Außenminister Jean Asselborn (LSAP), wegen seiner ungehobelten Art oft belächelt, bewies diese Woche, dass er nicht umsonst seit vierzehn Jahren auf dem diplomatischen Parkett tanzt. Während die „großen“ EU-Mitglieder und Unterzeichner des Iran-Atomabkommens, Deutschland, Frankreich und Großbritannien, versuchten, über gezielte Presseinformationen dem kleinen Luxemburg eine der heißesten Kartoffeln im internationalen Weltgeschehen in die Hand zu drücken, fand er einen Weg, ihnen den Ball zurückzuspielen. Beim Treffen der EU-Finanzminister erklärte er, die EU müsse alles daran setzen, das Atomabkommen zu erhalten, und dazu brauche man das Special Purpose Vehicle (SPV) für die Geschäfte europäischer Firmen mit dem Iran. Aber dieses SPV können keinem einzelnen EU-Land aufgehalst werden, sondern es müsse im europäischen Recht verankert werden. Dadurch hob er die Diskussion auf eine Ebene, auf der die Großen die Kleinen insgesamt und Luxemburg insbesondere nicht weiter waterboarden können, bis sie ein Schicksal als Bauernopfer im geopolitischen Schachspiel akzeptieren. Und er musste die Ansiedlung der Zweckgesellschaft dazu noch nicht einmal geradeheraus ablehnen. Wird das SPV „in europäischem Recht verankert“, müssen alle EU-Regierungen mitentscheiden, wo es in welcher Form hinkommt.
Das SPV, das Luxemburg nach Wunsch der EU-Partnerländer hätte gründen sollen, nachdem andere wie Österreich oder Belgien abgewinkt haben, ist in der Tat eine Firma der ganz besonderen Art. Es ist das Kernstück der europäischen Bemühungen, den Atom-Deal mit dem Iran zu retten, damit Teheran sein Nuklearprogramm nicht wieder aufnimmt.
2015 hatten sich in Genf nach jahrelangen Verhandlungen die fünf ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat, Deutschland und die EU mit dem Iran darauf geeinigt, die Wirtschaftssanktionen aufzuheben, wenn der Iran sein Atomprogramm einstelle. Schon im Hinblick auf das Abkommen entstand in europäischen Wirtschaftskreisen eine gewisse Goldgräberstimmung. Iran verfügt nicht nur über große Erdöl- und Erdgasreserven, sondern ist mit seinen 80 Millionen Einwohner ein Markt von der Größe Deutschlands. Den iranischen Verbrauchern würden europäische Firmen nur zu gern ihre Exportgüter verkaufen, während sowohl die EU als auch die iranische Führung hoffen, dass besagte Konsumenten, mit derlei europäischen Gütern versorgt, die Ruhe bewahren und keine religiösen Hardliner wählen.
Noch vor der Unterzeichnung des Abkommens mit dem sperrigen Titel Joint comprehensive plan of action (JCPOA) fuhr deshalb auch eine Luxemburger Wirtschaftsdelegation nach Teheran. „Das Potenzial ist enorm“, schwärmt noch heute der für den internationalen Handel zuständige Mitarbeiter der Luxemburger Handelskammer, Jeannot Erpelding. 2016 folgte eine große Wirtschaftsmission unter der Leitung von Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP), an der sich 120 Geschäftsfrauen und -männer beteiligten. Im Februar 2017 unterzeichnete Asselborn mit Iran ein bilaterales Abkommen zum gegenseitigen Schutz von Investitionen. Die Iraner, lange Zeit vom internationalen Zahlungssystem Swift ausgeschlossen, erklärten, sie wünschten sich den Aufbau von Bankbeziehungen zwischen Luxemburg und dem Iran, die Gründung von Bankfilialen hier und dort. Wenige Monate später besuchte die Fédération des jeunes dirigeants d’entreprise (FDJ) den Iran. An der Visite nahm CSSF-Direktor Claude Marx teil, obwohl er kein Privatunternehmen leitet, sondern die Aufsichtsbehörde für die Finanzbranche. Einzig die Bankiers waren skeptisch geblieben. Die Einladung zur Teilnahme an den von der Handelskammer organisierten Wirtschaftsmissionen hatte die ABBL gar nicht erst an ihre Mitglieder weitergeleitet, erzählt ABBL-Direktor Serge de Cilia. Das mit Iran-Geschäften verbundene Restrisiko schien ihnen zu hoch.
