„Wenn ihr nicht durchhaltet, dann wird das nichts mit der Schule.“ Mit den aufmunternden Worten begrüßte Küchenchef Oscar Sieb am 6. März 1950 die erste Schülergeneration in der frisch gegründeten Hotelschule Alexis Heck in Diekirch. Damals waren sieben junge Frauen und Männer zur Lehre angetreten; sie bildeten die Vorhut für eine Schule, die das Hotelfachgewerbe in Luxemburg wie keine andere prägen würde. Heute, 66 Jahre später, könnten die Lehrer des Lycée technique hôtelier Alexis Heck (LTHAH) selbst Ermunterung gebrauchen: Sie machen sich große Sorgen um die Zukunft ihrer Schule. Obwohl das Lyzeum sich mit Kooperationen und in internationalen Wettbewerben einen exzellenten Ruf über die Landesgrenzen hinaus aufgebaut hat (das Sekretariat der Europäischen Vereinigung der Hotelschulen AEHT wird von Diekirch aus koordiniert), geben Signale aus dem LTHAH der jüngeren Vergangenheit Anlass zur Beunruhigung.
Im Januar verließ die damalige Direktorin von heute auf morgen die Schule. Seitdem ist das Lyzeum im Prinzip führungslos, das Tagesgeschäft wird von einer Stellvertreterin geführt. Ende Januar hatte das Ministerium den Direktionsposten neu ausgeschrieben, bislang ist keine Entscheidung über die Nachfolge bekannt. Anfang Juni hakte CSV-Abgeordnete Martine Hansen deshalb nach, wieso keine neue Leitung feststünde, obschon die Rentrée scolaire 2016-2017 vor der Tür stehe. Eine Land-Nachfrage will das Ministerium nicht kommentieren: „Wir antworten nicht auf die Frage zum Direktionsposten, die aktuell Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage ist“, heißt es lapidar.
Die ungeklärte Leitungsfrage führt jedoch dazu, dass die Gerüchteküche umso heftiger kocht. Lehrer, Schüler und Eltern sind verunsichert, manch einer fürchtet um die Existenz der Traditionsschule. Genährt werden die Gerüchte durch Meldungen, wonach das im Bau befindliche, 30 Kilometer entfernte Clerfer Lyzeum den Beruf Koch künftig als duale Ausbildung anbieten soll: „Warum wird das nicht bei uns geplant?“, fragt eine LTHAH-Lehrerin skeptisch. Sie und ihre Kollegen fürchten, die einzige Hotelschule im Land könnte an Bedeutung verlieren. Als im Zuge der Berufsausbildungsreform die Lehrpläne überarbeitet wurden, wurde das Schulungsrestaurant geschlossen, während das Pendant im hauptstädtischen Lyzeum Bonneweg florierte; ein vom vorigen Direktor ins Leben gerufenes Restaurantprojekt mit Vietnam soll im Sommer auf Eis gelegt werden. Andererseits hat der Staat vor drei Jahren in neue Klassensäle investiert, die schuleigenen Konditoreien werden derzeit renoviert. Diekirchs Bürgermeister Claude Haagen (LSAP) versucht zu beruhigen: „Wenn solche Pläne bestünden, wüsste ich das. Dann würde ich auf jeden Fall etwas unternehmen.“ Für Haagen steht fest: „Diekirch und die Hotelschule gehören zusammen wie Diekirch und der Herrenberg.“ Der Standort stehe nicht in Frage, das habe ihm Erziehungsminister Claude Meisch (DP) am Rande einer Sitzung erst kürzlich versichert.
Um zu verstehen, warum die Stimmung im LTHAH dennoch angespannt bleibt und die Ängste groß sind, muss man die Vorgeschichte kennen. Denn die damalige Direktorin ging nicht einfach so. Vorausgegangen waren tiefe Meinungsverschiedenheiten zwischen ihr und der Belegschaft, die sich über vier Jahre hinzogen und tiefe Spuren und viel Frust hinterlassen haben. Elisabeth Reisen wurde 2011 von der damaligen Erziehungsministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) eingesetzt, scharfe Zungen behaupten: als Quotenfrau. Das berufliche Profil der Anwärterin klang indes vielversprechend: Absolventin der Hotelschule in Lyon, gelernte Ökonomin, mit Berufserfahrung schienen ideale Voraussetzungen, um die Schule nach den, wie es Mitglieder der Amicale des anciens du LTHAH beschreiben, „goldenen Jahren“ unter den Direktoren Robert Lacaf und Louis Robert weiterzuführen.
Doch schon bald, erzählen Insider, war von Aufbruchstimmung nichts mehr zu spüren: Die Kommunikation war mies, Reisens Führungsstil autoritär, so der Vorwurf. Statt Projekte und Veranstaltungen gemeinsam zu planen, wie das unter den vorigen Direktoren üblich war, sei das Personal wiederholt vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Rückfragen, Vorschläge, Kritik seien brüsk abgewiesen, wichtige Entscheidungen nicht genommen oder zu spät mitgeteilt worden, die Direktion habe sich „in ihrem Büro eingeigelt“. Zu für die Schule wichtigen Terminen mit Sponsoren und internationalen Partnern sei die Leiterin oft nur kurz erschienen – wenn überhaupt. „Eigentlich war nach wenigen Monaten klar, dass diese Person für den verantwortungsvollen Posten nicht geeignet war“, so ein Lehrer im Rückblick.
