Airboxlab ist ein junges Unternehmen im Technoport, dem Inkubator für Start-ups an der Hochofenterasse in Belval. Die Firma hat ein Gerät zur Bestimmung der Raumluftbelastung mit Schadstoffen entwickelt. „Wussten Sie, dass jeder Mensch zehn Kilo Luft pro Tag einatmet und 90 Prozent seiner Zeit in Innenräumen verbringt?“, fragt Airboxlab in seiner Firmenpräsentation. Was deutlich macht, dass das Messgerät, das seine Daten an ein Smartphone, einen Tablet-Computer oder einen PC liefert, für den Normalverbraucher gedacht ist.
Ziemlich ungewöhnlich, zumindest für Luxemburger Verhältnisse, war dagegen die Art und Weise, mit der Airboxlab die 10 000 Euro auftrieb, um einen Prototyp des Apparats herstellen zu können: Crowdfunding, die Geldbeschaffung in der großen Masse der Internetnutzer. Über die US-amerikanische Plattform Indiegogo sammelte die Firma im Sommer in nur vier Wochen nicht 10 000, sondern fast 14 000 Euro. Wer fünf Euro gab, wird als Gründungsmitglied der „Airboxlab Community“ erwähnt. Für 29 Euro gab es ein Airboxlab-T-Shirt. Ab 119 Euro erwarb ein Geldgeber das Anrecht auf ein Exemplar des neuen Messgeräts mit Rabatt auf den Neupreis.
Crowdfunding, die partizipative und interaktive Finanzierung, bei der eine spezialisierte Internet-Plattform die Vermittlerin zwischen dem Projekt und seinen Finanziers spielt, kam in den USA nach der Jahrtausendwende auf. Zunächst für lokale Sozial- und Kulturprojekte, dann sammelten auch NGOs auf diese Weise Geld, und heute werden für kommerzielle Vorhaben auch Kampagnen im Millionenbereich gestartet: In der dieses Jahr weltweit größten Crowdfunding-Aktion wurden für Pebble Watch, eine intelligente Uhr, die sich mit einem Smartphone synchronisieren lässt, über die Plattform Kickstarter mehr als zehn Millionen Dollar zusammengetragen. Und je größer und zahlreicher die Projekte werden, desto öfter bleiben die Geldgeber keine Spender oder Sponsoren, sondern werden per Internet zu Aktionären.
Das war unlängst auch für ein Unternehmen in Luxemburg der Fall. Für ihr Internetportal Shebusa, das sich auf den elektronischen Handel mit Luxusgütern für Geschäftsfrauen spezialisiert hat, sammelte die AAA Fashion S.A. 200 000 Euro. Die Beteiligung pro Teilnehmer war zwar auf 100 Euro begrenzt. „Doch wenn wir eine Dividende zahlen, verdient jeder der 20 000 Aktionäre“, sagt Shebusa-Direktorin Anne Canel. Auf Crowdfunding zurückzugreifen, habe AAA Fashion „einfach cool“ gefunden.
Per Internet Geld zu sammeln beziehungsweise mit ein paar Mausklicks und seinem Paypal-Konto zum Sponsor oder gar zum Kleinaktionär zu werden, finden immer mehr Leute cool. Crowdfunding boomt: Im vergangenen Jahr wurden weltweit schätzungsweise 2,7 Milliarden Dollar gesammelt, dieses Jahr könnte die Fünf-Milliarden-Grenze überschritten werden. Drei Viertel der Aktivität sind auf die USA konzentriert, doch in der EU wird Crowdfunding ebenfalls immer populärer. Nach Schätzungen der EU-Kommission betrug das Crowdfunding-Aufkommen 2012 europaweit an die 730 Millionen Euro. Das ist zwar bescheiden im Vergleich zu den Vereinigten Staaten, machte aber gegenüber 2011 einen Zuwachs um 65 Prozent aus. Und auch in Europa wird für höhere Kapitalsummen online um Geld geworben. In Belgien zum Beispiel begann vor zwei Wochen die Kampagne für das dort bisher größte Crowdfunding-Projekt: NewsMonkey, ein Online-Nachrichtenportal in Flandern, will fast eine Million Euro einsammeln und bietet den Aktionären in spe eine Beteiligung von insgesamt 63,5 Prozent am Firmenkapital.