Sie sollten Recht behalten. Vergangenen Mai kündigte US-Präsident Donald Trump an, aus dem Joint comprehensive plan of action (JCPOA) auszusteigen und die amerikanischen Sanktionen gegen den Iran wieder in Kraft zu setzen. Seither suchen die Europäer nach Wegen, ihren Firmen den Handel mit Iran zu ermöglichen, ohne sich dabei amerikanischen Strafmaßnahmen auszusetzen, damit die EU, die bis auf weiteres keine neuen Iran-Sanktionen verhängt hat, die Hoheit über ihre Außenbeziehungen nicht verliert. Denn unter anderem ihre Währung, in der auch der weltweite Handel mit Rohstoffen wie Erdöl abgewickelt wird, setzen die USA seit Jahren gezielt ein, um außerhalb ihres Hoheitsgebietes ihre Außenpolitik durchzusetzen, indem sie diejenigen von Dollar-Geschäften abschneiden oder mit Bußgeldern strafen, die nicht nach ihrer Pfeife tanzen.
Damit der Iran weiter Öl und Gas exportieren kann und das nicht in Dollar vergütet bekommt, entstand die Idee des SPVs. Es soll die Rolle einer Börse übernehmen, an der iranische Rohstoffe direkt gegen europäische Exportwaren getauscht werden, ohne dass dabei ein US-Dollar die Hand wechselt. Dadurch sollen die US-Sanktionen umgangen werden, und das macht das SPV zu einem Instrument, das ganz gezielt als Gegenmittel gegen die amerikanische Außenpolitik eingesetzt werden soll. „Wir bestreiten die Legitimität der extraterritorialen US-Sanktionen. Man kann keine Sanktionen verletzen, die für uns nicht gelten“, sagte der französische Finanzminister Bruno Lemaire dem Handelsblatt vergangene Woche. Im gleichen Interview meinte er auch: „Es ist klar, dass es heute Mut erfordert, sich der Regierung von Donald Trump in den Weg zu stellen.“ Diesen Mut hat allerdings bisher weder Frankreich, noch Deutschland, noch sonst irgendein europäisches Land aufgebracht, indem es sich bereit erklärt hätte, die Zweckgesellschaft zu gründen.
Vergangene Woche sagte EU-Kommissarin Věra Jourová vor dem Europaparlament: „We Europeans cannot accept that a foreign power – not even our closest friend and ally – takes decisions over our legitimate trade with another country. The ongoing work – led by France, Germany and the United Kingdom – aims at preserving the full and effective implementation of the JCPOA in all its aspects and in line with UN Security Council Resolution 2231. But protecting legitimate trade is also a basic element of our own sovereignty, and it is only natural that we are working in this direction.“
Die Kommissarin, die stellvertretend für die EU-Außenbeauftragte Frederica Mogherini sprach, fügte hinzu: „This is a hugely complex and unique undertaking, requiring the best expertise available. Technical work has been advancing over the last days and weeks, under the political leadership of Member States and supported by the EEAS and the Commission. Our goal is to build something that is workable, effective and viable.“
Nun drängt die Zeit, Anfang November traten die US-Sanktionen in Kraft und iranische Finanzinstitute wurden erneut vom Zahlungssystem Swift ausgeschlossen. Unter diesem Zeitdruck brachten europäische Diplomaten die Information in Umlauf, Luxemburg mit seiner Finanzbranche sei ein guter Standortkandidat, um das SPV zu beherbergen. So versuchten sie, Fakten zu schaffen, obwohl, wie Jean Asselborn sagt, bis Montag niemand die Luxemburger Regierung offiziell gefragt hatte, ob sie das SPV wolle. Dadurch zeigten Luxemburgs europäische Partner einmal mehr, dass in Europa das Gesetz des Stärkeren gilt. Denn vor nicht allzu langem hatte Luxemburg mit seiner Finanzbranche bei der Suche nach einem neuen Standort für die Europäische Bankenaufsicht Eba gegen Paris den Kürzeren gezogen, obwohl es in den Europäischen Verträgen als Sitz der Jusitz- und Finanzbehörden gilt.