Erschwerend kam hinzu, dass mit der Reform der Berufsausbildung und neuen Trends in der Branche die Schule vor erheblichen organisatorischen und konzeptuellen Umwälzungen stand. Die Umstellung auf Module war ein Mammutunterfangen, die Autonomie, um durchs modulare System zu finden, brachten viele Schüler nicht mit, mit der Folge, dass sie Module nicht bestanden und wiederholen mussten. Statt diese Herausforderungen anzugehen, spitzte sich der interne Konflikt zu: Die Treffen der Koordinierungsgruppe, in der Vertreter der Bereiche Service, Praxis, Theorie, technischer Dienst zusammen diskutieren und planen, dauerten immer kürzer, die verbalen Schlagabtausche wurden heftiger, am Ende traute sich niemand mehr, etwas zu sagen.
Zu den Vorwürfen will sich Elisabeth Reisen, die inzwischen im Erziehungsministerium die Abteilung für ausländische Schüler leitet, nicht äußern: Sie habe sich „nichts vorzuwerfen“, sagt sie dem Land. Es stimme, dass Module angehäuft wurden; die Zahl von 600 Modulen will Reisen nicht bestätigen, dafür liege ihre Zeit in der Schule „zu weit zurück“. Der Klage, das LTHAH habe unter ihrer Führung ein massives Drogenproblem gehabt, widerspricht sie: „Das Problem war nicht größer als an anderen Schulen.“ Gleichwohl veranlasste sie gemeinsam mit der Drogenhilfe und der Polizei Maßnahmen, um den Rauschmittelkonsum einzudämmen. Ansonsten verweist Reisen auf eine Antwort, die das Ministerium dem Land im Januar, wenige Tage nach ihrem Fortgang, schickte. Dass die Stimmung nach innen und nach außen mies gewesen war, will sie nicht bestätigen: „Die Beziehungen waren ganz gut. Ich war auf allen wichtigen Anlässen dabei.“
Reisens Darstellung weicht indes erheblich von dem ab, was Lehrer und Partner der Schule schildern: Im Dezember 2015 war die Beziehung zwischen Schulleitung und Belegschaft so zerrüttet, dass Lehrer einen Brandbrief an Reisen und an den Minister schrieben. Auslöser war ein Streit gewesen um bezahlte Überstunden, die die Leiterin einem Teil der Lehrer vorenthalten wollte. Der Brief geriet zur finalen Abrechnung: Von einer „desaströsen Situation“ war die Rede, von „kontraproduktivem Arbeitsklima“, von „gravierenden Mängeln im Management“, von „Diskriminierung“, von „Desinformation“ und regelrechten „Kommunikationsblockaden“. Dieser und frühere Briefe zeichnen ein Bild zahlreicher gescheiterter Klärungsversuche. Sogar deontologisch zweifelhaftes Verhalten wird der Schulleiterin vorgeworfen: Reisen soll ein Verhältnis mit einem befristeten Angestellten angefangen und ihn daraufhin zum Lehrbeauftragten sogar für Abschlussklassen befördert haben. Man habe sich „geschämt“. Unterschrieben war der 13-seitige Brandbrief mit „Nous sommes tous LTHAH“.
Nach dem Schreiben kam Bewegung in die Sache: Am 18. Januar kündigte Reisen ihren Abschied an. Auf Nachfrage des Land bestätigte Pressesprecherin Myriam Bamberg am 21. Januar schriftlich, das Erziehungsministerium habe „seit Herbst“ Gespräche mit Direktion und Lehrern geführt, weil „Unstimmigkeiten angezeigt“ wurden. „Allen unterschiedlichen Auffassungen und Schwierigkeiten, die genannt wurden, unter anderem in einem Schreiben der Lehrer“, sei man nachgegangen.
Doch was wie energisches Handeln klingt, kam in Wahrheit reichlich spät. Völlig verzweifelte Lehrer waren bereits im Frühjahr 2015 bei der CGFP vorstellig geworden, um einen Ausweg aus der verfahrenen Situation zu suchen. „Wir hofften auf ein Gespräch mit dem Minister“, erklärt ein Lehrer, der beim Vorstoß dabei war. Das Gesetz selbst sieht keine außergerichtliche Prodezur zur Schlichtung beziehungsweise Lösung von Konflikten zwischen Belegschaft und Schulleitung vor. „Uns war wichtig, dass die Schule wieder professionell funktioniert, dass sie aus der Blockade herauskommt.“ Die Beamtengewerkschaft wandte sich am 19. Juni schriftlich an Claude Meisch und bat um ein Treffen mit „einer Delegation von Lehrervertretern“, um sich über die „delikate, ja sogar gefährliche Situation“ auszutauschen. Der Brief blieb ohne Antwort.
