Seitdem die Konsumräume der Restaurants und Gaststätten wegen Covid-19 geschlossen sind, boomt das Geschäft mit den Online-Essenslieferungen. Genaue Zahlen sind noch nicht bekannt, doch sowohl die Plattformbetreiber selbst als auch der Hotel-, Restaurant- und Gaststättenverband Horesca bestätigen, dass der Sektor in den vergangenen zwölf Monaten stark zugelegt hat. Wie hoch die Profite der Online-Plattformen tatsächlich sind, wird sich aber erst in einigen Monaten zeigen, wenn die Bilanzen von 2020 veröffentlicht werden.
Vor der Coronakrise waren Essenslieferungen in Luxemburg kein sonderlich rentables Geschäft. Die Plattform Foostix, dessen Gründer Marc Neuen (48) in Luxemburg zu den Pionieren der Plattformwirtschaft gehört, stellte im November 2019 die Lieferungen ein und arbeitet seitdem nur noch mit Restaurants zusammen, die ihr Essen selbst ausliefern. Dabei hatte Neuen sich Mühe gegeben, die Lohnkosten niedrig zu halten. Er engagierte die meisten seiner Fahrer/innen über eine vom Beschäftigungsfonds bezuschusste Wiedereinstiegsmaßnahme für Menschen ohne Schulabschluss und Langzeitarbeitslose. „Es waren die billigsten Arbeitskräfte, die man legal bekommen konnte“, sagt Neuen. Seine Rechnung ging trotzdem nicht auf.
Andere Plattformen hatten mehr Erfolg. Die 2016 gegründete Firma Grouplunch etwa, die bislang ausschließlich zur Mittagszeit größere Sammelbestellungen an Betriebe lieferte. Doch seit viele Menschen im Homeoffice arbeiten, ist das Geschäft eingebrochen. Deshalb hat Grouplunch sich kürzlich in Foozo umbenannt und liefert nun mittags und abends auch an Privathaushalte. Wie Foostix bis Ende 2019 arbeitet Foozo mit festangestellten Mitarbeiter/innen zusammen. Die rund 30 Fahrer/innen verfügen über unbefristete oder befristete Verträge und verdienen den unqualifizierten Mindestlohn. Die Fahrzeuge, die sie benutzen, gehören der Firma. Seit Foozo auch am Abend liefert, habe sich der Anteil an Vollzeitstellen in seinem Betrieb erhöht, erklärt Grouplunch-Gründer und Generaldirektor Pierre Pereira da Silva (33) im Gespräch mit dem Land. Ihn und Marc Neuen verbindet, dass sie die Grenze zur Illegalität nicht überschreiten wollen.
Zwei Lieferplattformen haben sich dazu entschieden, diese Grenze auszuloten. Eine von ihnen ist WeDely, das die Krise zur Expansion genutzt hat und inzwischen zum Marktführer in Luxemburg aufgestiegen ist. Eigenen Angaben zufolge zählt die Plattform aktuell 350 Restaurants zu ihren Kunden. Erste Beschwerden gegen WeDely waren bereits 2018 und 2019 bei der Gewerbeinspektion ITM eingegangen. Konkurrenten hatten sich daran gestört, dass die Firma mutmaßlich mit scheinselbstständigen Fahrer/innen zusammenarbeite, was ihr einen Konkurrenzvorteil gegenüber anderen Plattformen verschaffe. Vergangenes Jahr hatte die ITM sieben Dossiers zu WeDely an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.
Am Montag beginnt nun vor dem Bezirksgericht Luxemburg der Prozess gegen den Betreiber der Logistikplattform WeDely, die 2013 gegründete Firma H.T. Layer Europe S.A. Auch die drei Geschäftsführer sind mitangeklagt. Es ist der erste Prozess dieser Art in Luxemburg. Laut Staatsanwaltschaft wird H.T. Layer Europe vorgeworfen, gegen das Arbeitsrecht verstoßen, nicht über die notwendigen Genehmigungen verfügt und auf Schwarzarbeit zurückgegriffen zu haben. Land-Informationen zufolge wird der Firma konkret unterstellt, bewusst mit Selbstständigen zusammengearbeitet zu haben, die nicht über eine Niederlassungsgenehmigung verfügen. Im Arbeitsrecht werden solche Arbeitsverhältnisse ausdrücklich als Schwarzarbeit (Travail clandestin) bezeichnet. Ausnahmen sind zwar vorgesehen, doch sie beschränken sich auf gelegentliche und unbedeutende Leistungen oder gewöhnliche Hilfsdienste zwischen Familienmitgliedern, Freunden und Nachbarn. Laut Staatsanwaltschaft gehe es im Prozess auch darum, zu klären, ob diese Ausnahmen im Fall von WeDely zutreffen oder nicht. Vieles hänge dabei von der Häufigkeit der erbrachten Dienstleistung ab.
