorsichtig mit der zeitgenössischen Kunst vertraut zu machen. Danach blieb es unter prekären Bedingungen als Kunsthalle bestehen, an deren Spitze Lunghi wiederholt die künstlerische Freiheit gegen Unverständnis, Anfeindungen und Zensurversuche verteidigte und Luxemburg in Verbindung mit der zeitgenössischen Kunst des Auslands setzte.
Aber Befürworter und Gegner sprachen zwei verschiedene Sprachen. Zwischen Feminismus und Tradition, Heimatverbundenheit und Weltoffenheit, Kunstsinn und Kriegsleiden schienen nur Missverständnisse möglich zu sein. Lex Roth war empört darüber, dass die Aufschrift „Hure“ wohl einer Bekannten des Bildhauers gelte, die in den Zwanzigerjahren Modell für die Siegesgöttin gestanden habe. Aimé Knepper, Präsident der Amicale Albert Ungeheuer von ehemaligen Widerstandskämpfern, die Wehrmachtdeserteure ins Ausland geschleust hatten, war entsetzt, dass die Aufschrift „Kitsch“ wohl auf das Originaldenkmal zu Ehren der Freiwilligen des Ersten Weltkriegs ziele.
Im Abstand von jeweils wenigen Tagen begann das Luxemburger Wort Dutzende empörte Leserbriefe gegen Lady Rosa abzudrucken. Die Briefe erinnerten noch einmal an die Brutalität der Besatzer während des Zweiten Weltkriegs, um zu beweisen, dass nationale Symbole heilig sein müssten. Die Autoren, viele im Rentenalter, bestritten den Kunstcharakter des Werks und warfen dem Kulturministerium sowie der Stadtverwaltung vor, eine Respektlosigkeit gegenüber den Toten der Heimat zuzulassen und zu finanzieren.
Rasch folgten die ersten Presseerklärungen von Veteranenverbänden. Der Nationalrat des Widerstands verlangte den sofortigen Abriss des Werks. Die Liga der politischen Gefangenen und Deportierten beschwerte sich in einer von ihrem Nationalkongress verabschiedeten Erklärung darüber, dass ausgerechnet eine ausländische Künstlerin die na-tionalen Gefühle der Luxemburger verletze. Auch die Amicale Albert Ungeheuer wunderte sich, dass das Werk von einer Kroatin stamme und vom Kulturministerium der Republik Kroatien bezuschusst worden sei. Es stelle zudem eine niederträchtige und grobe Abwertung der Frauen dar, die schließlich Frieden, Freiheit und Leben versinnbildlichten.
Dass der rechte Flügel der Konservativen und das dort verortete Luxemburger Wort das Andenken der Kriegsveteranen zu ihrem Anliegen machte, trug entscheidend zur Klärung der Fronten bei. Denn anfangs hatte es eine gewisse Verunsicherung gegeben: Ist das Gedenken an Besatzung und Widerstand rechte Traditionspflege oder linker Antifaschismus? Ist Kunst wichtiger oder politischer als Patriotismus? Das sozialdemokratische Tageblatt und das linksliberale Soziokulturelle Radio hatten Lady Rosa zunächst als Provokation und Geschmacklosigkeit beschimpft, ehe sie sich kurz danach zu vehementen Verfechtern wandelten.
Und in einer ersten Kritik der Ausstellung, zu der das Werk gehörte, hatte das Luxemburger Wort bloß beiläufig bemängelt, dass Sanja Ivekovic es an Respekt vor den nationalen Werten eines Landes fehlen lasse, und ironisch vorgeschlagen, Christo sollte die Skulptur verhüllen.
Doch mit dem kleinen Luxemburger Nationalstaat war in der Mitte des 19. Jahrhunderts auch der Kulturkampf geboren worden. Sein Frontverlauf zieht sich seither quer durch die Gesellschaft und die Politik, und bei jedem Aufflackern der Kampfhandlungen weiß jeder mit traumwandlerischer Sicherheit, in welchem Lager er sich einzureihen hat: dem der Gleichgesinnten. Der Streit zwischen Klerikalen und Antiklerikalen, Aufklärung und Obskurantismus, Konservativen und Liberalen, Fortschritt und Tradition, Pfaffen und Pfaffenfressern, scheint tiefer als fast alle anderen gesellschaftlichen Widersprüche zu sitzen.
