Er ist der Sohn persischer Einwanderer in Österreich. Als kleiner Junge stotterte er und war hyperaktiv. Als Jugendlicher brach er die Schule ab und hangelte sich dann von einem Job zum nächsten. Als Erwachsener gab er eine aussichtsreiche Karriere auf, um eine der coolsten Webseiten zu einem der langweiligsten Themen überhaupt zu entwickeln: Ali Mahlodji ist der Erfinder und „Chief-Storyteller“, wie er sich selbst nennt, von whatchado.com, einer der erfolgreichsten Online-Job-Börsen für junge Leute, die nicht wissen, was sie werden wollen.
Chef-Geschichtenerzähler ist kein Witz, denn das Erfolgsrezept der Video-Plattform, die mit vielen Preisen überhäuft wurde, ist, dass sie nicht als bürokratisches Monster mit tausenden Tabellen und Endlos-Formularen daherkommt, sondern dass sie Geschichten von Menschen wie Du und ich, sowie ihrem beruflichen Werdegang erzählt. Am Montag war der Erfinder im Athenäum in Luxemburg und hat sein Herzensprojekt vorgestellt. Der dynamische Ali Mahlodji will, so nennt er das, Berufsorientierung sexy und somit interessant machen für die, um die es eigentlich geht: die Jugendlichen.
Vielleicht nahmen die anwesenden Beamten aus Bildungs- und Arbeitsministerium ja anschließend die eine oder andere Idee mit. Denn die berufliche Orientierung ist seit Jahren, nein, Jahrzehnten der bildungspolitische Dauerbrenner, der neben dem Sprachenunterricht immer wieder Anlass zu Kontroversen – und ständig neuen Reformen – gibt. Und doch nicht so richtig vom Fleck kommt.
Das soll anders werden. Diese Woche veröffentlichte das Erziehungsministerium den versprochenen Referenzrahmen für die schulische und berufliche Orientierung. Auf 27 Seiten wird beschrieben, wie Schulen die Orientierung künftig stringenter organisieren sollen. Die Grundidee des Leitfadens: Künftig sollen Jugendliche nicht erst auf der 9e oder 10e über Traumjob und Berufswege informiert werden, sondern früher. Dafür sollen Lyzeen in einem Aktionsplan festhalten, was sie pro Jahrgang zur schulischen oder beruflichen Orientierung anbieten. Das können verschiedene inhaltliche Akzentsetzungen sein, wenn beispielsweise eine Schule mit Schwerpunkt Informationstechnologien Partnerschaften mit IT-Unternehmen eingeht. Eine Orientierungszelle, bestehend aus zwei Lehrern mindestens und einem Erzieher/Psychologen, soll die Angebote koordinieren. Der Orientierungslehrer, mit Kenntnissen im Coaching, der im Dschungel der Orientierungsangebote den Überblick behält, soll als Ansprechperson für Schüler und Eltern dienen. Ein Koordinator stellt die Verbindung mit der Maison de l’orientation her, die sämtliche Angebote zentral bündelt und koordiniert.
Das 2012 gegründete Haus der Orientierung an der hauptstädtischen Place de l’étoile geht zurück auf eine Idee der ehemaligen Bildungsministerin Mady Delvaux und der Berufskammern, die seit Jahren fordern, die Berufsorientierung besser zu vernetzen. Denn obwohl jedes Jahr etliche Lehrstellen nicht besetzt werden; an Beratungsangeboten fehlt es nicht: Ob Berufsinformationszentrum BIZ, Centre information jeunes, Service national de la Jeunesse, Centre de psychologie et d’orientation scolaires Cpos, Action locale pour jeunes, Cellule d’accueil scolaire pour élèves nouveaux arrivants Casna, Informations- und Dokumentationszentrum für Hochschulstudien Cedies, Elterndachverband Fapel, Agentur für europäische Projekte Anefore; ob Anelo, Hands up, Jugend Job Daag, Jugendgarantie, Girl’s and Boy’s Day – bei so vielen Akteuren und Aktionen fällt die Orientierung selbst Insidern schwer, zumal die Anlaufstellen lange Zeit quer über die Stadt verteilt waren und sie nicht selten aneinander vorbei arbeiteten.
