Die Lehrergewerkschaften Apess, Feduse und SEW erhöhen ihren Druck auf die Regierung. 84 Prozent der befragten Berufsschullehrer sind bereit, bis zum Äußersten zu gehen und zu streiken, sollte sich nicht schleunigst etwas Grundlegendes an der Berufsausbildung ändern. Das ergab eine Umfrage unter den Lehrern, die die Intersyndicale vergangene Woche vorstellte.
Die Reaktion auf das Muskelspiel folgte prompt: Der Regierungsrat verabschiedete endlich überfällige Änderungen. Künftig werden Berufsschüler, die ein Modul nicht bestanden haben, nicht mehr automatisch versetzt. Auch die kompetenzorientierte Bewertung soll überdacht werden. Es ist unbegreiflich, warum, nachdem die Massenproteste 2012 schon der vermurksten Berufsausbildungsreform galten, es so lange gedauert hat, bis es endlich grünes Licht für die dringendsten Änderungen gab. Es ist nicht Meischs Reform, aber das Ressort Bildung ist nun einmal seines.
Die Gewerkschaften wird das kaum zufriedenstellen. Die Umfrage bei den Lehrern weist klar darauf hin an, dass bei vielen Berufsschullehrern eine grundsätzliche Malaise gegenüber Kernelementen der kompetenzbasierten Berufsausbildung besteht. Sie fordern eine Mise à plat, eine Generalüberholung. Unter anderem will eine Mehrheit den Techniker aus Berufsausbildung zurück ins Régime de la formation technicien überführt und die zusätzlichen Vorbereitungsmodule für die Hochschule abgeschafft sehen. Das aber will Claude Meisch nicht.
Der Minister hat Recht, auch wenn sein Argument, er könne nicht etwas zurückdrehen, was vor Jahren eingeführt wurde, nicht überzeugt. Vielmehr stellt sich die Frage, wer eine solche Neuauflage konzipieren würde – und ob dabei eine zeitgemäße Ausbildung herauskäme und nicht dieselben Stolperfallen lauerten wie 2008. Der kompetenzorientierte modulare Aufbau der Berufsausbildung macht, trotz zahlreicher Schwächen in der Umsetzung, Sinn, weil das System mehr Flexibilität erlaubt. Wie will Luxemburg mit Fachkräften aus dem Ausland konkurrieren, die nicht nur handwerklich besser sind, sondern preiswerter dazu? Auch in Deutschland, aus dem viele Handwerker stammen, wird auf Kompetenzen umgestellt. Digitalisierung und fortschreitende Technisierung stellen das Handwerk vor sich rasch ändernde Anforderungen. Will das Handwerk attraktiv für den Nachwuchs sein, muss mehr Qualität in die Berufsausbildung, müssen die Abschlüsse besser, nicht schlechter werden. Deshalb muss endlich Schluss sein mit der negativen Selektion anhand überzogener Sprachkompetenzen, von denen ausländische Bewerber ohnehin ausgenommen sind. Eltern wissen längst, dass die öffentliche Schule erhebliche Schwierigkeiten hat, sich zu modernisieren. Immer mehr schicken ihre Kinder ins Ausland, damit sie dort einen Abschluss machen, der ihren Fähigkeiten entspricht.
Aber nicht nur Eltern stimmen mit den Füßen ab, auch Unternehmen vertrauen dem Bildungssystem immer weniger, suchen – und finden – Alternativen. Anstatt alle Jahre erfolglos eine bessere berufliche Orientierung zu fordern, richten sie vermehrt eigene Kompetenzzentren zur beruflichen Fortbildung ein.
Für die Schule könnte der Warnschuss nicht lauter sein: Wird die Berufsausbildung nicht endlich auf ein anderes Niveau gehoben, wird sich ihr Image nie verbessern und sich die Abkehr von der öffentlichen Schule verschärfen. Auch deshalb sollten sich die Gewerkschaften genau überlegen, ob sie ein weiteres Kapitel Fundamentalopposition aufschlagen wollen. Oder ob sie nicht besser daran täten, sach- und konsensorientierte Lösungen vorzuschlagen, die im Interesse der Schüler, der Schule, der Gesellschaft sind.