Zum Fortbestand dieses Anachronismus trägt bei, dass das Land seit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts am Ende des Ersten Weltkriegs fast ohne Unterbrechung bis heute von der Rechten regiert wird, aber die Gesellschaft längst nicht so konservativ und religiös wie ihre Regierungspartei ist. Denn der Ausländeranteil an der Bevölkerung ist einer der höchsten der Welt, ohne dass es zu nennenswerten Konflikten kommt; Luxemburg gab sich als eines der ersten Länder der Welt ein Gesetz, das die Euthanasie erlaubt.
Am 10. April 2001 ging im Parlament eine parlamentarische Anfrage des christlich-sozialen Abgeordneten Fred Sunnen an seine Parteikollegin, Kulturministerin Erna Hennicot-Schoepges, ein, in der er sie bat, dafür zu sorgen, dass Lady Rosa so schnell wie möglich demontiert werde. Zehn Tage später antwortete die Ministerin: die anstößigen Aufschriften, wie „Hure“ und „Kitsch“, bezögen sich nicht auf das Originaldenkmal, sondern auf das Kunstwerk. Hennicot-Schoepges nahm die Künstlerin vor den Vorwürfen der Respektlosigkeit in Schutz, denn ihre Mutter sei selbst Widerstandskämpferin und KZ-Gefangene gewesen, sie selbst habe den Jugoslawienkrieg miterlebt. Zwischen Klammern merkte die Ministerin beiläufig an, dass das Werk „bis zum 3. Juni stehen bleiben soll“. Sie hatte dem Druck aus ihrem eigenen politischen Lager nicht nachgegeben, obwohl sich ihre Regierungskollegen, die mitorganisierende Stadtverwaltung und fast alle Politiker äußerst diskret verhielten.
Die ehemalige Klavierlehrerin und Rundfunkansagerin Erna Hennicot-Schoepges war die erste Frau an der Spitze der lange ein sehr konservatives Frauen- und Familienbild verbreitenden christlich-sozialen Partei. Sie war die erste Kulturministerin der Rechten, die selbst in liberalen und linken Künstler- und Intellektuellenkreisen auf fast uneingeschränkte Anerkennung stieß. Denn die tiefgläubige Katholikin war eine resolute Verfechterin künstlerischer Freiheit und in Zeiten der wirtschaftlichen Hochkonjunktur verfügte sie über nie dagewesene finanzielle Mittel, um Künstler und Institutionen zu bezuschussen.
Mit der Entscheidung der Kulturministerin war der Streit entschieden. Die Kontrahenten hatten nur das Ende der Ausstellung und die Demontage des Werks abzuwarten. Die Befürworter der Lady Rosa waren zufrieden. Die Kulturministerin empfing die eher gemäßigt erscheinende Vereinigung ehemaliger Soldaten des Zweiten Weltkriegs und des Korea-kriegs. Sie weigerte sich zwar weiterhin, die Skulptur vorzeitig abtragen zu lassen, kam aber der Bitte der Vereinigung nach, die Prozedur einzuleiten, damit das Originaldenkmal der Gëlle Fra zum nationalen Mahnmal erklärt werde. Eine Woche später leitete der Regierungsrat die entsprechende Prozedur dann ein.
Doch die radikalsten Gegner von Lady Rosa wollten nicht abwarten, sondern wurden immer ungeduldiger. Am 27. April gründeten sechs Männer und eine Frau, vor allem Widerstandskämpfer des Zweiten Weltkriegs, ein provisorisches Koordinationskomitee „Nein zur Gëlle Fra 2“, das vor allem Unterschriften „gegen die skandalöse Kopie der Gëlle Fra“ sammelte. Zum Jahrestag des deutschen Überfalls schrieb das Komitee an den ebenfalls recht diskreten christlich-sozialen Premierminister Jean-Claude Juncker und forderte ihn auf, eine öffentliche Erklärung abzugeben, weil der Bürgerfriede im Land in Gefahr sei. Dann berief das Komitee eine Pressekonferenz ein. Sprecher war Georges Als, ein sehr konservativer ehemaliger Direktor des statistischen Amts und Sohn des nach dem Krieg für die Entnazifizierung zuständigen Ministers. Er kündigte an, dass ein Ex-Legionär vor dem Verwaltungsgericht gegen die Errichtung des Werks klagen werde, weil es gegen das Urheberrechts- und das Gesetz über öffentliche Ausschreibungen verstoße.