„Die Initiative ist gut – vorausgesetzt, alle ziehen an einem Strang“, sagt Paul Krier von der Handwerkskammer, dort verantwortlich für die Themen Aus- und Weiterbildung. Vor allem der Übergang zwischen Schulen, Maison de l’orientation und Betrieben müsse besser werden. „Gut wäre, wenn im Orientierungshaus die Dienste nicht einfach nur kohabitierten, sondern sie ernsthaft zusammenarbeiten würden“, fordert Krier.
Im besten Fall klappt das so, wie am Mittwoch vor Ort beobachtet: Zwei junge Frauen, offensichtlich Schülerinnen, melden sich nachmittags an der Rezeption des BIZ im Erdgeschoss. „Ich bin auf einer 3e, aber meine Sektion macht mir überhaupt keinen Spaß mehr. Was kann ich tun?“, fragt die eine. „Oh, da bist Du hier falsch, versuche es doch bitte im zweiten Stock, beim Cpos“, entgegnet der Sachbearbeiter freundlich und zeigt in Richtung Lift.
Ob die Jugendlichen fanden, was sie suchten, und wie zufrieden die Besucher insgesamt mit der Berufsberatung sind, ist unklar; es gibt hierzu keine Umfragen. Wer aber das Gebäude an der Place de l’étoile besucht, schnuppert Verwaltungs-Flair. Im BIZ hängen bunte Bilder von motiviert dreinschauenden jungen Frauen und Männern an den Wänden. Es gibt eine froschgrüne Sitzecke, die mehr Wartesaal ist, als gemütlicher Ort für Pausen. Besucher müssen eine Nummer ziehen, die auf einem Bildschirm angezeigt wird, sobald sie an der Reihe sind. Der Sachbearbeiter, der Rede und Antwort steht, sitzt hinter einem braunen Amtstresen. Böse gesagt, übt die Jugend hier schon mal Nummern-Ziehen und Schlange-Stehen. Was wohl Ali Mahlodji dazu sagen würde?
Raum für Verbesserung gibt es auch bei den diversen Internetplattformen. Einfach nur bunte Farben und Kästen wie unter www.anelo.lu ersetzen keine spannende Story, wenn sich nach mehrfachem Klicken stets dieselben langweilig-langen Ansprachen in Behördendeutsch oder Amtsfranzösisch finden. Ein Self-Assessment, für das man sich durch Sprachenniveaus auf der Basis des „Europäischen Referenzrahmen“ und Mathetests quälen muss, bis man endlich zu den eigenen Interessen befragt wird (mit 45 Fragen, Likert-Skalierung), wird kaum der jugendlichen Aufmerksamkeitsspanne gerecht. Ganz davon zu schweigen, dass man sich bei Begriffen wie Profilen, E-Portfolio, Zertifikaten fragt, welche didaktische Kompetenz die Macher der Webseite haben – und welche Zielgruppe vor Augen? Die Angebote werden nicht dadurch lesbarer, dass sie voller Fehler sind, weil nicht einmal Grundregeln der Zeichensetzung berücksichtigt werden.
Altersgerechter ist der Job-o-Mat auf derselben Plattform, wobei manche Ergebnisse einen ratlos zurücklassen: Warum ergibt die Kombination der Stichwörter „wissbegierig“ und „sozial“ keine Resultate, bei „sozial“ allein wird zuvorderst Schönheitspfleger/in oder Pferdewirt/in genannt, aber kein Erzieher und keine Kindergärtnerin weit und breit? Kombiniert man „kreativ“ und „sozial“ wird einem der Beruf der Fotografin oder des Friseurs nahegelegt, fügt man ein „gewissenhaft“ hinzu, bleibt nur noch der Fotograf.
Es gibt deutliche Verbesserungen: Das Infomaterial wurde überarbeitet und ist vielfältiger. Spätestens nach der Lektüre der fingerdicken Handbücher zu den diversen Berufsbildern müsste sich das Scheinargument, ein Handwerksberuf sei eine Einbahnstraße für diejenigen, die es nicht an die Uni geschafft haben, erledigt haben – so sie denn von den Jugendlichen gelesen werden. Handwerk ist heute ein Sammelbegriff für über hundert Ausbildungsberufe und unzählige Spezialisierungen: von der Lageristin, über den Lebensmitteltechniker zur Umwelttechnikerin. Wer will, kann nach Gesellen- und Meisterbrief studieren und sich weiter spezialisieren.