„Für diese Art der Finanzierung kleiner Unternehmen gibt es auch in Luxemburg einen ziemlich großen Bedarf“, meint Vincent Hieff, Attaché in der Abteilung Firmengründung der Handelskammer. Vor fünf Jahren sei Crowdfunding hierzulande noch kein Thema gewesen. „Da ging es den Banken gut und sie waren offen für neue Projekte.“ Heute dagegen müsse ein Firmengründer bei der Suche nach Garantien und Rücklagen, die eine Bank verlangt, ehe sie den Kredithahn aufdreht, nicht selten die Familie oder den Freundeskreis anpumpen. Wer das nicht will, dem fällt eventuell Crowdfunding ein. Wie Airboxlab, oder noch zwei weiteren Firmen, die die Handelskammer ebenso begleitet hat wie die Luftmess-Start-up. Im Mittelstandsministerium wird Crowdfunding als Finanzierungsquelle ebenfalls ernst genommen: „Im nächsten Aktionsplan für Klein- und Mittelbetriebe wird es eine Rolle spielen“, kündigt Pierre Barthelme, Erster Regierungsrat im Ministerium, an. Derzeit werde „studiert“, welchen Nutzen eine Luxemburger Crowdfunding-Plattform haben könnte.
Eine solche Plattform gab es vor drei Jahren schon. Sechs Monate lang bestand Fansnextdoor, gegründet von Studenten der Luxembourg Business Academy, ehe sie im September 2010 mangels Aktivitäten aufgegeben wurde. Online ist sie freilich immer noch und weist fünf erfolgreich finanzierte Kulturprojekte aus: einen Kurzfilm, zwei Bücher und zwei Musikproduktionen. Doch nur die zwei zuletzt genannten waren Luxemburger Vorhaben: eine mit 10 670 Euro gesponserte CD-Produktion der Rockband Inborn! sowie das erste Konzert der Playlist-Reihe im Mudam, für das Fansnextdoor knapp 2 100 Euro zusammenzutragen half. Die anderen Projekte kamen aus Metz und Paris. Alles in allem habe er die Luxemburger gegenüber Crowdfunding als „sehr zurückhaltend“ und „konservativ“ empfunden, erinnert sich Benjamin Larralde, der die Plattform initiiert hatte. Nach seinem Master-Abschluss setzte er sich wieder ins Ausland ab: „Fansnextdoor war damals ganz neu, extrem aufwändig in der Bekanntmachung und lief letztlich nicht gut genug.“
Vielleicht wäre das heute anders. Nicht nur Vincent Hieff von der Handelskammer erhält „immer wieder“ Anfragen von „jungen Leuten zwischen 25 und 35“, die gern ein solches luxemburgisches Portal eröffnen würden oder bedauern, dass es noch keines gibt, weil sie bereit wären, in lokale oder regionale Vorhaben zu investieren. Die Finanzmarktaufsichtsbehörde CSSF führe solche Gespräche auch immer wieder, berichtet ihre Generalsekretärin Danièle Berna-Ost. „Crowdfunding entwickelt sich, wenngleich es noch in einer sehr frühen Phase steckt.“
Wahrscheinlich liegt das auch am Rechtsrahmen, in dem die partizipative Finanzierung abzulaufen hat, sofern sie nicht nur nach dem Prinzip don contre don erfolgt, wie das Sponsoring eines Kurzfilms, in dessen Abspann man als Geldgeber erwähnt wird, oder die Spende für den Airboxlab-Luftmesser, bei dem ein T-Shirt oder ein Exemplar des Apparats zum Vorzugspreis winkt. Denn geht es um das Sammeln von Firmenkapital, bei dem die Internetnutzer Aktionäre werden, gibt es in Luxemburg keine Extraregeln, sondern es gelten die für Kapitalgesellschaften und für den Finanzmarkt. Berna-Ost räumt ein: „Die sind bestimmt zu kompliziert, um durch Crowdfunding schnell an Geld zu kommen oder mal eben rasch etwas zu investieren, wie es das Internet ja suggeriert.“ Allerdings sei das nicht nur hier ein Problem, sondern im Grunde EU-weit. Shebusa-CEO Anne Canel stimmt zu: „In den USA kann eine Crowdfunding-Kampagne in drei Wochen abgeschlossen sein, unsere dauerte mit allen Vorbereitungen sechs Monate.“ Und das obwohl Shebusa von Wiseed betreut wurde, der Crowdfunding-Pionierplattform in Frankreich, so dass dafür die französischen Regeln galten und nicht etwa die Luxemburger. Doch zwischen beiden gibt es kaum Unterschiede: „Sie schützen vor allem die Investoren“, so Canel. „Das ist okay, aber dient nicht unbedingt dem Unternehmer.“