Unter dem Eindruck dieser Eskalation mobilisierte auch die Gegenseite. Mitarbeiter des Casino – Forum für zeitgenössische Kunst verbreiteten einen Aufruf, um gegen die Virulenz der Angriffe auf das Werk und gegen die Aufrufe zur Zensur zu protestieren. Anfang Mai hatten ihn mehrere hundert Künstler, Schriftsteller, Journalisten und nun auch linke Politiker unterzeichnet. So wie das rechte Luxemburger Wort Seiten gegen Lady Rosa füllte, druckten linke Zeitungen die Namensliste ganzseitig ab. Ein halbes Dutzend Frauensektionen linker Parteien und Frauenhilfsorganisationen versuchten in einer langen gemeinsamen Stellungnahme den feministischen Charakter des Kunstwerks zu erklären und verlangten „differenzierte Diskussionen“.
Am 20. Mai organsierte der Verband von acht Frauenvereinen Lidia vor dem Werk eine Protestkundgebung in Anwesenheit der Künstlerin. Lidia-Sprecherin Nicole Lorentz hatte sich mit einem goldfarbenen Pullover, einem improvisierten Rock und einem Lorbeerkranz als Gëlle Fra verkleidet, um darüber zu klagen, dass Frauen an entscheidenden Stellen der Luxemburger Gesellschaft ungenügend vertreten seien. Und sie lobte Rudy Lutty, den Präsidenten der Vereinigung ehemaliger Soldaten des Zweiten Weltkriegs und des Koreakriegs, dafür, dass er einen versöhnlichen Ton angeschlagen und Sanja Ivekovic sogar eingeladen habe, ein Denkmal für die Widerstandskämpfer zu entwerfen.
Die Studienrätin Nicole Lorentz kämpfte seit Jahren mit beachtlicher Energie an allen Fronten, für Straßenkinder in Brasilien, Burka-Trägerinnen in Afghanistan und als Gründungsmitglied von Attac Luxemburg. Vor allem setzte die kämpferische Feministin sich aber für die Gleichstellung der Frauen in Luxemburg ein, sei es als Sekretärin des Dachverbands Lidia oder im Vorstand des Vereins Femmes en détresse, der misshandelten Frauen Unterkunft gewährt.
Nach der Kundgebung fand in dem luxuriösen Auditorium einer Bank ein Streitgespräch zwischen der Künstlerin, einem Publikum von Toleranz verlangenden, jüngeren Befürwortern, aufgebrachten älteren Gegnern und der Kulturministerin statt. Sanja Ivekovic wiederholte, dass sie keine nationalen Gefühle verletzen, sondern auf die gesellschaftliche Lage der Frauen aufmerksam machen wolle.
Doch während ein aufgeregter Autor im liberalen Lëtzebuerger Journal seine Glossen mit „zum Bürgerkrieg um die Gëlle Fra“ überschrieb, schätzte dieselbe Zeitung an anderer Stelle, dass in Wirklichkeit „dem Volk die ganze Aufregung ziemlich egal ist“. War der Bilderstreit tatsächlich nur eine lautstarke Auseinandersetzung zwischen einigen vom Luxemburger Wort unterstützten konservativen Veteranen und einigen Feminist-innen und linksliberalen Intellek-tuellen?
Am 5. Juni wurde das Werk termingerecht demontiert. Drei Wochen später kam das Komitee gegen die „Gëlle Fra 2“ wieder zusammen. Es hatte 4 500 Unterschriften gesammelt, darunter diejenigen von 30 Vereinen von Widerstandskämpfern. Kaum jemand wusste, dass es noch so viele Vereine von Resistenzlern gab. Doch ihre Unterschriften waren zu nichts mehr nutze. Das Komitee war überflüssig geworden, niemand hatte auf seine Forderungen gehört. Deshalb verabschiedete es eine letzte Resolution, in der es den Rücktritt der Kulturministerin verlangte. Auch diese Forderung blieb folgenlos. Es war nicht mehr zu verheimlichen: Der politische Einfluss der Kriegsgenera-tion war zu Ende.
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