Doch während von der Niederlassung einer Behörde wie der Eba positive wirtschaftliche Nebeneffekte zu erwarten sind, darf man am Standort des Iran-SPV das Gegenteil erwarten. Ohnehin sind die Handelsbeziehungen zwischen den USA und der EU angespannt. Die USA erheben seit Monaten Sonderzölle auf Stahlimporten und drohten der EU offen, deutsche Autos mit erhöhten Einfuhrgebühren zu bestrafen. Wer würde in diesem Klima gerne den amerikanischen Präsidenten herausfordern? Ende September hatte US-Außenminister Mike Pompeo bereits deutlich gemacht, was er vom SPV hält: „This is one of the most counterproductive measures imaginable for regional global peace and stability. By sustaining revenues to the regime you are solidifying Iran’s ranking as No 1 state sponsor of terror.“ Als sich vergangene Woche die Berichte verdichteten, Luxemburg solle Sitz des Iran-SPV werden, legte die amerikanische Botschaft in Luxemburg sicherheitshalber noch einmal nach, um alle Zweifel auszuräumen, dass die Gründung des SPV unangenehme Folgen haben wird. „The United States strongly opposes all attempts to circumvent sanctions on Iranian regime”, schrieb die Botschaft in einer Mitteilung. „The United States strongly opposes the special purpose vehicle called for by the European Union to circumvent the imposition of U.S. sanctions on Iran. Continuing to do business with the regime sustains revenues to the number one state sponsor of terror, enabling Iran’s violent support for terrorists, militants, and proxies, and enriching the regime at the expense of the Iranian people.”
Was die USA mit denen machen, die Regimes helfen, die auf ihrer schwarzen Liste stehen, erfuhr jüngst die lettische Bank ABLV, die mittlerweile im Insolvenzverfahren steckt. Um das Schicksal ihrer Luxemburger Filiale wird seit Monaten gerungen. Weil die USA die Bank verdächtigten, US-Sanktionen gegen Nordkorea gebrochen zu haben, schloss das US-Finanzministerium die Bank vorläufig vom Zahlungsverkehr in Dollar aus. Das reichte aus, um die Bank binnen Tagen in die Pleite zu treiben. Dass der Luxemburger Staat heute noch Aktionär der französischen Großbank BNP Paribas ist, auch das ist US-Sanktionen zu verdanken. Im Zuge der Fortis-Rettungsaktion hatte der Staat 2008 nicht nur Aktien von BGL BNP Paribas erworben, sondern auch des französischen Mutterhauses. Danach war der Kurs der BNP-Papiere gefallen, so dass ein Verkauf nur unter Verlusten für die Staatskasse möglich gewesen wäre. Als sich der Kurs nach den Krisenjahren langsam erholte, auf ein Niveau, das eine Veräußerung ohne Verluste erlaubt hätte, brach er plötzlich wieder ein, weil BNP wegen Verstößen gegen US-Sanktionen gegen Kuba, Sudan und Iran ein Bußgeld von 8,9 Milliarden Dollar berappen musste oder ansonsten riskierte, keine Geschäfte mehr in den USA machen zu dürfen.
Dass es möglich wäre, das SPV vollkommen gegen US-Strafmaßnahmen zu immunisieren, scheint unwahrscheinlich, weil es kaum komplett vom Bankensystem losgekoppelt werden kann. Irgendwo muss das iranische Öl verkauft werden und den europäischen Firmen ihre Waren vergütet werden. Welche Bank wäre verrückt genug, diese Transaktionen abzuwickeln, wenn die USA unmissverständlich machen, dass sie keine Zusammenarbeit mit dem iranischen „Regime“ dulden werden? Welche europäische Firma würde dabei mitmachen und riskieren, keine Geschäfte mehr in den USA machen zu dürfen? Und welches Land freiwillig das SPV und das drumherum entstehende „radioaktive“ Sperrgebiet einrichten? Schon früher war bei Iran-Geschäften das Problem, das Geld von einer auf die andere Seite zu transferieren, sagt Jeannot Erpelding von der Handelskammer. Er glaubt nicht daran, dass das SPV dieses Problem lösen kann. ABBL-Direktor Serge de Cilia warnt vor Kollateralschäden, sollte das SPV nach Luxemburg kommen und Banken, die mit ihm Geschäftsbeziehungen unterhalten, vom Dollarverkehr abgeschnitten werden. „Mir packen dat net“, sagt deshalb Außenminister Jean Asselborn.
Erfahrungen mit US-Saktionen gegen den Iran hat auch die Luxemburger Clearing-Gesellschaft Clearstream, Tochtergesellschaft der Deutschen Börse, bereits gemacht. Sie zahlte 2014 152 Millionen Dollar Bußgeld an das amerikanische Justizministerium, das der Ansicht war, Clearstream habe gegen US-Sanktionen verstoßen, weil sie für die iranische Zentralbank, Bank Markazi, auf einem Konto einer Bank in den USA Wertpapiere verwahrt habe.