Sogar in der Geschlechterfrage, einst hartnäckiger Blindfleck, haben die Berufskammern hinzugelernt: Auf dem Poster „Baustelle“ mauert eine Frau gleichberechtigt neben ihrem männlichen Kollegen und eine Ingenieurin diskutiert mit dem Statiker über den Plan. Nur schade, dass der inklusive Ansatz nicht überall konsequent verfolgt wird: In den ausführlicheren Berufs-Handbüchern sind die Illustrationen männlich; die Berufsbezeichnungen werden nur männlich ausgewiesen, aus Bequemlichkeit, denn anderswo klappt es.
Das Kernproblem der Unlust insbesondere bei der Orientierung in Beruf und Lehrstelle aber liegt nicht allein in einer besseren, altersgerechteren Vermittlung, wie Paul Krier von der Handwerkskammer betont: „Das ist eine gesellschaftliche Frage. Wir müssen unsere Kinder stärker für manuelle Tätigkeiten interessieren – und diese gleichberechtigt in der Schule valorisieren.“ Solange übertriebene Sprachanforderungen dazu führen, dass Jugendliche früh die Motivation verlieren, sie ihren eigentlichen Interessen nicht nachgehen können, sie scheitern und die Berufsausbildung quasi als letzter Ausweg bleibt, so lange wird sich das Ansehen von Handwerks-, Industrie und Handelsberufen kaum verbessern. Packen wir’s an.
Die Geister, die ich rief
Diese Woche stellte Erziehungsminister Claude Meisch (DP) die Kampagne schreiwen.lu – Wees de wéi? vor. Mit dem „groussen Hexemeeschter“ sollen Luxemburgischsprachige lernendas langgezogene Ee richtig einzusetzen. Schréiwen.lu will dazu beitragendass Lëtzebuergesch korrekt geschrieben wird.
Beim Hexemeeschter fällt einem der Zauberlehrling eindenn mit der politischen Kampagne für mehr Luxemburgisch ist es wie mit Goethes Figur: Ist der Geist erst aus der Flaschelässt er sich kaum mehr einfangen. Im Zuge von Luxemburgisch-Petitionen und roud-wäiss-bloe-Kampagnen macht sich nämlich eine beunruhigende Ignoranz und Halsstarrigkeit breit. Nicht nur in sozialen Netzwerken lamentieren vermeintliche Patrioten darüberihr Croissant auf Französisch bestellen zu müssen. Leute verstehen die Förderung des Luxemburgischen offenbar als Beginn eines neuen Kulturkampfs.
Am Dienstagabend sollte es im Limpertsberger Tramschapp eigentlich um die Modernisierungspläne der Regierung für die Grundschule gehen. Aber die Damedie am Eingang das Infomaterial sichtetbeschwert sich erbostdass die Broschüren auf Französischund nicht auf Luxemburgischverfasst sind. Die Begründungman wolle möglichst viele mit der Publikation erreichenpasst ihr sichtlich nicht. Vielleicht gefiel ihr aberdass der Erziehungsminister den ganzen Abend über Luxemburgisch sprach. Auch in der anschließenden Fragerundein der französisch- und deutschsprachige Eltern das Wort ergriffenantwortete Claude Meisch konsequent auf Luxemburgisch.
Das Signaldas der Minister damit sendetemögen die einen als (überfällige) Wertschätzung des Luxemburgischen (und der Dolmetscher) verstehen. Andererseits wirkte es seltsam starrals sei Mehrsprachigkeit hierzulande kein „Atout“ mehr und der Wechsel in eine andere Sprache (Deutsch und Französisch sind weiterhin Amtssprachen) plötzlich lästige Pflicht. Sind es nicht OffenheitGroßzügigkeit und Anpassungsfähigkeitdenen Luxemburg seinen Erfolg und seinen Charme verdankt?
Als eine Mutter die Sexualerziehung attackiertbei der angeblich Grundschulkinder schon Kondome in die Hand bekämen und mit Homosexualität konfrontiert würdenhält der Minister dagegen: Er verteidigt den Auftrag der öffentlichen Schule– altersgerecht – auf die Gesellschaft vorzubereitenob nun „ein Mädchen ein Mädchen liebt oder ein Junge einen Jungen. Sie sind gleichwertig.“ Meisch hat Recht. Die Schule ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Zu ihr zählen wir alleungeachtet der Hautfarbeder sexuellen Orientierungeiner Religionszugehörigkeit – oder der Sprachkompetenz. ik