Mit Investorenschutz ist gemeint, das Risiko für den zu mindern, der sein Geld für Crowdfunding hergibt. „Geht Shebusa schief, gibt es keine Geld-zurück-Garantie, es ist hundert Prozent Abenteuer“, so Canel. Weil dem so ist und generell für Crowdfunding der Rechtsrahmen des Staates gilt, in dem das Web-Portal seinen Sitz hat, wartet die CSSF auch lieber ab, ob die EU-Kommission demnächst einen Text vorschlägt, statt mit Ideen für Crowdfunding-Regeln à la luxembourgeoise vorzupreschen. Bis dahin kann Crowdfunding auch innerhalb Luxemburgs sogar für größere Investitionen recht einfach sein, muss aber nicht: „Wer unter der Schwelle von 100 000 Euro Kapitalsumme bleibt und höchstens 150 Investoren sucht, muss beispielsweise keinen Aktionärsprospekt veröffentlichen.“ Doch: Wer weiß vorab, dass nicht mehr als 150 Leute eine kleine Beteiligung kaufen?
Kompliziert wäre auch die Einrichtung eines Internetportals, falls sie zu mehr führen soll als einer Sammelstelle für Spenden und Sponsorengelder für Kulturprojekte: Nur weil der Webseitenbaukasten, den das Studentenkollektiv um Benjamin Larralde für Fansnextdoor seinerzeit nutzte, standardmäßig auch die Rubriken „Enterprises“ und „Technology“ enthält, tauchten die auf der Plattform auf: „Wir wären interessiert gewesen, auch Crowdfunding für Firmengründungen anzubieten, hatten aber keine Ahnung, wie kompliziert das rechtlich ist“, so Larralde. Denn möglicherweise wird eine Plattform dann wie ein Investmentfonds oder eine Bank betrachtet.
Die große Frage ist die, inwiefern man zulässt, dass Crowdfunding-Geldgeber größere Aktionäre werden. Dass AAA Fashion mit dem Wiseed-Portal maximal eine Hundert-Euro-Beteiligung pro Person ausschrieb, war ein Zugeständnis an die Regeln in Frankreich: „Bis hundert Euro fällt man nicht unter den regulierten Markt“, sagt Anne Canel. Entsprechend klein wäre freilich auch der Erlös aus einer Dividende.
Gegenwärtig wird in Frankreich ein Gesetzentwurf diskutiert, der Crowdfunding erleichtern soll. Im Gespräch ist eine Beteiligung von bis zu 2 000 Euro jährlich pro Investor; in dem Fall erhielten die Internet-Plattformen ein eigenes Statut, das sie von den Regeln für Banken ausnimmt. Noch aber dauert die Diskussion des Textes an, und vielleicht wartet ja auch Frankreich am Ende einen EU-Vorschlag ab: Die Brüsseler Kommission hat im Oktober eine öffentliche Konsultation zu Crowdfunding gestartet, die noch bis Jahresende läuft. Man wolle einen „adäquaten Rahmen“ für die 28 Mitgliedstaaten schaffen, hat Binnenmarktkommissar Michel Barnier angekündigt. Nicht zuletzt werde es „Sicherheitsgarantien“ geben müssen: Nur wenn die Menschen Crowdfunding „vertrauen“, werde es mehr sein als eine „vorübergehende Erscheinung“. So dass Crowdfunding wohl auch weiterhin in erster Linie eine Herzensangelegenheit bleiben wird. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Risikokapitalfonds im Allgemeinen schätzen, dass von zehn Start-ups vier scheitern und weitere vier ohne reellen Gewinn weiterverkauft werden.