Aktuell ist Clearstream in Kirchberg Schauplatz eines weiteren Versuchs, US-Recht, beziehungsweise US-Außenpolitik außerhalb des amerikanischen Staatsgebietes durchzusetzen. Bei Clearstream sind nach Angaben von Fabio Trevisan, Anwalt der Bank Markazi, 4,9 Milliarden Dollar der iranischen Zentralbank blockiert, auf deren Rückerstattung Bank Markazi Anfang 2018 ebenfalls klagte. Vorsorglich verlangt sie die Ausbezahlung in Euro statt in Dollar, um die Amerikaner aus der Sache herauszuhalten. Bei den Geldern handele es sich um Wertpapiere, deren Laufzeit vorbei ist, und den Zinsen darauf, erklärt der Anwalt. Mit Sanktionen belegt, waren die Aktiva ein erstes Mal eingefroren worden. Doch bevor sie im Zuge der Umsetzung des JCPOA Anfang 2016 aufgetaut werden konnten, schickten die Angehörigen von amerikanischen Opfern der Terroranschlägen vom 11. September 2011 den Gerichtsvollzieher zu Clearstream, um das iranische Vermögen beschlagnahmen zu lassen. Sie stützten sich dabei auf ein amerikanisches Gerichtsurteil, das ihnen Schadenersatz durch Iran zusprach und dessen Anerkennung vor einem Luxemburger Gericht derzeit noch anhängig ist (d’Land, 17.03.2017). Dass Iran als souveräner Staat überhaupt zu solchen Schadenersatzforderungen verurteilt werden kann, ist nur möglich, weil Iran in den USA als „state sponsor of terror“ gilt, womit die Rechte anderer souveräner Staaten verwirkt sind, wie Trevisan erklärt, zum Beispiel das, sich vor Gericht verteidigen zu können.
Am 2. März 2017, bevor ein Luxemburger Gericht im Eilverfahren über die Beschlagnahmung der Gelder entscheiden sollte, schrieb die Anwaltskanzlei Boies, Schiller, Flexner von der Lexington Avenue in New York an Staatsminister Xavier Bettel (DP) mit Kopie an Präsident Donald J. Trump, um zu verhindern, dass die iranischen Aktiva bei Clearstream freigegeben würden. Damals berichtete die New York Times von den Bemühungen der US-Anwälte, auf die Luxemburger Regierung einzuwirken. Es war der erste Versuch von Klägern, denen Schadenersatz durch Iran zugesprochen wurde, die Hand auf iranische Gelder zu legen, die überhaupt erst durch das Nuklearabkommen für solche Beschlagnahmungen verfügbar wurden. „We are well aware of your government’s rapprochement with Iran in the months after the implementation of the JCPOA. However, we would urge you to take all appropriates steps in the courts and through applicable executive action to ensure that valid U.S. judgments held by victims of terrorism are enforced by Luxembourg“, hieß es in dem Brief, der die diplomatischen Beziehungen zwischen Luxemburg und dem Iran, sowie zwischen Luxemburg und den USA in Frage stellte (d’Land, 10.03.2017).
Vergangene Woche wandte sich nun Fabio Trevisan schriftlich an den Staatsminister, um ihn im Auftrag seiner Mandanten zu bitten, sich aus der Entscheidung um die iranischen Milliarden vor den Luxemburger Gerichten herauszuhalten und die Gewaltentrennung zu respektieren. Die Beschlagnahmung der Gelder verstößt seiner Ansicht nach eindeutig gegen das Luxemburger Bankgesetz, in dem Clearstream als Ausgleichstelle einen Sonderstatus genießt, der Beschlagnahmungen auf Clearstream-Konten untersagt, eine Ansicht, die Clearstream übrigens im Schnellverfahren teilte. Die Anerkennung des US-Urteils in Luxemburg ist seiner Meinung nach aber auch deshalb problematisch, weil das Original-Urteil darauf beruht, dass Iran in den USA als Staat eingestuft ist, der Terrorismus finanziert. „Ces jugements reposent sur des considérations éminemment politiques: ils sont fondés sur des dispositions américaines discriminatoires envers certains États étrangers, dont l’Iran, dont la liste a été discrétionnairement par le Département d’État des Etats-Unis“, schrieb er dem Staatsminister.
Die Verhandlungen in den unterschiedlichen Verfahren zwischen Bank Markazi, Clearstream und den amerikanischen Zivilparteien werden aller Voraussicht nach im kommenden Frühjahr stattfinden. Würden die amerikanischen Urteile anerkannt, die den US-Klägern Recht auf Schadenersatz von Iran zugestehen, würde die US-Außenpolitik über den Weg der Gerichte nach Europa importiert. Obwohl die Luxemburger Regierung, wie andere EU-Länder und die EU-Kommission der Meinung ist, dass diese extraterritoriale Durchsetzung von US-Sanktionen eigentlich inakzeptabel ist.