Wie WeDely auf Nachfrage bestätigt und aus einem dem Land vorliegenden nicht datierten und anonymisierten Vertrag hervorgeht, beschäftigt die Plattform ihre Auslieferer nicht als Angestellte, sondern als Selbstständige (à son propre compte). Mit wie vielen Fahrern WeDely insgesamt zusammenarbeitet, konnte oder wollte die Firma nicht verraten. Schätzungen zufolge dürften es um die 400 sein. Sie benutzen ihr eigenes Auto, Moped oder Fahrrad sowie ihr Smartphone und werden vertraglich dazu verpflichtet, sich die notwendigen Genehmigungen zu besorgen, sich selber zu versichern und sich bei Steuerverwaltung und Sozialversicherung anzumelden. Sie können ihre Arbeitszeiten in der Regel selbst bestimmen, indem sie sich in ein Computersystem einloggen, das der Plattform ihre Verfügbarkeit signalisiert. Die Bezahlung erfolgt nicht nach einem fest vereinbarten Gehalt, sondern nach Häufigkeit der Dienstleistung, die der/die Fahrer/in für das Unternehmen erbringt.
Sobald der Auftraggeber seine Mitarbeiter/innen durch einen Vertrag an sich binde, könne nicht mehr von Selbstständigen die Rede sein, erklärt eine Arbeitsrechtlerin der Salariatskammer (CSL) auf Nachfrage. Wenn ein Lien de subordination zwischen Plattform und Fahrer/in bestehe, müsse von einem Beschäftigungsverhältnis ausgegangen werden, betont die CSL. Laut Arbeitsministerium sei es eindeutig, dass Beschäftigte ohne Arbeitsvertrag so zu behandeln seien, als ob sie in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber stünden.
Doch gerade hier liegt der Knackpunkt. Der Anwalt von WeDely, Me Philippe Penning, erklärt gegenüber dem Land, seine Mandanten würden von den Behörden als „Versuchskaninchen“ benutzt. Das Vertragsverhältnis zwischen Plattform und Mitarbeitern befindet sich in einer rechtlichen Grauzone. Scheinselbstständigkeit ist in Luxemburg bislang nicht gesetzlich geregelt. Wie die Staatsanwaltschaft bestätigte, wurde der Vorwurf, es bestünde ein Lien de subordination zwischen Plattform und Fahrer, in der Anklage vorerst nicht zurückbehalten. Es sei aber nicht auszuschließen, dass dieser Sachverhalt zu einem späteren Zeitpunkt noch behandelt werde, erklärte ein Sprecher der Justiz gegenüber dem Land. Der uns vorliegende Vertrag von WeDely schließt ein Arbeitsverhältnis und einen Lien de subordination ausdrücklich aus. Auch wird darin betont, dass WeDely keine Kontrolle, Beeinflussung oder Supervision auf seine Lieferanten ausübe. Gleichzeitig verpflichten sich die Fahrer aber vertraglich, sich während ihrer Lieferung von WeDely per GPS überwachen zu lassen, damit die Kunden ihre Bestellung nachverfolgen können. Ob dieser Umstand reichen würde, um einen Lien de subordination nachzuweisen, ist allerdings fraglich.
Die Gründer von WeDely sind im Ausloten rechtlicher Grauzonen erprobt. Zwei der drei Geschäftsführer der Firma, Filippo Biasotto (38) und Emanuele Chichi (37), waren schon 2013 ins Visier der italienischen Justiz geraten. Einem Bericht der Regionalzeitung Il Gazzettino vom 5. Juli 2014 zufolge gehörten sie zu einer aus Italien operierenden Gruppe von fünf Personen, die an der Schaffung einer illegalen Webplattform mit über 120 Servern, 460 Millionen Downloads und einem Umsatz von 1,3 Millionen Euro beteiligt gewesen sei. Konkret ging es um das illegale Herunterladen von Musik, TV-Serien, Videospielen, Software, Pornos und Verlagsprodukten. Laut einem Artikel der Lokalzeitung Messaggero Veneto vom 31. Mai 2013 sprach die italienische Finanzwache Guardia di Finanza damals von „la più grande piattaforma italiana del falso multimediale“. Nachdem die Behörden die nicht-öffentliche Plattform DDLHits 2013 gesperrt hatten, seien die Server in die Niederlande, nach Frankreich und nach Luxemburg verlegt worden, berichteten italienischen Medien. In Italien wurden der Gruppe unter anderem Internet-Piraterie und Verstöße gegen das Urheberrecht vorgeworfen. Laut Me Penning sei es aber bislang nicht zu einem Prozess gekommen. Die Angelegenheit sei inzwischen verjährt.