Stattdessen stattete eine Mitarbeiterin der Abteilung Sekundarunterricht des Ministeriums dem LTHAH plötzlich allwöchentlich Besuch ab, angeblich um die Möglichkeit von Abendkursen an der Schule zu prüfen, wie Elisabeth Reisen sagt. Das war womöglich nicht die einzige Mission: Kurz darauf folgte besagte Mitarbeiterin Mia Aouadi dem scheidenden Jean-Paul Cathrein auf den Posten als beigeordnete Direktorin; offenbar schätzte das Ministerium ihre Kompetenzen hoch genug ein, um die Schule aus einer Phase zu führen, die ehemalige LTHAH-Schüler als „eine der schwersten Krisen seit Gründung“ bezeichnen. Als vollwertige Direktorin wurde Aouadi nicht eingestellt, weil sie „die falsche Parteikarte hat“, wie Martine Hansen von der CSV mutmaßt? Aouadi ist Mitglied der CSV im Bezirk Norden.
Vom Land kontaktiert, will Aouadi weder über die Vergangenheit noch über „Politisches“ reden. Die Schule habe „viel durchgemacht“, in den vergangenen Monaten habe man „neuen Schwung gefunden“, so die studierte Englischlehrerin, die die Leitung derzeit alleine schmeißt. Arbeit gibt es genug: Neben Tagesgeschäft, Wettbewerben, Zensurenkonferenzen muss die Rentrée vorbereitet werden, ein Relaunch des Internetauftritts sei geplant. „Dann können wir zeigen, welche und wie viele Projekte bei uns laufen“, so Aouadi, die mehrfach resolut betont, „nach vorne schauen“ zu wollen und mit „vereinten Kräften am positiven Image“ der Schule zu arbeiten.
Das Personal hofft derweil inständig auf eine Wendung zum Guten, denn auch von strategischen Partnern kommt positives Echo: „Die Beziehungen haben sich mit der neuen Schulleitung deutlich verbessert“, drückt sich Jean Schintgen diplomatisch aus. Für den ehemaligen Generalsekretär des Hotel- und Gaststättenverbands Horesca steht außer Frage: „Wir brauchen eine Hotelschule, die das nötige qualifizierte Personal für unseren Betriebe im Land ausbildet.“ Alljährlich absolvieren etwa 30 Köche, Konditoren, Restaurateure, Hoteliers ihre Ausbildung, zu wenige, um die Nachfrage zu decken. Die Touristenzahlen steigen, die Zuwachsrate bei den Hotelübernachtungen lag 2014 bei 2,7 Prozent. Luxemburgs Hotel- und Gaststättengewerbe bleibt von internationalen Trends nicht verschont: Familienbetriebe schließen, internationale Ketten drängen auf den Markt. Kunden wollen Wellness, hochwertiges Essen und einen Rundum-Service. Gleichzeitig führen Digitalisierung und Automatisierung zu höheren Anforderungen an die Berufe: „Ein Koch ist nicht nur Koch, sondern ein Manager, der ein Team führen können, Hygienebestimmungen kennen und effizient wirtschaften muss“, beschreibt Horecsa-Generalsekretär François Koepp den Wandel. Seine Vereinigung fordert daher, neben der Gesellenprüfungen zum Koch, Restaurateur und Hotelier-Restaurateur, sowie den Technikerdiplomen im Hotelwesen und im Tourismus einen Meisterbrief (BTS) im Event-Management einzuführen. Planungen dazu laufen, bekräftigt Aouadi. Wenn alles gut läuft, soll das Konzept für eine neue Ausbildung im Hrrbst stehen. Auch deshalb sei es wichtig, meint Koepp, die Frage der Direktion rasch zu klären: „Die Programme müssen überarbeitet und an die Entwicklung angepasst werden.“
Die LTHAH-Belegschaft weiß um die Herausforderungen. Seit die stellvertretende Direktorin da ist, scheint der Elan zurückgekehrt: So wurde ein Benefizessen für Burkina Faso organisiert, im März trug die Schule den Wettbewerb um das beste Menü rund um das Nahrungsmittel Honig aus, im April folgte der Kochwettbewerb „Chef of the Year 2016“, für den diesjährigen „Télévie“ wurden über 500 selbst gebackene Kuchenstücke verkauft. Auch Claude Meisch soll bei seinem Besuch der Schule im März deren Dynamik und Aktivitäten gelobt haben. Umso unverständlicher ist es für viele, warum der Minister die Entscheidung hinauszögert. Früher sei man in wichtige Personalfragen eingebunden worden, heute sei das anders, heißt es auch seitens der Horesca. Verbandsvertreter wollen Probleme mit der ehemaligen Schulleiterin gegenüber Beamten des Ministeriums lange vor dem Winter angesprochen haben. „Wir sind gut genug, um Arbeitsplätze zu schaffen, ansonsten wird uns aber kaum zugehört“, sagt François Koepp frustriert. Die Lehrer des LTHAH halten sich jedenfalls bereit: „Wir sind nicht vier Jahre durch die Hölle gegangen, um jetzt aufzugeben. Wir kämpfen um unsere Schule.“