Von den Ermittlungen der ITM gegen WeDely unbeeindruckt und vom Corona-Lieferfieber gepackt, haben drei junge Männer Ende vergangenen Jahres eine neue Plattform ins Leben gerufen. Goosty.lu ist im Gegensatz zu ihrem direkten Konkurrenten seit kurzem auch als Smartphone-App verfügbar. Per Tracker können Kund/innen nachverfolgen, wo die Lieferfahrer/innen mit ihrer Bestellung gerade dran sind. Auch bei Goosty sind die Liefernden Selbstständige, doch ihr Modell sei anders als das von WeDely, versichert Alexandre Roderich (22), Mitbegründer und Managing Partner von Goosty, gegenüber dem Land. Die rund 60 Fahrer/innen seien über freie Dienstleistungsverträge an die Plattform gebunden. Goosty fungiere als Kunde der Fahrer/innen, die sich ihrerseits nicht an feste Arbeitszeiten halten müssten und jeden Auftrag ablehnen könnten, betont Roderich. Nicht zuletzt habe Goosty für die Lieferungen mit kleinen Firmen Verträge abgeschlossen, die über eine eigene Fahrzeugflotte verfügen, sagt Roderich. Konkret handle es sich beispielsweise um Betriebe aus dem Bereich des Eventmanagement, ein Sektor, der seit Beginn der Coronakrise quasi still steht.
Goostys Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten sei, dass die Kommission, die die auf der Plattform aufgeführten Restaurants zahlen müssen, mit 19 Prozent niedriger sei als die von WeDely, die laut Roderich zwischen 25 und 30 Prozent liege (WeDely wollte auf Nachfrage die Höhe seiner Kommissionen unter Berufung auf die Geschäftsstrategie nicht nennen). Goosty.lu listet nur wenige Monate nach ihrem Start schon 60 Gastronomiebetriebe auf seiner Plattform auf.
Weil das Geschäftsmodell von Goosty sich im Endeffekt kaum von dem von WeDely unterscheide, wolle er auch Roderich und seine beiden Partner bei der ITM melden, sagt ein Plattformbetreiber. Land-Informationen zufolge ist bislang noch keine Beschwerde gegen Goosty bei der Gewerbeinspektion eingegangen. Manche Konkurrenten ärgert, dass zwischen der ersten Meldung von WeDely bei der ITM bis zum Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen fast drei Jahre verstrichen sind. In diesen drei Jahren habe das Unternehmen mit mutmaßlich illegalen Praktiken seinen Kundenstamm ungehindert erweitern und sich als Marktführer behaupten können.
Multinationale Anbieter wie Uber-Eats und Deliveroo haben sich im Großherzogtum noch nicht etabliert. Lediglich der im Februar 2020 fusionierte Großkonzern Just-Eat-Takeaway.com bietet in Luxemburg seit Jahren schon einen Marktplatz für Restaurants an. Takeaway arbeitet aber bislang nur mit Restaurants zusammen, die ihr Essen selbst liefern. Rezente Sichtungen von Lieferant/innen in der orangefarbenen Takeaway-Uniform erklärt das Unternehmen damit, dass Partner-Restaurants Zugang zu Firmenartikeln wie Lieferboxen oder Jacken hätten und ihre eigenen Fahrer/innen damit ausrüsten. Das Unternehmen schließt aber nicht aus, dass es künftig auch Lieferungen mit eigenen Mitarbeiter/innen in Luxemburg durchführen will. Ein Zeitplan liege noch nicht vor, erklärte die Konzernzentrale auf Land-Nachfrage, die gleichzeitig betonte, dass Takeaway in Europa nicht mit Selbstständigen zusammenarbeite, sondern seine Fahrer/innen ausschließlich über reguläre Arbeitsverträge beschäftige.
In vielen europäischen Ländern regt sich derzeit Widerstand gegen Plattformen wie Uber/Uber-Eats, Deliveroo und andere, die mit prekären Arbeitsverhältnissen hohe Konzerngewinne erzielen. In Deutschland und Großbritannien haben Gerichte bereits erste Urteile zugunsten von Fahrer/innenverbänden und Gewerkschaften gesprochen. Der Luxemburger EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte, Nicolas Schmit (LSAP), hatte im Dezember gegenüber dem Tageblatt erklärt, dass die Kommission bis Ende dieses Jahres einen legislativen Text zur Regelung der Plattformarbeit vorlegen wolle. In Luxemburg hat die Salariatskammer vor drei Monaten einen Gesetzesvorschlag veröffentlicht, um die Plattformarbeiter/innen zu schützen und ihnen ein Minimum an Rechten zuzugestehen. Die Regierung aus DP, LSAP und Grüne hatte in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, gegen den Status der „Scheinselbstständigen“ vorzugehen, die „über keinerlei Schutz verfügen und zu unlauterem Wettbewerb beitragen können“. Das bevorstehende Urteil gegen WeDely könnte in dieser Hinsicht richtungsweisend sein.